Das Spielzeug-Angebot der Bestattung Wien. Religionswissenschaftliche und theologische Ausblicke. Teil 1.

Mitglieder des RaT-Teams beleuchten ein zeitgenössisches Phänomen. Diese Woche mit Beiträge von Margareta Wetchy, Katharina Limacher und Lisa Achathaler.

In einer Zeit, in der um Krankheit und Tod herum sehr viel gesprochen wird, aber wenig direkt darüber, lohnt sich ein Blick auf die Website der Bestattung Wien. Diese betreibt seit einigen Jahren auch ein (übrigens sehr empfehlenswertes) Bestattungs-Museum mit zugehörigem Museumshop. Dieser zeichnet sich seither durch urwienerischen Galgen-Schmäh aus (wie im Falle des T-Shirts mit dem Aufdruck „Ich lese bis ich verwese“), hat aber gerade in der Covid-Krise sein Angebot nochmals ausgebaut. Die Erweiterung des Portfolios und überhaupt das Feilbieten von Waren, die den Tod figurieren, erscheint ökonomisch wie psychologisch geschickt (geschweige denn sehr wienerisch), ist aber bisher noch sehr wenig kommentiert worden, auch nicht von Seiten der Religionsforschung.

Das möchte das RaT-Team ändern. Besonders interessant erscheinen uns die LEGO®-Komponenten-Bausätze, die den Tod auf spielerische Weise ins Wohnzimmer holen, wo wir heute aber recht alleine damit dastehen, mit dem Tod und der Trauer nämlich. Mitglieder des RaT-Teams haben daher ihre religionswissenschaftliche Expertise ausgepackt, um unsere Leser*innen nicht ganz allein hängen zu lassen. Im ersten Teil unserer Reihe widmet sich Margareta Wetchy dem Reflexionsmoment über den Selfie-Sarg, Katharina Limacher gibt einen Einblick in die Geschichte der Einäscherung in Wien und Lisa Achathaler begutachtet den letzten Weg. Hang in there! (Einleitung von Marlene Deibl )

Der Selfie-Sarg

von Margareta Wetchy

Mit überschaubaren 34,90 Euro ist man dabei. Bestattung Wien bietet nun auch ein echtes Highlight für jede Wohnzimmervitrine: den Selfie-Sarg aus LEGO® Komponenten. Empörten Online-Shoppenden schießen beim Lesen des Titels sofort zwei Fragen in den Sinn: „Wer kauft so was?“ „Darf man das?“

Beides scheint nicht sofort beantwortbar, also holen wir ein paar Sätze aus. Aus der Beschreibung des Objekts geht hervor, dass der beabsichtigte Sinn des Produkts ist, Selfie-Begeisterte auf die Gefahren ihrer Besessenheit mit dem perfekten Foto ihrer Selbst hinzuweisen. „Eure Jagd könnte euch das Leben kosten“, scheint unsichtbar auf das Produkt geschrieben. Mit diesem Wissen im Hinterkopf können wir nun die Zielgruppe des Sarges ableiten: Besorgte Mütter, Großväter und Freundinnen, die sich um das Wohl ihrer Angehörigen sorgen. Als humoristisches Geschenk wird es sich allemal eignen – ein Unterbinden der Selfie-Jagd scheint, wie bei jedem Versuch der Beeinflussung popkultureller Entwicklungen, unmöglich.

In die Beantwortung von „Darf man das?“ fließen natürlich die Erkenntnisse mehrerer Fachgebiete ein. Zuerst einmal die der Spielzeugindustrie: Nachdem LEGO als Marke klar deklariert ist, scheint dieser Aspekt des Produkts unproblematisch. Die Frage nach verschluckbaren Einzelteilen müsste mittels Kontaktformular direkt an den Händler gestellt werden – auch dieser Aspekt ist also bedacht. Die Kulturwissenschaften wurden oben bereits tangiert: Selfies sind in, LEGO ist immer noch in, Menschen lachen, wenn sie den Titel hören, also bildet das Objekt schlicht die Realität ab und ist so ein geradezu notwendiges Produkt unserer Zeit. Da die Auseinandersetzung mit dem Tod schnell der Religionswissenschaft/Theologie untergejubelt wird, soll auch deren Perspektive zu Wort kommen. Die Definition von Religion fällt bekanntlich schwer und lässt so jedem seinen Zugang dazu offen – Zugänge, die sich der Funktion von Religion und religiöser Symbolik widmen, machen manch einem deren Begreifen einfacher. Der Selfie-Sarg als Orientierung gebendes Symbol – ein möglicher Teilaspekt der Funktion von Religion – scheint wohl (noch) nicht zutreffend. Der Selfie-Sarg als Anlass zum Nachdenken gebendes Symbol für die unbeschreibliche Unbehaglichkeit unserer Gesellschaft mit dem Tod ist da verhältnismäßiger und legitimiert dessen Herstellung und Verkauf so vollkommen.

