Der Campus der Religionen in Wien als inter- und multireligiöse Kooperation – Organisation, Synergien und Herausforderungen

Elisabeth Waldl hat die Entwicklung des Projekts beforscht und fasst den Stand der Dinge zusammen.

Im vergangenen Sommer erhielt ich die Gelegenheit einen Beitrag über den Campus der Religionen in Wien für die Publikation des Salzburger Professors Martin Rötting „Houses of Religions. Visions, Formats and Experiences“ zu verfassen.[1] Das Buch wird demnächst veröffentlicht und mein darin zu findender Aufsatz trägt den Titel „The Campus of Religions in Vienna – Interreligious Cooperation in a Unique Form“.[2] Der Text ist das Ergebnis meiner Recherchen, meiner Korrespondenz mit den Beteiligten des Projekts und meiner ausführlichen Interviews mit Vertreter*innen der beteiligten Religionsgemeinschaften und Organisationen. Auch der folgende Blogbeitrag basiert zu großen Teilen auf diesen Gesprächen, anderweitige Quellen sind explizit in den Endnoten angeführt. Der Text will die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteur*innen des Projekts in den Blick nehmen und die Organisation, Synergien und Herausforderungen thematisieren.

Der Campus der Religionen in Wien ist ein ambitioniertes Projekt interreligiöser Zusammenarbeit, bei welchem an einem gemeinsamen Ort religiöse Räumlichkeiten von acht verschiedenen Religionsgemeinschaften sowie ein neuer Hauptstandort für die Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems versammelt werden sollen.[3] Als Raum des Zusammenkommens und der gelebten Religionspraxis stehen der Dialog und die Begegnung unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Weltanschauungen im Zentrum. Diese Vision wird seit 2010 vorangetrieben und der Planungsprozess ist geprägt von dem Bestreben der einzelnen Parteien, eine Gemeinschaft zu bilden und dabei dennoch die eigene Individualität zu bewahren.

Abb. 1: Gruppenbild bei einer Pressekonferenz am 11.08.2020 mit Vertreter*innen der beteiligten Religionsgemeinschaften, der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems und der Stadt Wien, Rathaus, Wien, © PID/Markus Wache.

Die beteiligten Akteur*innen sind die Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft, die Griechisch-Orthodoxe Metropolis von Austria, die Islamische Glaubensgemeinschaft Österreich, die Israelitische Kultusgemeinde Wien, die Neuapostolische Kirche Österreich, die Evangelische Kirche A.B. Österreich, die Römisch-Katholische Kirche-Erzdiözese Wien und die Sikh Religionsgemeinschaft Österreich[4]. Diese acht Religionsgemeinschaften haben sich 2019 zu dem Verein „Campus der Religionen“ zusammengeschlossen, welcher als offizieller Träger das Projekt vorantreibt.[5] Weiters ist seit 2018 die Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems als Bildungspartner*in mit interreligiöser Kompetenz Teil des Projekts und nimmt bedeutenden Raum in der Planung und Verwirklichung des Vorhabens ein. Als Unterstützung für die Konzeption und Koordinierung wurden von Seiten der Stadt Wien das Projekt Management Seestadt Aspern und die Vienna 3420 aspern Development AG mit einbezogen.

Im Jahr 2020 wurde mit einem Architekturwettbewerb und der Präsentation des Siegerprojekts von dem Architekturbüro Burtscher-Durig die erste große Planungsphase abgeschlossen.[6] Diese Phase war geprägt von größeren und kleineren Herausforderungen auf organisatorischer und auch zwischenmenschlicher Ebene. Im Jahr 2015 wurden das Projekt direkt mit antisemitischen Angriffen konfrontiert, die sich gegen die Fahne der Israelitischen Kultusgemeinde am Bauplatz gerichtet hatten.[7] Als Reaktion auf diese Vorfälle kamen die Projektbeteiligten zusammen, luden weitere Religionsgemeinschaften ein und zeigten gemeinsam ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinde. Neben diesen Allianzbekundungen war es zu Beginn der Zusammenarbeit für das gemeinsame Projekt notwendig, ein grundlegendes Verständnis füreinander und die vielfältigen Traditionen aufzubauen. Es war unabdingbar, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, um die unterschiedlichen Begriffe, Vorstellungen und Konzepte der jeweiligen Religionen und Weltanschauungen verstehen zu können. Dadurch wurden auch die unterschiedlichen Bedürfnisse und Anforderungen an das Vorhaben und seine materielle Realisierung deutlich.

Abb. 2: Baufeld H2 mit den Fahnen der Teilnehmer*innen, Seestadt Aspern/Wien, 20.08.2020, © Elisabeth Waldl.

