Ein Interview mit Kurt Appel. Die Fragen wurden von Gabriele Palasciano gestellt, das Originalinterview erscheint in der italienischen Zeitschrift Il Regno. English version below.
Gabriele Palasciano: Prof. Appel, in der weltweiten Gesundheitskrise, die durch COVID-19 ausgelöst wurde, gibt es zahlreiche Reaktionen seitens der Sozial-, Wirtschafts-, Geistes- und Finanzwissenschaften, während die Theologie wenig angefragt wurde. Es scheint, dass Horkheimers Prophezeiung, welcher gemäß die Elimination der theologischen Dimension zu einem Sinnverlust führt, sich bewahrheitet. Was hat eigentlich Theologie heute noch angesichts dieser Krise zu sagen?
Kurt Appel: Die Theologie hat deshalb nichts zu sagen, weil sie zuviel gesagt hat. Sie wurde unglaubwürdig in ihrer Rede vom Heil, von der Liebe, davon, dass alles gut ist. Doch das Problem besteht darin, dass diese Rede vielfach nichts mehr mit der Realität der Menschen zu tun hatte, dass sie billigen Trost bot, der nichts kostete und nichts verlangte.
Mehr denn je muss sich die Theologie deshalb heute auf das Evangelium rückbesinnen. Darin geht es um den Menschen, der zutiefst verletzt ist, psychisch, moralisch, physisch. Dessen Wunden werden geheilt, aber Schritt für Schritt, in Geduld und darum wissend, dass manche liebgewonnene Sichtweise und Gewohnheit verlassen werden muss.
Was jetzt verabschiedet werden muss, um geheilt zu werden, ist der Wahn des gegenwärtigen Menschen, alles kontrollieren zu können und unverletzbar zu sein. Das Evangelium kann eines lehren: Du bist verletzbar, du kannst scheitern, du kannst nicht alles beherrschen, aber in deiner Verletzbarkeit liegt eine unglaubliche Schönheit. Sie macht dich liebenswürdig in den Augen Gottes und des Menschen. Lerne sie anzunehmen!
Stehen wir nicht vor einem spirituellen Tsunami, der auch die Theologie völlig umkrempelt?
Der spirituelle Tsunami, von dem Sie sprechen, kommt im berühmten Diktum vom Tod Gottes, welches Nietzsche zugeschrieben wird, aber sich auch schon bei Hegel und vorher in der lutherischen Tradition findet, zum Ausdruck. Man sollte sich vollständig klar darüber werden, was hier gestorben ist: eine ganz bestimmte Konzeption Gottes, nämlich Gott als allmächtiger, unberührbarer Puppenspieler („Puppet-Master”), das große Auge Saurons in Tolkiens „Herr der Ringe“, welches alles kontrolliert. Der große Philosoph Hegel hat dazu angemerkt, dass dieser Gott eigentlich dem Tod gleicht: Er ist der allmächtige Herr, dem niemand entkommt. Man kann ihn verdrängen, man kann ihn banalisieren, aber letztlich lässt er keinen Ausgang zu. Dieser allmächtige Herr lässt nur „Nichts” zurück. Der Mensch, alles, stirbt, was bleibt ist Leere. In diesem Nihilismus befinden wir uns heute und dieser Puppenspieler ist selber das Nichts.
Heute sind wir mit Entwicklungen in der Anthropologie konfrontiert, die dem traditionell-christlichen Menschenbild völlig entgegenstehen. In seinem Buch The Selfish Ape. Human Nature and Our Path to Extinction (Reaktion Books 2019), zerstört der amerikanische Biologe Nicholas P. Money den theologischen Anthropozentrismus und negiert jede Sonderstellung des Menschen. An die Stelle der Konzeption der Sünde tritt jenes des Egozentrismus. Der Homo narcissus, von Money so genannt, ist ein gieriger Affe und Zerstörer, zum Aussterben verdammt, den niemand erlösen kann. Bestätigt COVID-19 nicht diese beunruhigende Wahrnehmung?
Solche Auffassungen bringen genau den oben beschriebenen Nihilismus zum Ausdruck, auch wenn sie sich wissenschaftlich tarnen. Alles steht unter dem Banner des Todes und nichts ist etwas wert, außer vielleicht das eigene Ego. Natürlich könnte der gute Mr. Money nicht eine Sekunde leben, wenn er wirklich an diesen Unsinn glauben würde. Trotzdem findet das, was er sagt, Verbreitung, weil wir den Tod, verstanden als Nichts, als ultimativen Gott anerkennen. Der einzige Lebenssinn, den man dann noch gewinnen kann, ist der Versuch, dem Nichts zu trotzen und selber Gott zu sein. Das geht aber nur, wenn der Tod hinausgezögert wird, wenn es gelingt zu überleben, wobei sich natürlich früher oder später zeigt, dass der kleine Gott „Ego” nichts gegen den großen Gott „Tod” ausrichten kann.
