Dauerhaft im Lager?

Vierter Teil der aktuellen Reihe von Sieglinde Rosenberger.

Der Hotspot Moria auf Lesbos war ursprünglich für 3.000 Menschen ausgelegt. Im September 2020 hausten dort unter schwierigsten Bedingungen mehr als 12.700 Asylsuchende. Im Jänner 2021 befanden sich nach Angaben des UNHCR immer noch rund 9.000 Geflüchtete in den provisorischen Unterkünften auf Lesbos. Bislang wurden insgesamt ca. 2.300 Menschen in Ländern der EU aufgenommen.

Wer sind die Menschen, die von dort nicht wegkönnen, sondern festgehalten werden? Ein Drittel der im provisorischen Lager Lebenden sind Kinder und minderjährige Jugendliche; 76 % kommen aus Afghanistan; 30 % sind anerkannte Flüchtlinge.[1]

Ein halbes Jahr nachdem die EU-Hotspots auf den griechischen Inseln unsere Aufmerksamkeit erreicht hatten, ist für die Betroffenen die Situation nach wie vor dramatisch, sie hat sich in keinster Weise verbessert. Die Frage ist, Was müsste getan werden, damit sie sich verbessert? Welche politischen Antwortmöglichkeiten auf die Herausforderungen der Flucht zeigt die internationale Fluchtforschung auf?

Werfen wir einen Blick in das Oxford Handbook of Refugee&Forced Migration Studies (2014). Hier findet sich u.a. ein Beitrag zu „durable solutions“ im Umgang mit Flüchtlingskrisen. Die Verfasserin, Katy Long, nennt grundsätzlich drei konventionelle Optionen, um Krisen der Flucht zu beenden: Rückführung in Herkunfts- oder Transitland, Integration vor Ort und Umsiedelung in andere Länder. Diese naheliegenden Optionen würden aber nicht selten zum Scheitern verurteilt sein, so die Autorin, weil Staaten sie nicht realisieren wollen (resettlement) bzw. können (Rückführung).

Wenn wir diese drei sogenannten dauerhaften Optionen auf die gegenwärtige Situation der Menschen in Moria 2 umlegen, dann wird deutlich, dass die österreichische Bundesregierung eine andere Option verfolgt – nämlich „Dauerhaftes Leben im Lager“. Denn die Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit und wahrscheinlich bis auf Weiteres aufgrund der Gefährdungssituation dort kaum möglich.

Die Ausweisung und Abschiebung von in der EU rechtlich anerkannten Geflüchteten ist grundsätzlich nicht zulässig bzw. kann nur in individuellen Ausnahmefällen (wenn eine Person eine schwerwiegende Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt) erfolgen. Diese Option kommt also für die Menschen mit Asylstatus nicht in Frage. An der Umverteilung der Geflüchteten beteiligt sich die österreichische Regierung aber nach wie vor nicht, sondern spricht von Hilfe vor Ort und sandte Zelte in die Region. Diese „Hilfe vor Ort“ bedeutet in dieser Situation, Menschen keine Perspektive zu geben und prekäre, provisorische Lager in dauerhafte Behausungen, wie wir sie etwa aus Jordanien kennen, übergehen zu lassen. „Hilfe vor Ort“, die faktisch also auf die Permanenz des Lagerlebens hinausläuft, ist auch unsolidarisch mit den Bewohner*innen der griechischen Inseln – Herausforderungen werden nicht im europäischen Sinne gemeinsam geschultert, sondern auf jene, die es alleine aus geographischen und geopolitischen Gründen zufällig trifft, abgeschoben.

Das offizielle Österreich hat sich mit der Weigerung der Aufnahme selbst einer kleinen Zahl für den Weg des dauerhaften Aufenthalts von Menschen in Lagern entschieden. Dies dürfte der Preis für Migrationskontrolle als oberstes Prinzip sein. Langfristig gesehen wird dieser aber ein hoher Preis werden, sowohl für die Betroffenen als auch für die europäische Gesellschaft. Zivilgesellschaftliche Gruppen, einschließlich religiöser Repräsentant*innen, versuchen weiterhin sich einzumischen, medial zu intervenieren, konkret Platz und Raum anzubieten, also die Option der Umsiedelung zumindest für Wenige weiterhin zu verfolgen.
Noch also stehen zwei Optionen im Raum – neben dem Lager auch die Umsiedelung.

Wettbewerbspolitische Überlegungen auf der Grundlage der öffentlichen Meinung werden letztlich ausschlaggebend dafür sein, wie die Entscheidung ausgeht!


In ihrer aktuellen Reihe kommentiert sie die österreichische Migrationspolitik. Frühere Teile finden Sie hier, hier und hier.


[1] Diese Information stammt aus dem Briefing „Zahlen und Fakten zur Lage auf Lesbos, Stand 16. Februar 2021“ von courage. Mut zur Menschlichkeit, einer österreichischen Initiative (https://www.courage.jetzt/).


RaT-Blog Nr. 12/2021