Auf einem Baugrund in der Seestadt Aspern soll rund um einen gemeinsamen Platz ein Arrangement aus eigenständigen Gebäuden und Räumen entstehen. Auf diesem Schema basiert auch die Bezeichnung Campus der Religionen als ein offenes Feld der Begegnung, auf dem jede Gemeinschaft für sich alleinsteht, alle gemeinsam aber dennoch eine Einheit bilden. Das Nebeneinander soll die Gleichheit aller Partner*innen hervorheben, kann jedoch in praktischer Hinsicht auch als ein Umgehen von Herausforderungen bezüglich der Planung und Kooperation angesehen werden. Denn mit dem angedachten Konzept eigenständiger religiöser Räumlichkeiten kann den Schwierigkeiten einer Entwicklung eines gemeinsamen multireligiösen Gebäudes ausgewichen werden. Gleichwohl führen die unterschiedlichen Bedürfnisse, Vorstellungen und Möglichkeiten bezüglich der Gestaltung der Architektur, der Größe und vor allem des Bedarfs zu Hindernissen. Nicht alle Religionsgemeinschaften können oder wollen ein religiöses Gebäude bauen und eine neue Gemeinde gründen. Dies betrifft die Evangelische Kirche A. B., die Israelitische Kultusgemeinde und die Neuapostolische Kirche. Ein Hauptfaktor bei der Problematik ist nicht nur die kaum vorhandene Nachfrage von ihren Gläubigen nach einem sakralen Ort in Seestadt Aspern, sondern auch die Frage der Finanzierung.

An diesen Punkten tritt die unterschiedliche Ausgangssituation der einzelnen Gemeinschaften deutlich hervor, denn jede Gemeinschaft ist für die Errichtung und Finanzierung selbst zuständig. Auch für die Kirchliche Pädagogische Hochschule, welche einen großen Raum auf dem Campus für sich beanspruchen wird, ist die Finanzierung noch nicht völlig geklärt. Der Baugrund selbst wurde 2019 von der Stadt Wien für den Zweck der Errichtung des Campus der Religionen zur Verfügung gestellt.[8] Die bisherigen Kosten für die Planung und den Architekturwettbewerb wurden von der Vienna 3420 aspern Development AG und der Erzdiözese Wien übernommen. Die Mittel der katholischen Kirche kamen hierbei aus dem Fördertopf des Wiener Stadterweiterungsfonds und wurden für die Aufwendungen in der Vorbereitungsphase verwendet.[9] Auch für die gemeinsamen Bereiche des Campus wie beispielsweise den zentralen Platz fehlt noch eine Finanzierungsstrategie. Es werden Spendenaktionen in Betracht gezogen und es wird auf Subventionen durch öffentliche Stellen gehofft.

Im Laufe der engen Zusammenarbeit über die vielen Jahre ist es gelungen, mit der Intensivierung des interreligiösen Dialogs eines der zentralen Anliegen des Projekts bereits zu verwirklichen. Die einzelnen Akteur*innen der Religionsgemeinschaften, der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule und jener der Stadt Wien haben sich näher kennen gelernt, behandelten sich mit gegenseitigen Respekt und schufen eine angenehme Arbeitsatmosphäre. Eine Partner*innenschaft auf Augenhöhe wurde angestrebt, jedoch ist diese aufgrund der Größe, Diversität und Heterogenität der Gruppe herausfordernd in der Umsetzung. Ein Ungleichgewicht unter den Religionsgemeinschaften kann auf Basis der Größe der Anhänger*innenschaft, der gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten und finanzieller Ressourcen nicht von der Hand gewiesen werden. Neben Harald Gnilsen als Baudirektor der Erzdiözese Wien befinden sich Großteils ehrenamtliche Vertreter*innen der Religionsgemeinschaften in den Planungsgruppen, welche keine Erfahrung bei Bauprojekten mitbringen. Als Initiator des Campus und als Architekt war es naheliegend, dass Gnilsen die Leitung übernimmt und somit die Geschicke lenkt. Aufgrund der Position der katholischen Kirche in der österreichischen Gesellschaft, ihrer Führungsfunktion im Projekt und auch durch die katholische Trägerschaft der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule ist eine Dominanz dieser unter den Beteiligten deutlich spürbar.