Muss sich etwas in der Art- und Weise ändern, wie die Sinnfrage zu beantworten ist?
Entscheidend, auch für die Gottesfrage, ist letztlich, wie wir mit dem Tod umgehen. Ist der Tod das große Nichts, der letzte Gott oder hat der Tod eine tiefere Bedeutung, die Sinn zu schenken vermag? Hier findet sich das Revolutionäre des Evangeliums: Der Gott des Christentums zeigt seine Macht in der Empathie, im Mit-Sein mit dem sterblichen Menschen. Der Mensch leidet, ist krank, stirbt, ist unvollkommen – und all das macht ihn liebenswert. All dies eröffnet die Möglichkeit von Freundschaft, von Solidarität, von Empathie: Wir können einander in Freude und Leid begleiten. Wir müssen nicht, den neuzeitlichen Allmachtsphantasien folgend, die ganze Geschichte, die ganze Welt retten, wir müssen nicht in dieser Welt ewig weiterleben, sondern wir können uns dem Anderen öffnen, was einen Wert in sich hat. Das Evangelium lässt uns wissen, dass wir in der Begleitung, im Mitsein mit dem Anderen um seiner selbst willen letztlich die Empfangenden sind und diese Gabe, die immer größer ist als alles, was man erzwingen und kaufen kann, ist letztlich Gott selbst. Das Evangelium kennt die Macht Jesu, der über die Winde und die Gewässer zu herrschen vermag, der Tote auferweckt. Die letzte Macht Jesu liegt aber woanders, nämlich darin, dass er derjenige ist, der nicht den Tod, verstanden als das Nichts, als letzten Herrn anerkennt. Jesus verdrängt den Tod nicht, er weiß um die eigene und die fremde Verletzbarkeit des Lebens, aber er ist davon überzeugt, dass gerade in der Verletzbarkeit und Sterblichkeit des Lebens eine Kraft liegt, die über den Tod hinausgeht. Das Christentum ist eine gewaltige Paradoxie, die die Theologie, die unsere Kultur vergessen hat: Sie besteht darin, dass nur das sterbliche Leben den Tod überwinden kann oder anders gesagt: Christliche Überzeugung ist, dass auch der Tod stirbt, dass nur das (scheinbar) Unvollkommene und Verletzbare vollkommen und heilsam ist.
Angesichts des Virus steht nicht nur die Sinnhaftigkeit der Theologie, sondern auch das Konzept eines vernünftigen und schöpferischen Gottes in Frage. Der italienische Mathematiker Piergiorgio Oddifreddi betont zwar die Notwendigkeit eines Logos, der unsere Rationalität leitet, aber er schließt eine Identifikation dieses Logos mit einem personalen Gott aus. Ist ein Konzept einer allumfassenden Rationalität, die auch im Individuum wirkt, nicht zeitgemäßer als das Konzept eines persönlichen Gottes?
Der einzige Logos, der wirklichen Wert hat, ist die Empathie. Personsein heißt die Fähigkeit, mit dem Anderen zu empfinden, Zuneigung zu empfinden. Hinter dem Personenbegriff von Oddifreddi steckt eine recht eigenartige Auffassung: “Ich” ist dieser Auffassung gemäß das, was wir im Spiegel sehen; eine Person ist demzufolge das, was wir mit ein paar Eigenschaften beschreiben können. Aber so einfach ist die Sache nicht: Person-sein bedeutet offen zu sein für die Mitwelt, Ausgänge aus der Verschlossenheit der Existenz zu finden. Ein Stein ist keine Person, weil er in sich verschlossen ist. Gott ist die Offenheit, die sich in jeder Begegnung des Menschen mit anderen kundtut. Daher ist jeder Logos, der den Namen verdient, personal und nicht, wie es Oddifreddi nahelegt, irgendein Algorithmus. Den hat ein Stein auch.