Bei nur wenigen Dingen, die online bestellt werden können, kann man sich so sicher sein wie hier, dass der/die Beschenkte das Präsent noch nicht besitzt. Die Nachricht, dass der Selfie-Sarg sofort versandfertig ist und in ein bis drei Werktagen bei mir bzw. einer/m zu Beschenkenden sein könnte, ist Anlass zu erleichtertem Aufatmen. Die Tatsache, dass ich während des Schreibens dieses Absatzes vom Sarg-USB-Stick als einem weiteren für mich ausgewählten Produkt abgelenkt werde, ist für mich nur Ausdruck des bewundernswerten Trend-Gespürs des Bestattung-Teams.


Der Krematoriumsofen

von Katharina Limacher

Als im 19. Jahrhundert die Feuerbestattung von Verstorbenen zunehmend (wieder) salonfähig wird und langsam beginnt, die bis dahin übliche Erdbestattung in Europa zu verdrängen, geht damit auch eine wichtige technische Veränderung des Bestattungswesens einher: die Entwicklung des Kremationsofens. Dass der Online-Shop der Bestattung Wien einen Lego-Krematoriumsofen feilbietet, ist ein guter Anlass, einen Blick auf dieses anspruchsvolle Stück Technik zu werfen – immerhin sind für Einäscherungen von toten Körpern Temperaturen zwischen 650 und 850 Grad Celsius notwendig.

In Wien eröffnete das erste Krematorium 1922 und ein Auszug aus der Satirezeitschrift Kikeriki[1] – damals bereits deutschnational in ihrer politischen Ausrichtung – widmet dem Bau des Krematoriums eine Glosse. Wenig erstaunlich wird das Bauwerk als verschwenderisches Projekt der Politik des roten Wiens kritisiert. Im Artikel werden spöttisch einige Möglichkeiten skizziert, wie sich die Kommune auch nach dem Tod an ihren Bürger*innen bereichern können wird, indem sie etwa die Kleider der Toten weiterverkauft: „Und wenn sie die Lebenden schon ausgezogen hat, wer hindert sie, das den Toten erst recht zu tun? Statt dass die teuren Kleider in einer Grube verfaulen, könnten diese in einer städtischen Tandlerei eine fröhliche Auferstehung feiern, Schuhe, Wäsche könne wieder dem Konsum zugeführt werden.“

Ein weiterer Punkt, der angesprochen wird und der Bedenken abbildet, die auch in anderen Kontexten der damaligen Debatte um die Einführung der Krematorien eine Rolle spielten, ist die (physische) Distanz zwischen dem Toten und seinen Angehörigen und damit einhergehend einer Entrückung und eventuell auch Anonymisierung des Prozesses des Abschiednehmens: „Wenn die Leiche in die Anstalt eingeliefert ist, sehen sie die Angehörigen nicht mehr, und die Kommune kann mit ihr machen, was sie will“.

Auch wenn das Leichen- und Bestattungsgesetz sehr genau regelt, wie eine Kremation abzulaufen hat, lässt sich doch nicht leugnen, dass die Kette derjenigen Praktiken, die sich rund um menschliches Sterben und die konkreten Körper unserer Toten etablieren, mit der Einführung des Krematoriums eine Veränderung erfahren. In die Reihe der Spezialistinnen und Spezialisten, die sich mit der Materialität des Todes befassen, gesellt sich mit dem Krematoriumsofen ein Akteur, der diese Materialität verschleiert und transformiert: Der/die Tote wird ihm übergeben und mit dem, was nach dem Feuer überbleibt, haben vermutlich weniger Menschen Kontakt, als dies bei einer Erdbestattung der Fall ist. Denn wird ein Mensch in der Erde bestattet, löst der Leichnam durch seine Materialität eine ganze Reihe zusätzlicher Praktiken aus; etwa, wenn es gilt, ihn von der Leichenhalle zum Friedhof zu transportieren und dort sachgemäß in einem Grab zu deponieren.

Vielleicht könnte man sagen, dass der tote Körper durch seine Transformation im Krematoriumsofen einen Teil seiner Widerspenstigkeit verliert und zunehmend unsichtbar wird – er löst sich sozusagen in Luft bzw. Asche auf. Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht kein Zufall, dass das Lego-Set zwar mit einem Sarg, einem Ofen mit Flammen, einer Urne und einem grimmigen Pompfüneberer geliefert wird, dass ein Leichnam aber fehlt.


Der Leichenwagen

von Lisa Achathaler.

Der Leichenwagen diente in unterschiedlichen Epochen und Kulturen den Transportmöglichkeiten des verstorbenen Individuums und war häufig auch in das Verabschiedungszeremoniell selbst eingebunden[2], wie etwa auch heute noch aus Trauerzügen im öffentlichen Raum ersichtlich wird. Der Bestattungswagen bildet damit auf der einen Seite einen wichtigen Bestandteil der Logistik, die den Bestattungsritualen vorausgeht, ist aber zugleich auch in die Verabschiedungsrituale selbst eingebunden.