Dass scheinbar nicht alle Parteien gleiches Gehör geschenkt wird, lässt sich am Beispiel der evangelischen Kirche A. B. nachvollziehen. Diese hatte den Wunsch, einen gemeinsamen kirchlichen Raum für alle beteiligten christlichen Konfessionen zu errichten. Gründe dafür waren einerseits der ökumenische Gedanke und eine Weiterführung der Idee des interreligiösen Projekts sowie andererseits die nicht vorhandenen finanziellen Möglichkeiten für einen eigenständigen Bau. Vertreter*innen der evangelischen Kirche, unter denen sich auch die einzige Frau des gesamten Projektteams der Religionsgemeinschaften befindet, verdeutlichten seit Beginn der Planungen, dass sie keine eigenständigen Räumlichkeiten für sich errichten können und wollen. Diese Position scheint nicht wirklich wahrgenommen worden zu sein. Obwohl ein Beitrag in Form eines Gebäudes für die evangelische Kirche A. B. nicht angedacht ist und auch bei der Israelitischen Kultusgemeinde und der Neuapostolischen Kirche sehr unwahrscheinlich zu sein scheint, wurden Gebäude für alle drei Gemeinschaften in der Ausschreibung des Wettbewerbs inkludiert und dadurch auch im Siegerentwurf miteingebunden.

Den drei Parteien ist es aber wichtig, zu betonen, dass, auch wenn sie wohl keinen physischen Beitrag zum Campus der Religionen leisten werden, ihre ideelle und symbolische Beteiligung am Projekt nicht gemindert ist. Allen involvierten Religionsgemeinschaften ist eine starke Identifikation mit der grundsätzlichen Vision des Campus der Religionen gemein und sie fühlen sich alle trotz der großen Herausforderungen dem gemeinsamen Vorhaben verpflichtet. Es ist ein großer Balanceakt, die Wünsche von acht verschiedenen Religionsgemeinschaften zusammenzubringen, ihre Gemeinsamkeiten hervorzuheben und dennoch dem Bedürfnis nach Individualität Raum zu lassen. Dieses Spannungsverhältnis wird für die noch zu gestaltenden Entwürfe der einzelnen religiösen Gebäude herausfordernd sein und man kann gespannt sein auf die Ergebnisse. Bis zur Grundsteinlegung und der endgültigen Fertigstellung des Campus der Religionen ist aber noch ein weiter Weg gemeinsam zu gehen.


[1] Vgl. dazu: https://rat-blog.at/2021/01/29/hauser-der-religionen-als-symbolorte-pluraler-gesellschaften/.

[2] Siehe https://www.lit-verlag.de/isbn/978-3-643-91203-9.

[3] Vgl. https://www.campus-der-religionen.at/.

[4] Vgl. https://rat-blog.at/2021/02/05/die-eintragung-als-bekenntnisgemeinschaft-ein-erfolg-der-in-osterreich-aufgewachsenen-sikhs/.

[5] Vgl. Bundesministerium für Inneres Abteilung IV/2, Vereinsregisterauszug, Campus der Religionen. 30.03.2020.

[6] Vgl. https://www.burtscherdurig.at/work/campus-der-religionen/.

[7] Vgl. Der Standard, Antisemitischer Vandalenakt auf Wiener Religionscampus. in: derStandard.at. 23.07.2015. URL: https://www.derstandard.at/story/2000019604307/antisemistischer-vandalenakt-am-religionscampus-in-wien-aspern (17.07.2020); ORF, Erneut Vandalismus am Campus der Religionen in Wien. in: religion.orf.at. 10.07.2018. URL: https://religion.orf.at/stories/2923715/ (28.08.2020).

[8] Vgl. Gemeinderat der Bundeshauptstadt Wien, Gemeinderat, 49. Sitzung vom 28.03.2019, Wörtliches Protokoll, S. 62. in: wien.gv.at. URL: https://www.wien.gv.at/mdb/gr/2019/gr-049-w-2019-03-28-062.htm (04.09.2020).

[9] Die Förderung beträgt 250.000 € und war 2008 für die Errichtung eines Kirchengebäudes in der Seestadt Aspern vergeben worden. Es kam nie zu diesem Bau, da sich die Idee zu jener des Campus der Religionen weiterentwickelt hatte. Über die Rechtmäßigkeit der Verteilung von Mitteln aus diesem öffentlichen Fonds im Allgemeinen wurde kürzlich in einem Gerichtsverfahren verhandelt. Den verantwortlichen Beamten wurde Veruntreuung vorgeworfen, sie wurden am Ende freigesprochen. Vgl. Der Standard, Alle Angeklagten im Untreueprozess um Wiener Stadterweiterungsfonds freigesprochen. in: derStandard.at. 02.07.2020. URL: https://www.derstandard.at/story/2000118460292/stadterweiterungsfonds-angeklagte-zur-gaenze-freigesprochen (10.09.2020).


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RaT-Blog Nr. 11/2021

  • Elisabeth Waldl ist Masterstudierende der Religionswissenschaft und Kunstgeschichte der Universität Wien. In der Religionswissenschaft legt sie einen Fokus auf Religionssoziologie, interreligiösen Dialog und islamische Religion und Kultur. Sie ist bei der European Academy on Religion and Society als Analystin tätig, behält dort die Medienlage in Österreich zum Thema Religion und Gesellschaft im Auge und verfasst dazu Artikel.

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