1755 verursachte das Erdbeben in Lissabon tausende Todesopfer. Dieses Ereignis, von Historikern als erster Medienevent der Moderne tituliert, erschütterte Europa bis in seine Grundfesten. Es rief Fragen nach der Rolle Gottes und des Menschen hervor und auch nach der Bedeutung des Übels in der Welt, Fragen, die uns bis heute beschäftigen…
Die Welt ist nicht ein Objekt, von dem wir in distanzierter Betrachtung sagen können, dass es gut ist oder auch nicht. Wir gestalten die Welt und haben darin die Fähigkeit, in all unseren Grenzen, zu lieben. Und weil und in dem Ausmaß, in dem wir diese Welt lieben können, ist sie gut. Darin zeigt sich die Freiheit des Menschen. Mit anderen Worten: Die Welt ist uns nicht einfach vorgegeben, sondern Welt ist das, was wir aus ihr in Gemeinschaft mit Anderen machen. Der Beitrag Gottes zur Güte der Welt besteht darin, dass er uns immer neu die Fähigkeit zur Liebe schenkt. Die große Herausforderung besteht darin, dass die Liebe auch und gerade dem gilt, was unseren Verständnishorizont übersteigt. In unserem modernen Allmachtswahn haben wir die Vorstellung, dass die ganze Welt immer unseren Ansprüchen und unseren Vorstellungen entsprechen muss. Wirkliche Liebe umfasst aber auch das uns Fremde, das, was uns in seiner Andersartigkeit Geheimnis bleibt. Hinter der berühmten Theodizeefrage: “Warum lässt Gott all das Leid und das Böse zu?” kann letztlich das Unvermögen stehen, zu akzeptieren, dass die Welt nicht immer unseren Vorstellungen und Befehlen gehorcht. Sie kann aber auch als eine Frage an Gott bedeuten, dass wir in einen Dialog eintreten mit dem Anderen, mit dem uns Rätselhaften. Am Ende wird es kein Resultat im technischen Sinne geben, aber vielleicht ein Stück Zuneigung zu dem uns Verborgenen.
Hat es heute noch Sinn, theologisch von “Zorn” oder “Strafe” Gottes zu sprechen?
Das letzte Wort des Christentums ist die Empathie, die Barmherzigkeit, die Liebe Gottes, wie sie sich in unserer ganz konkreten Zuwendung zum Anderen zum Ausdruck zu bringen hat. Wichtig ist aber, dass die Liebe als letztes Wort eingebettet ist in ein unendliches Register an Gefühlen. Der Zorn, der Ekel, die Angst, in extremen Fällen sogar der Hass, der Schrei nach Vergeltung, all das malt ein Register an Affekten, welches unsere Welt zusammen mit Gefühlen wie Zuneigung, Sympathie, Zärtlichkeit bereichert, wenn all diese Gefühle letztlich auf Liebe hin tendieren.
Wenn man vor einer Pandemie wie Covid-19 steht, dann wäre es völlig pervers, darin unmittelbar eine Strafe Gottes zu sehen: Gott hat die Welt so geschaffen, dass sie ihren eigenen Lauf, ihre eigene Freiheit hat. Das bedeutet, dass dem Menschen eine Aufgabe in dieser Welt zukommt, die er nicht völlig gottverlassen erfüllen muss. Es setzt aber auch voraus, dass der eigene Lauf der Welt den Menschen in seine Grenzen einweist, sich jeder menschlichen Allmachtsphantasie entgegenstellt, was auch Leid und Verletzung impliziert. Dafür, dass dieses Leid erträglich bleibt, sind wir Menschen verantwortlich, auch in dem Sinne, niemanden zurückzulassen.
Die Fragen nach dem Zorn und der Strafe Gottes sind natürlich auch vor dem Hintergrund der Rede von der “Barmherzigkeit” Gottes zu sehen. Die jeweiligen Schwerpunktsetzungen waren in der Geschichte immer verschieden. Auf jeden Fall ist die Rede davon, dass Gott Idolatrie und Schuld bestraft, sehr stark biblisch fundiert, man denke nur z.B. an das Buch Hosea.
Für eine richtige Interpretation dieser Stellen ist die Art und Weise, wie die Bibel spricht, zu beachten: Wir finden im Alten Testament eine ganz große Liebesgeschichte zwischen YHWH und Israel. Die Sprache zielt nicht auf Information, sondern auf Affekte. Die Zeitform ist nicht der historische Bericht, sondern der Blick auf die Zukunft in einer Neuinterpretation der Vergangenheit. Die Bibel eröffnet eine Symphonie von Affekten: Alles kommt darin vor: Zorn, Rache, Hass, Zärtlichkeit, Werbung um den Anderen, Trauer, Freude, Jubel, Scham, feierliche Stimmung etc. Die ganze Welt ist von diesen Stimmungen umfangen, deren Grundton aber eine menschliches Maß übersteigende Zuneigung ist. Das Entscheidende, schwer verständlich für unseren positivistisch-technokratischen Geist, der auch viele umfasst, die auf ihre Frömmigkeit so stolz sind, besteht darin, dass die biblische Welt keine strikte Unterscheidung zwischen „Innenwelt” und „Außenwelt”, zwischen geographischer und symbolischer Welt trifft. Jedes Objekt, jede Landschaft, jedes Ereignis, jede Figur ist ein Resonanzraum für Stimmungen. Eine Naturkatastrophe oder eine Krankheit ist nicht – wie bei uns – ein physikalisches Ereignis, welches gewisse wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen mit sich führt, sondern vor allem ein symbolisches Ereignis, welches die Gläubigen emotional verarbeiten und welches dazu herausfordert, die Beziehung zu YHWH neu zu bestimmen.
