Das Spielzeug-Angebot der Bestattung Wien. Religionswissenschaftliche und theologische Ausblicke. Teil 2.

Mitglieder des RaT-Teams beleuchten ein zeitgenössisches Phänomen. Diese Woche mit Beiträge von Hannah Bleckenwegner und Daniel Kuran, eingeleitet von Marlene Deibl.

In einer Zeit, in der um Krankheit und Tod herum sehr viel gesprochen wird, aber wenig direkt darüber, lohnt sich ein Blick auf die Website der Bestattung Wien. Diese betreibt direkt am Zentralfriedhof seit einigen Jahren auch ein (übrigens sehr empfehlenswertes) Bestattungs-Museum mit zugehörigem Museumshop. Dieser zeichnet sich seither durch urwienerischen Galgen-Schmäh aus (wie im Falle des T-Shirts mit dem Aufdruck „Ich lese bis ich verwese“), hat aber gerade in der Covid-Krise sein Angebot nochmals ausgebaut. Die Erweiterung des Portfolios und überhaupt das Feilbieten von Waren, die den Tod figurieren, erscheint ökonomisch wie psychologisch geschickt (geschweige denn sehr wienerisch), ist aber bisher noch sehr wenig kommentiert worden, auch nicht von Seiten der Religionsforschung.

Das möchte das RaT-Team ändern. Besonders interessant erscheinen uns die LEGO®-Komponenten-Bausätze, die den Tod auf spielerische Weise ins Wohnzimmer holen, wo wir heute aber recht alleine damit dastehen, mit dem Tod und der Trauer nämlich. Mitglieder des RaT-Teams haben daher ihre religionswissenschaftliche Expertise ausgepackt, um unsere Leser*innen nicht ganz allein hängen zu lassen. Im zweiten Teil unserer Reihe geht es um die familiären und psychologischen Aspekte der Baukästen und der affektiven Dimensionen des Spiels. Hannah Bleckenwegner führt uns an den spielerischen Umgang mit Trauerprozessen am Beispiel der Leichenkutsche heran. Dann übernimmt Daniel Kuran den letzten Weg mit einem kulturhistorisch-philosophischen Blick auf die Trauerfamilie, die ebenfalls im Baukasten-Satz erhältlich ist. Bühne frei! (Einleitung von Marlene Deibl )


Die Leichenkutsche

von Hannah Bleckenwegner

„Zunächst leise, dann immer lauter werdend hört man die Hufeisen auf dem Pflaster. Dann das Gewieher der Pferde. In der Ferne tauchen die Umrisse der Schimmel auf, des Kutschers oben am Bock. Hinter ihm ragt die schwarze Kutsche empor, gespenstig anmutend im Nebel.“ Theatralisch stoppt das Mädchen ihre Leichenkutsche aus Lego vor dem auf dem Wohnzimmerteppich aufgebauten Lego-Friedhof. Gleichzeitig imitiert sie das Weinen der Angehörigen, die auf ihre verstorbene Oma warten.

Trauern. Was ist das? Warum sind alle plötzlich so niedergeschlagen? Warum weinen sie? Habe ich etwas falsch gemacht? Warum liegt Oma in diesem Sarg?

Fragen, die sich Kinder nach einem Todesfall im Familienumfeld stellen und welche oftmals nicht oder nur unzureichend beantwortet werden, wohl weil Trauer und Tod in unserer Gesellschaft nach wie vor sehr tabuisiert werden.[1] Gerade wenn eine enge Bezugsperson stirbt, ist es wichtig, Kinder in den Trauerprozess miteinzubeziehen. Wie von Kinder- und Jugendpsycholog*innen untersucht, wird Kindern erst allmählich in ihrem Entwicklungsprozess bewusst, dass der Tod eine unumgängliche Komponente des Lebens ist. Dabei vollziehen sich verschiedene altersbezogene Entwicklungsschritte des kindlichen Bewusstseins im Zusammenhang mit Sterben und Tod.[2] Je nach Entwicklungsstadium kommt dem spielerischen Verarbeiten von Erlebtem große Bedeutung zu. Nicht nur ist es wichtig, dass Kinder ihre Gefühle wahrnehmen und äußern können, was am besten durch das Vorleben Erwachsener vermittelt wird, es bedarf dafür auch entsprechender Ausdrucksformen für diese Gefühle wie Malen oder freies Spielen.[3] Vielleicht ist durch diese auf den ersten Blick etwas skurrile Idee, Lego Spielzeug zum Thema Tod zu kreieren, ja ein Schritt in Richtung Enttabuisierung und Normalisierung von Sterben und Tod, insbesondere für das kindliche Verständnis, geschaffen worden.


Die Trauerfamilie

von Daniel Kuran

Die Lego Komponenten sind – wie vielleicht manche Lego-Sammler*innen auch unterstreichen werden – mehr als nur Spielzeug. So kommt ihnen ein eigener Stil zu, der oftmals gerade damit zu tun hat, die Realität nicht abzubilden, wie sie ist, sondern auf eigentümliche Art ins Lego-Universum zu übersetzen und zu verfremden. Dennoch wird man nicht bestreiten, dass die Lego-Sets es vermögen, Themen, Orte und Situationen des Lebens in verkleinerter Form einem anderen Umgang zugänglich zu machen, der das Spiel miteinschließt.