Die genauen Ausführungen des Leichenwagens werden vom Bestattungsunternehmen in Auftrag gegeben. Beispiele von ungewöhnlicheren Ausführungen in Europa reichen von einem Lastenfahrrad[3] über einen Motorradbeiwagen[4] bis hin zu Spezialanfertigungen im Sportwagensektor[5]. Auch Elektroautos sind neuerdings darunter. Dennoch bleiben auch diese Sonderanfertigungen als Leichenwagen gut erkennbar.

Neben der Transportfunktion und der Einbindung in die Trauerrituale, erfüllen alle der genannten Ausführungen aber noch eine weitere wichtige Aufgabe, die darin besteht, auf den Tod auch im Alltag und auf die damit verknüpfte Achtung vor dem verstorbenen Individuum pietätvoll zu verweisen. Daraus ergibt sich eine hohe Symbolkraft die dazu beiträgt, dass auch die Transport- oder Wegstrecken, die zwischen den Orten A und B liegen, an Bedeutung gewinnen.

Dies ist wohl auch einer der Gründe, warum uns Informationen, die uns während der Corona Krise 2020 erreicht haben, in denen das Militär die Vielzahl an Verstorbenen in Särgen mit Militärfahrzeugen abtransportieren musste[6], verstummen lassen. Denn hier zeigte sich besonders eindringlich, dass Leichenwagen immer Funktionen erfüllen, die über deren zweckmäßige Transporte hinausweisen.

Fortsetzung folgt.


Fotos und alle Rechte auf die LEGO-Produkte: https://www.bestattungwien.at/eportal3/

Bild des Historischen Krematoriumsofens: Rechte bei der Österreichischen Nationalbibliothek via https://club.wien.at/magazin/specials/stadtunbekannt-feuerhalle/.


[1] https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=kik&datum=19220813&seite=2&zoom=33&query=%22krematorium%22&ref=anno-search

[2] F. Reuss, Der Leichenwagen des Alexanders des Großen, in: Rheinisches Museum für Philologie Neue Folge 61 (1906), pp. 408-413. Online verfügbar unter: https://www.jstor.org/stable/41246745?casa_token=Dv9HeuC4gvgAAAAA%3AtdoLqum3Jn3PpSmizaxvzMSb6ULVvKkMajp_fYB5Ux1bWMDPgw9R0a5LQrasVM434DkVNBZPEk_ocyMO_v2XQWnEkXN519GM5GGVDtm867Imrf4wwJDc&seq=1#metadata_info_tab_contents [letzter Zugriff am 26.01.2021]; siehe auch J. Smolian, Vehicula religiosa Wagen in Mythos, Ritus, Kultus und Mysterium, in: Numen 10 (3/1963), pp. 202-227. Online verfügbar unter:

https://www.jstor.org/stable/3269322?casa_token=yZCNdHjPQYAAAAAA%3AG5itG7GFBRIxJzpdspNnNh1ET5VESQ9C9z7f8SEM8N17mDaXLblFFb8mFnIfS0VSandKJcFigIjHNasc9EtAMKjAqLKSQ7nzWa7AW12DqzbIAQMp9tCK&seq=2#metadata_info_tab_contents [letzter Zugriff am 26.01.2021].

[3] Jörg Nielsen, Oldenburger Künstler will Tote mit einem Bestattungsrad zum Friedhof bringen. Mit dem Sarg-Rad zur Beerdigung, in: Kirche und Leben. Katholisches Online Magazin. 14. September 2020. Online verfügbar unter: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/mit-dem-sarg-rad-zur-beerdigung [letzter Zugriff am 26.01.2021].

[4]Bestattung Frisch. Motorradbestattung. Verfügbar online unter: https://bestattung-frisch.de/portfolio/motorradbestattung/ [letzter Zugriff am 26.01.2021].

[5] Siehe zum Beispiel: https://gilly.berlin/2017/11/02/liebeserklaerung-an-an-den-jaguar-e-type-leichenwagen-aus-harold-und-maude; https://ecomento.de/2016/10/14/tesla-model-s-leichenwagen-bestatter-version-2016/ [letzte Zugriffe am 26.01.2021].

[6] „Coronavirus: How Covid-19 is denying dignity to the dead in Italy“ By Sofia Bettiza; BBC World Service. Published 25 March 2020 https://www.bbc.com/news/health-52031539 [letzter Zugriff am 26.01.2021].


RaT-Blog Nr.8/2021

  • Margareta Wetchy works as an organizational assistant at the Research Centre Religion and Transformation at the University of Vienna. Her main research interests are contemporary social, cultural and political movements on the Arabian Peninsula and in Syria and Iraq.

  • Katharina Limacher ist VDTR Programmmanagerin und Religionswissenscahftlerin an der Universität Wien. Sie mag das Sommertreiben genauso wie die aktuell noch relativ ruhigen Museumsinnenräume.

  • Lisa Achathaler ist uni:docs Fellow der Universität Wien und verfasst ihre Dissertation am Institut für Systematische Theologie und Ethik.

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