Vielleicht noch wichtiger ist die Tatsache, dass Gott keine Informations- und Befehlsmaschine ist. Gott offenbart sich nicht in Instruktionen und Aussagen, vielmehr offenbart sich Gott im Gesamt der Schrift. Gott manifestiert sich in der Beziehung mit seinem Volk, mit den Propheten und vor allem auch mit dem Leser. Man muss klar unterscheiden zwischen der Rolle/der Figur „Gott” in der Schrift, die nur einen Teil seiner Offenbarung ausmacht und der Interaktion aller Figuren und der Interaktion mit dem Leser, die uns erst Gott in seiner Wahrheit eröffnet. Mit anderen Worten: Die Rolle „Gott” in der Bibel ist nicht identisch mit dem Gott der Bibel, sondern ein Teil von ihm.
Das Problem des fundamentalistischen Zugangs, der uns helfen kann, auch die negativen Gefühle im Zusammenhang mit Gott ernst zu nehmen, besteht darin, dass er den Heiligen Geist, in dem die Schrift gelesen werden will, nicht benötigt. Er ist, wenn er positivistisch Gottesreden als Instruktionen und Aussagen über Gott versteht, völlig geistverlassen. Eine geistvolle Lektüre dagegen beinhaltet immer das gesamte Beziehungsgeschehen innerhalb des Textes und das Beziehungsgeschehen zwischen dem Leser/der Kirche/Israel und dem Text. Wenn YHWH Unheil bei Fehlverhalten androht, dann spiegelt sich darin die tiefe Bedrohung der gesamten symbolischen Ordnung wieder, die mit politischem und sozialem Fehlverhalten einhergeht. Es spiegelt sich wider, dass menschliches Verhalten Konsequenzen hat. Gerade in den Drohungen zeigt sich aber auch das Werben Gottes um Umkehr, um neue Einsichten, um die Möglichkeit eines Neuanfangs.
Bezogen auf Covid und andere Katastrophen greift es völlig zu kurz, von Gott als strafender Ursache und diesen Ereignissen als dessen Wirkungen zu sprechen: Das ist mechanistische Philosophie und geistlose Theologie. Sehr wohl aber verlangen solche Erschütterungen kritische Deutungen auch in Bezug auf unser individuelles, gesellschaftliches und kirchliches Verhalten und in den Neuanfängen, die aus einem solchen Deutungsprozess resultieren, kann der Christ Gottes Stimme erkennen, den Tadel, das Werben aber auch die Freude, wenn der Mensch aus Krisen heraus schöpferisch tätig wird.
Es ist immer traurig, wenn man in Zusammenhang von menschlichen Leben Zahlen bemüht. Momentan gibt es schon Millionen, die an COVID-19 verstorben sind. In Bergamo wurde der Totentanz neu erfahren, allerdings diesmal an Hand von Lastwägen, die Särge transportierten. Nach Auschwitz hat sich die Art und Weise, von Gott zu reden, zu verändern begonnen. Wird sich auch etwas durch COVID-19 in der Gottesrede verändern?
Ich glaube, wir sollten Covid-19 nicht mythisieren: Es ist völlig unvergleichbar mit Auschwitz, wo mitten in der scheinbar aufgeklärten Welt Deutschlands und Europas Millionen Menschen umgebracht wurden. Covid-19 ist eine wirkliche Heimsuchung für viele Regionen dieser Erde, aber wir in Europa dürfen nicht vergessen, dass es eine von vielen Pandemien ist, wie sie gerade in der sogenannten Dritten Welt immer wieder auftreten, ohne dass das irgendjemand außerhalb der betroffenen Regionen gekümmert hat. Das Neue daran ist eher, dass es die Verwundbarkeit unserer globalisierten Welt offenbart, dass es auch die „Erste Welt”, die sich so überlegen wähnte, mit voller Wucht getroffen hat. In der westlichen Welt, bei „uns”, dachte man, so etwas passiert nur den „Anderen”, weil „unsere” Technik, „unser” politisches und wirtschaftliches und soziales System so stark ist, dass „wir” die Natur nahezu nach Belieben beherrschen können. Covid-19 ist vor allem eine unglaubliche Beleidigung für die Allmachtsphantasien der sogenannten fortgeschrittenen Zivilisationen. Neben all den notwendigen Vorsichtsmaßnahmen, die zu treffen sind, wird in Europa auch ein Klima der Angst und des Terrors verbreitet, auch von manchen Experten. Ich glaube, dass es einfach sehr schwer fällt, keine absoluten Sicherheiten zu haben, dass es eine Demütigung für die Expertenwelt und die Politik ist, das Virus nicht vollkommen unter Kontrolle zu bekommen.