Im Gegensatz zu Denkmälern, Kunstwerken oder Gebäuden kann sich im Spielgerät noch eine andere Dimension menschlicher Zeitlichkeit niederschlagen, die weniger Autorität, Überzeitlichkeit und Geltung beansprucht. Vielleicht haben sich deshalb Menschen, die sich mit den Fragen nach Zeit und Geschichte intensiv befasst haben, wie Walter Benjamin und Giorgio Agamben, immer wieder auch mit Spielsachen auseinandergesetzt und diese manchmal so detailreich und ernstnehmend beschrieben, wie dies beispielsweise in der Philosophie des Idealismus nur großen Kunstwerken zu Teil wurde. Erlebte, aber auch noch nicht erlebte Zeit, können im Spiel nachvollzogen, projiziert, transformiert und vertieft werden und dabei eine, wenn auch niemals gänzlich freie, aber doch durch ein „Mehr“ an Freiheit gekennzeichnete Umgangsweise mit Zeitlichkeit ermöglichen, die nicht zur Festlegung von Bedeutung gezwungen ist.

Das Lego-Set mit dem Titel „Trauerfamilie“ besteht aus 6 Figuren auf grünem Untergrund, die sich im Vergleich zu den anderen Lego-Sets der Bestattung Wien vor allem durch den affektiv bewegten Gesichtsausdruck hervorheben. In den Lego-Gesichtern kann die Trauer nur in beschränkter Form und dadurch bereits abgeschwächt dargestellt werden, aber sie enthalten dennoch eine Art zeitlicher Variation, die von erschrocken, über verzagend bis zu bereits entfernterer Traurigkeit reicht. Dass zusätzlich auch Figuren von zwei Verstorbenen und sogar ein Skelett dargestellt werden, mag auf den ersten Blick vielleicht pietätlos wirken und die Frage, ob dies zu weit geht, bleibt schließlich jedem selbst überlassen. Eine Möglichkeit wäre es jedenfalls, diese Einbeziehung der Verstorbenen in die Trauerfamilie nicht nur als makabre Ironie zu deuten, sondern dies als einen positiven Umgang mit Trauerritualen zu sehen, der zugleich so etwas wie einen spielerischen Ernst kennt. Mit Agamben, der – bereits im letzten Jahrtausend – bei einem Auslug ins „Land der Spielzeuge“ auf Lévi-Strauss zurückgreift, lassen sich Ritus und Spiel als zwei verbundene Gefäße verstehen: Jeder Ritus hat einen Anteil Spiel und jedes Spiel einen Anteil Ritus. Sie haben aber eine unterschiedliche Beziehung zur Zeit. Die These lautet: „Während der Ritus Ereignisse in Strukturen verwandelt, verwandelt das Spiel Strukturen in Ereignisse.“[4] Der Ritus überführt demnach Diachronie in Synchronie, während das Spiel umgekehrt Synchronie in Diachronie transformiert. Ein Beispiel: Die Erfahrung des Begräbnisses kann nicht zuletzt deshalb wichtig werden, weil sie den Bruch, den der Tod in jeder Synchronie von Zusammenlebenden darstellt und die dadurch aufgebrochene Diachronie wiederum in eine neue Synchronie zu übersetzen vermag. Damit geht oft eine Menge an Regeln und Normierungen einher, die von der Farbe der Kleidung, über Sprache und Tonfall bis hin zu der Regulierung der geheimsten Gefühle, eine Gleichzeitigkeit der Trauernden erzeugt. Diese kann höchst notwendig sein, lässt aber vielleicht auch einen Platz für das Spiel als eine Begleitform dieses Trauerns frei: Im Spiel gibt es die Freiheit, die Strukturen dieser Gleichzeitigkeit auch wieder abzubauen, den Vorgang zu wiederholen, Rückgängig zu machen und so innerhalb des Spiels Figuren zu erzeugen, die sich nicht in jene Synchronie einordnen lassen. Auch wenn dies immer nur begrenzt bleibt, kann das Spiel damit einer (fragwürdigen) absoluten Trennung von Toten und Hinterbliebenen und damit der Tendenz einer Gesellschaft, die sich auf den Ausschluss der Toten zu gründen droht, entgegenwirken.


Fotos und alle Rechte auf die LEGO-Produkte: https://www.bestattungwien.at/eportal3/


[1] BLATAKES, Saskia. 2020. Gertrude Bogyi: „Die Wahrheit ist Kindern zumutbar“. https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/reflexionen/zeitgenossen/2079384-Gertrude-BogyiDie-Wahrheit-ist-Kindern-zumutbar.html (03.02.2021).

[2] HAAGEN, Miriam, MÖLLER, Birgit. 2013. Sterben und Tod im Familienleben. Beratung und Therapie von Angehörigen von Sterbenskranken. Göttigen: Hogrefe.

[3] RAINBOWS. https://www.rainbows.at/tipps-tod-trauer/ (04.02.2021).

[4] AGAMBEN, Giorgio, „Das Land der Spielzeuge. Reflexionen zur Geschichte und zum Spiel“, in: Agamben, Kindheit und Geschichte, Übers.: Davide Giuriato, Frankfurt am Main 2001 [1978], S. 108f.


RaT-Blog Nr. 8/2021