Umsiedeln? Ambition und Scheitern der Relocation-Programme der EU

Zweiter Teil der Reihe von Sieglinde Rosenberger.

Nach vielen Wochen des Schweigens fand in der 50. Kalenderwoche 2020 dieses ein Ende. Jetzt wird wieder über die Notwendigkeit einer Evakuierung von Menschen aus Lagern an der europäischen Außengrenze gesprochen. Der Innsbrucker Diözesanbischof Hermann Glettler machte mit der Vorsitzenden von Courage: Mut zur Menschlichkeit, Julia Stemberger, eine Visite in ein griechisches Flüchtlingslager und rief dann in der Kathpress (10.12.2020) die österreichische Bundesregierung auf, Menschen mit einem positiven Asylbescheid angesichts der katastrophalen Zustände doch aufzunehmen. Weitere Stellungnahmen und Aktionen fanden statt, z.B. eine symbolische Herbergssuche vor dem Wiener Stephansdom. Weitere an den Wert der Menschlichkeit appellierende Stimmen, wie jene von Ex-Raiffeisen Aufsichtsratspräsidenten Christian Konrad wurden laut, denn der Lage könne nicht mit einer Diskussion über pull-Faktoren und Abschreckung begegnet werden. Medien berichten also wieder über Menschenrechte und Menschenwürde an den europäischen Außengrenzen, sie geben mitten der Pandemie diesen Themen wieder Raum und Aufmerksamkeit. Die bevorstehenden Weihnachten steuern symbolpolitischen Rahmen bei.

Die Bundesregierung schweigt (noch) dazu. Vielleicht nicht mehr lange, denn etwa 100 besonders vulnerable Menschen aus griechischen Lagern aufzunehmen, erlaubt in einer symbolträchtigen Zeit doch menschliches Antlitz zu zeigen. Bis es aber soweit ist, sei ein Blick auf den Stand der Relocation-Politik geworfen.

Relocation ist ein europäisches Programm und meint die Umsiedlung von schutzbedürftigen Personen von einem EU-Staat in einen anderen EU-Staat. Umgesiedelt werden sowohl Personen mit abgeschlossenem Asylverfahren als auch Menschen, deren Asylverfahren noch durchzuführen ist. Dieses gemeinschaftliche asylpolitische Instrument geht auf die Migrationskrise 2015 zurück und wird primär als Maßnahme der Solidarität innerhalb der EU, des Lastenausgleichs (genannt: burden-sharing) diskutiert, ja als solches gefordert.

Das erste Relocation-Programm (2015-2017) war in Bezug auf die Aufnahme von Menschen ein klein wenig erfolgreich (über 5.000 Menschen wurden umgesiedelt), in Bezug auf die EU-Solidarität eindeutig nicht. Nach dem immer deutlicher wurde, dass ein Teil der EU-Mitgliedsstaaten die vereinbarte Relocation-Politik nicht mittragen würden, geschweige denn die mit einer Mehrheitsentscheidung im Rat getroffene Vereinbarung umsetzen würden (Polen, Ungarn, Tschechien), brachte der deutsche Innenminister (CDU) den Vorschlag der „Koalition der Willigen“ ein. Diese besteht aus Deutschland, Frankreich, Finnland, Luxembourg, Portugal, Irland und mittlerweile hat sich ihr auch die Niederlande angeschlossen. Dennoch, die europäische Abwehr gegen Geflüchtete ist beträchtlich. Nach IOM-Berichten dürften über das Relocation-Programm der EU im Jahre 2020 nicht viel mehr als 1.000 Menschen transferiert worden sein (gleichzeitig leben aktuell in Lagern an der europäischen Außengrenze ca. 50.000 Menschen). Zum Zug kamen in erster Linie unbegleitete Minderjährige/Jugendliche. Im Gegensatz dazu waren es 2016 noch über 5.000 Personen, die in andere EU-Länder gebracht wurden. Diese Zahlenentwicklung lässt erahnen wie sich der asylpolitische Abschreckungsdiskurs quer durch Europa ausgebreitet hat und in die Mitte des politischen Spektrums eingewandert ist.

Relocation ist faktisch also kein Erfolgskonzept. Die EU-Kommission hat auf die Situation der Nicht-Einigung unterschiedlich reagiert. Sie hat zum einen mit Hilfe vor Ort (Güter und Gelder) reagiert; sie kam zum anderen mit einem „Neuen Pakt über Migration und Asyl“ an die Öffentlichkeit. Dieser Pakt sieht für jene, die sich nicht an der Aufnahme beteiligen, sog. Abschiebepartnerschaften vor. Wer nicht aufnimmt, kann sich also im Gegenzug bei der effizienten Abschiebung von Menschen ohne positivem Asylbescheid engagieren. Offen ist noch, ob die Personen aus den griechischen Lagern in die jeweiligen Länder – wie Ungarn, Polen, Tschechien – gebracht werden oder ob sie weiterhin in Griechenland bleiben und dort zu warten haben, bis die Abschiebung durchgeführt werden kann. Was in vielen Fällen nicht möglich sein wird, denn eine Abschiebung nach Syrien würde z.B. auf die diplomatische Anerkennung des Assad-Regimes hinauslaufen.

Diese euphemistischen Abschiebepartnerschaften scheinen eine Komponente des Asylmanagements der Zukunft zu sein. Die andere sind weiterhin Relocation-Verfahren. In Deutschland übernehmen Städte und Kommunen eine bestimmte Anzahl von vulnerablen Menschen, zuletzt die Stadt Hannover insgesamt 150 Menschen. Und Österreich? Noch misst sich das offizielle Österreich nicht mit Hannover. Noch erlaubt Österreich selbst besonders vulnerablen Gruppen, wie Kindern und Jugendlichen, keine Aufnahme.


Rat-Blog Nr. 28/2020

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