Was wir in dieser Situation brauchen, ist Solidarität mit den vielen, die die wirtschaftlichen Folgen des Virus zu tragen haben. Die zweite Notwendigkeit, mindestens ebenso wichtig, besteht darin, eine gewisse Demut und Gelassenheit zu entwickeln. Wir sind nicht unsterblich, auch wenn wir das zeitweise glaubten, und wir stehen vor der Aufgabe, uns dem Anderen zuzuwenden, auch wenn das ein gewisses Risiko mit sich bringt. Die Barmherzigkeit Gottes besteht darin, dass er uns den Geist der Hingabe und Liebe schenkt, nicht, dass er uns unverwundbar macht. Was es jetzt braucht, ist nicht soziale Distanzierung (welch furchtbares Wort!), sondern Mitmenschlichkeit, Tapferkeit und Vertrauen, dass sich gerade in schwierigen Zeiten neue Formen des Lebens eröffnen, die Mensch und Natur, Mensch und Mensch und Mensch und Gott zusammenführen. In diesen Tagen erinnere ich mich immer an das Gespräch, welches ich mit meiner Mutter vor ein paar Wochen geführt habe: Sie hat mir gesagt: Ich bin 83 und lebe gerne und bin zutiefst dankbar über jeden Tag, den Gott mir schenkt. Aber sollte ich mit 83 Angst vor dem Tod haben? Wenn ich sterbe, so hoffe ich, anders nützlich sein zu können, vielleicht im Gebet für euch.
Ist es mittlerweile notwendig geworden, sich vom Konzept der göttlichen Allmacht zu verabschieden?
Wir brauchen ein neues Verständnis von Macht: Macht bedeutet Liebe gegenüber dem Anderen, Freiheit für den Anderen, Leben für alle. Wahre Macht besteht also darin, dass ich den Anderen frei lasse, nicht unter meine Vorstellungen und Nützlichkeiten zwinge. Gott gewährt seiner Welt ein Eigenleben. Er schenkt dabei der Welt die große Gabe der Verwundbarkeit, sodass sie sich niemals gleichgültig gegen das Andere verschließen kann. Denn was offen ist für Anderes ist verwundbar. Wahre Macht besteht in der Offenheit, aus der Liebe und Leben erwächst. Man sollte vielleicht auch tiefer darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn jemand, z.B. neues Leben, einen Namen bekommt: Mit diesem Namen ist er/sie nie wieder „nichts”, der Name wird auch dann noch bestehen, wenn der physische Tod eingetreten ist. Vielleicht besteht die tiefe Macht Gottes darin, dass er seine Schöpfung, jedes Glied seiner Schöpfung mit Namen nennt. Die Taufe gibt uns davon eine Idee.
Zum Abschluss noch eine Frage zur göttlichen Vorhersehung: Sie prägte das Gottesbild in der Tradition, man denke nur an den Glauben Abrahams an die göttliche Vorhersehung, die sich sogar angesichts der möglichen Opferung Isaaks durchhält. Bei all der Tiefe des damit verbundenen Glaubens stellt sich aber doch die Frage, ob ein solcher Glaube an die Vorsehung Gottes im beginnenden 21. Jhd. noch möglich ist?
Ich glaube, die Vorsehung Gottes besteht darin, dass er, wie oben erwähnt, für jeden von uns einen Namen erwählt hat, jeden in seiner Individualität und Einmaligkeit bejaht. Auch Abraham hat von Gott seinen ganz spezifischen Namen empfangen: Zunächst wollte er die Verheißung ewigen Lebens mittels der Zeugung eines Nachkommens verwirklichen, wie es im Alten Orient üblich war: Man lebte fort im Nachkommen. Die Opferung Isaaks bedeutet nicht zuletzt, dass Isaak als Mittel für das eigene Weiterleben geopfert werden musste. In dem Moment, in dem Abraham dazu bereit ist, empfängt er seinen Sohn neu und wird damit wirklich seinem Namen gerecht, Vater einer Menge an Völkern zu werden, die nicht mehr nur biologisch mit ihm verbunden sind. Der Mensch ist also, kurz gesagt, verletzbar und sterblich, was uns die aktuelle Pandemie schmerzhaft vor Augen führt. Aber er ist auch Träger eines Namens, Träger der Zuneigung Gottes, die sogar im Tod Ausgänge und neues Leben erahnen lässt, wo menschliche Macht und Ohnmacht nur mehr ins Nichts führt…
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A Theological Reflection in Times of COVID-19.
God and the Meaning of the History of our World.
By Kurt Appel, University of Vienna
Gabriele Palasciano asked the questions, the original text was published in the Italian magazine Il Regno attualità 20/2020, 593-596, translation into English by Margareta Wetchy.
Prof. Appel, in this global health crisis caused by COVID-19, there are several reactions by researchers from the social sciences, economics, humanities and finance. However, theologians were less frequently asked for their expertise. It seems as if Horkheimer’s prophecy according to which the elimination of the theological dimension leads to a loss of meaning proves to be true. What does theology today have to say in the light of this crisis?
Theology has nothing to say, because it said too much. It became implausible in its discourse on salvation, on love, on the promise that everything is okay. The problem is that this discourse was oftentimes not related to the reality of the people anymore, that it offered poor consolation that did not cost anything and that did not require anything.
More than ever theology today has to return to the gospel. The gospel focuses on the human who is deeply hurt, psychologically, morally, physically. His wounds are healed, but only step by step, with patience, and knowing that he will have to let go of some perspectives and habits that he grew fond of.
What we will have to say goodbye to in order to be healed is the illusion, inherent to the current human, of being able to control everything and to be invulnerable. The gospel can teach one thing: You are vulnerable, you can fail, you cannot control everything, but in your vulnerability lies unbelievable beauty. It makes you amiable in the eyes of God and of the human. Learn to accept it!
Are we not faced with a spiritual tsunami which will also completely transform theology?
The spiritual tsunami that you are talking about has already been expressed in the famous dictum of the death of God that is being attributed to Nietzsche, but that can also be found in Hegel’s work and earlier in Lutheran tradition. We should fully become aware of what has died here: a very specific concept of God, namely God as the almighty, untouchable puppet master, the big eye of Saurons in Tolkien’s Lord of the Rings who controls everything. The grand philosopher Hegel has noted in this regard that this God actually resembles death: He is the almighty lord whom no one can escape. One can suppress him, one can trivialize him, but ultimately he does not permit any kind of exit. This almighty lord only leaves behind a void. The individual, everything dies, what remains is emptiness. In this nihilism we find ourselves today, and the puppet master himself is the „nothingness“.
Today, we are confronted with developments in anthropology that are completely opposed to the traditional Christian conception of man. In his book The Selfish Ape. Human Nature and Our Path to Extinction (Reaktion Books 2019), the American biologist Nicholas P. Money destroys the theological anthropocentrism and negates every special position given to humans. The conception of sin is replaced with egocentrism. The L’Homo narcissus, as he is called by Money, is a greedy monkey and destroyer, doomed to die out, that no one can redeem. Does COVID-19 not confirm this unsettling perception?
Such notions perfectly express the nihilism described above, even if they come in a scientific disguise. Everything is under the banner of death and nothing is of value, except for maybe the own Ego. Of course, Mr. Money could not live even just one second if he really believed in this nonsense. Despite of that, what he says does find currency, because we acknowledge death, understood as „nothing“, as ultimate God. The only meaning of life that one can still gain is the attempt to defy the nothingness and to be God yourself. However, this only works when death is delayed, when one successfully survives, while of course sooner or later it will become apparent that the small God „Ego“ cannot prevail against the big God „death“.
Do we have to change something with the manner with which the question of meaning is responded to?
In the end it will be decisive, also for the question of God, how we deal with death. Is death the big nothingness, the last God, or does death have a deeper meaning that can give meaning? Here, we find the revolutionary in the gospel. The God of Christianity shows his power in the empathy, in the being-with with the mortal human. The human suffers, is sick, dies, is imperfect – and all this makes him amiable. All this opens the possibility of friendship, of solidarity, of empathy: We can accompany each other in joy and in suffering. We do not have to save, following modern-day fantasies of omnipotence, the whole history, the whole world, we do not have to live in this world forever, but we can open ourselves up to the Other, what bears a value in itself. The gospel lets us know that in the companionship, in the being-with with the Other above all things for his own sake, we are the ones receiving and this gift that is always bigger than everything one can force and buy, in the end is God himself. The gospel knows the power of Jesus, who might have controlled the winds and the waters, who woke up the dead. The last power of Jesus, however, can be found somewhere else, namely in the fact that he is the one who does not acknowledge death, understood as nothingness, as the last lord. Jesus does not suppress death, he knows about one’s own and the alien vulnerability of life, but he is convinced that precisely in this vulnerability and mortality of life, there is the power that remains after death. Christianity is an enormous paradox that theology, that our culture, has forgotten: It lies in the fact that only the mortal life can survive death, or phrased differently: It is Christian conviction that even death dies, that only the (seemingly) imperfect and vulnerable is perfect and healing.
With regard to the virus, not only the meaningfulness of theology, but also of a reasonable and creative God is questioned. Although the Italian mathematician Piergiorgio Oddifreddi highlights the necessity of a logos that leads our rationality, he excludes an identification of this logos with a personal God. Is a concept of comprehensive rationality, that also impacts the individual, not more adequate in these times than the concept of a personal God?
The only logos that has real value is empathy. To be human means to have the ability to have empathy with others. To experience affection. Oddifreddi’s concept of the person contains a peculiar understanding: The „I“ in this understanding is what we can see in the mirror: A person thus is what we can describe with a few words. But it is not as simple as that: To be human means to be open to our shared world, to find ways out of the reticence of existence. A stone is not a person because it cannot open up. God is the openness that becomes visible and perceptible in the encounter with others. Thus, every logos that deserves this name is personal, and not, as Oddifreddi might suggest, any algorithm – which a stone would also have.
1755, an earthquake in Lisbon claimed thousands of victims. This event – that historians consider the first media event of modern times – shaked Europe’s foundations. They produced questions of the role of God and of the humans, and of the meaning of the bad, the evil, – questions that remain relevant until today.
The world is not an object of which we can say from a distance that it is good or bad. We design the world and therein have the ability to love, within all our borders and limitations. And because and to this extent to which we can love, the world is good. It is here that the freedom of the human becomes visible. With other words: The world is not simply given in a fixed form, but ‘world‘ is what we make of it together with others. The contribution of God to the goodness of the world consists in him continuously gifting the ability to love to us humans. The big challenge is that this love is also directed to, and is specifically directed to what exceeds our horizon of imagination. In our modern craze of omnipotence, we think that the whole world must always meet our demands and ideas. Real love, however, also includes the alien, the non-familiar, that what remains a secret to us because of its otherness. The famous question of theodicy „Why does God allow all this suffering and evil?“ also implies the inability to accept that the world does not always follow our demands and commands. However, the question can also be seen as a question to God, implying that we seek dialogue with the Other, with what seems alien to us. At the end, there will not be a result in a technical sense, but maybe there will be a bit of affection towards what remains hidden to us.
Does it still make sense to theologically speak of “anger“ or “punishment“ by God?
The last word of Christianity is empathy, compassion, the love of God how it has to reveal itself to us in our very tangible attention towards the other. However, it is important that the love as the last word is embedded in an infinite register of emotions. Anger, fear, and in extreme cases hatred, the cry for retaliation – all this draws a register of affects that positively contributes to our world with emotions of affection, sympathy, tenderness – when all these emotions tend towards love in the end.
When one is faced with a pandemic like Covid-19, it would be completely perverse to see it as a direct punishment by God: God has created the world in such way that it has its own course, its own freedom. That means that humans have a task in this world that, however, they do not have to fulfil in a completely godforsaken way. Nevertheless, it also implies that the course this world takes shows human their limitations, opposes their fantasies of omnipotence, which also implicates suffering and injury. We as humans are responsible for keeping this suffering bearable – which also means to leave no one behind.
The questions of the anger and punishment of God have to be seen in the context of the discourse on God’s mercy. What was focused on varied greatly over the course of time. At all events, the discourse implies that God punishes idolatry and fault, very much based on the Bible, when one thinks of the book Hosea.
For a correct interpretation of this passage, it is necessary to pay attention to the manner in which the Bible speaks here. In the Old Testament, we find a huge love story between YHWH and Israel. The language does not aim at information, but at affects. The tense is not the historical report, but the look into the future in a renewed interpretation of the past. The Bible opens up a symphony of affects: Everything is included: Anger, revenge, hatred, tenderness, care for the Other, grief, joy, cheer, shame, a festive atmosphere etc. The whole world is caught up in these emotions whose basic tone is affection to an extent that exceeds a human scale. The crucial part, difficult to grasp for our positivistic technocratic spirit that also includes those who are proud of their piety, lies in the fact that the biblical world does not clearly differentiate between “inner world” and “outer world”, between geographic and symbolic world. Every object, every landscape, every event, every actor is a room of resonance for these emotions. A natural catastrophe or an illness is not – as in our context – a physical event which brings about certain economic and social effects, but specifically a symbolic event, which those who believe deal with emotionally, which challenges to redefine the relation with YHWH.
Maybe even more important is the fact that God is not an information machine or command machine. God does not reveal himself in instructions and expressions, but in the whole of the script. God manifests himself in the relation with his people, with the prophets and especially with the reader. One has to clearly differentiate between the role/the character “God” in the script, that only is one part of this revelation, and the interaction with all characters and with the reader that God opens tous in his truth. With other words: The role “God” in the Bible is not identical with God in the Bible, but is part of him.
The problem of the fundamentalistic approach, that can help us to also take negative emotions in the context of God seriously, is to be found in the fact that it does not need the Holy Spirit, in which the script wants to be read. It is, when it understands the divine speech as instructions and statements about God in a positivistic manner, completely godforsaken. A spirited reading, on the contrary, always contains the whole relation between the reader/the church/Israel and the text. When YHWH threatens to punish misconduct with mischief, then this mirrors the deep relationship of the whole symbolic order that comes along with political and social misconduct. It becomes apparent that human behavior has its consequences. However, just in the threats of punishment it is revealed God’s invitation for repentance, for new knowledge and understanding, for the opportunity to start anew.
Related to Covid and other catastrophes, it is not enough to speak of God as a punishing cause and of these events as their effects: That is mechanistic philosophy and spiritless theology. What such disrupting events demand are critical interpretations also in relation to our individual, social und ecclesiastical behavior. In the new beginnings that result from such processes of interpretation, Christians can recognize the voice of God, the rebuke, the invitation, and also the joy when a human can turn a crisis into a source for creativity and action.
Referring to numbers is always sad when speaking about human life. So far, millions have already died of COVID-19. In Bergamo, the trucks transporting the coffins impressively demonstrated this burden of death anew. After Auschwitz, the way to speak of God has started to change. Will COVID-19 also influence divine speech?
I think that we should not build a myth around COVID-19. It can by no means be compared to Auschwitz, where in the middle of a seemingly enlightened Germany and Europe, millions of people were murdered. COVID-19 truly is an affliction for many regions of this world, but we must not forget in Europe that this is a pandemic that the so-called Third World is suffering from again and again, without anyone in the rest of the world worrying about it. What is new about this pandemic is that it makes the vulnerability of our globalized world visible, that also the “First World” that considered itself as superior was hit full force. In our occidental world, we thought that these things only happen to the “Others”, because “our” technological progress, “our” political, economic and social system is strong enough so that we can almost control nature “at pleasure”. COVID-19 is an unbelievable insult for the fantasies of omnipotence of the so-called advanced civilizations. Parallel to all the necessary security measures that have to be implemented, an atmosphere of fear and terror is being spread in Europe, even by some experts. I think it is simply very difficult for us to not have 100% safety, and that it is humiliating for experts and politicians to not get full control over the virus. What we need in this situation is solidarity with those who are affected by the economic downswing caused by the virus. The second necessity, at least as important, is to develop a certain humility and calmness. We are not immortal, even if we thought so from time to time, und we are faced with the task to turn our attention to the Other, even if this bears some risk. God’s mercy involves him gifting us with the affection and love, and not him making us invulnerable. What is now needed is not social distancing (what a terrible word!), but humanity, courage, trust, that especially in difficult times new forms of life open up that connect humans and nature, human and human, and human and God. In these days, I always think of the conversation I had with my Mum a few weeks ago: She told me: I am 83 years old, love to live and am deeply grateful for every day that God has given me. But should I be scared of death at 83? When I die, I hope to be beneficial in another way, maybe in prayer.
Has it become necessary to say goodbye to the concept of divine omnipotence?
We need a new idea of power: Power means love towards the Other, freedom for the Other, life for everyone. Real power is thus found in setting the Other free, in not forcing him to meet my expectations and benefit. God grants his world an independent existence, its own life. He thereby provides the great gift of vulnerability so that the world cannot shut itself off to the Other carelessly. Because what is open to the Other is vulnerable. Real power means openness from which love and life can grow. One should maybe also consider what it means when someone – e.g. new life – receives a new name: With this new name, he/she is never again “nothing”. The name will also exist after one’s physical death. Maybe the deep power of God lies in him giving names to his creation, to every part of his creations. Baptism demonstrates this idea.
To conclude, one question on the divine providence: This providence shaped the image of God in the tradition, for example when one thinks of Abraham’s belief in the divine providence that is even continued in light of the possible sacrifice of Isaak. Considering the depth of the belief that is connected with this, one could ask as to whether such belief in the providence of God is still possible at the beginning of the 21st century?
I think the divine providence is found in the fact, as mentioned above, that God has chosen a name for every one of us, that he affirms each and every one of us with his and her individuality and uniqueness. Abraham has also received his very specific name by God: At first, he wanted to realize the promise of eternal life through his progeny as it was tradition in the Old Orient: One lived on through one’s offspring. The sacrificing of Isaak did not lastly mean that Isaak had to be sacrificed as a means for one’s own survival. In this moment when Abraham is ready for this, he welcomes his son anew and thereby truly lived up to his name of being a father of several peoples that are not only connected biologically anymore. In brief, the individual is vulnerable and mortal, as this pandemic painfully demonstrates. But he/she also carries a name, he/she carries God’s affection that gives hints of endings and of new life even in death where human power and powerlessness only lead into a void.
Rat-Blog Nr. 25/2020
One thought on “Eine theologische Reflexion in Zeiten von COVID-19: Gott und der Sinn der Geschichte unserer Welt”
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