Muslimische Influencer*innen

Rüdiger Lohlker beleuchtet ein noch wenig beforschtes globales Phänomen, das sich zwischen Ökonomie, Ästhetik, Politik und Religion aufspannt.

Zu den Phänomenen der zeitgenössischen islamischen Welt, die in der Forschung wenig Beachtung finden, zählt ohne Zweifel das der muslimischen Influencer*innen. Für manche mag es zu banal erscheinen, um forschungswürdig zu sein. Allerdings wäre die Islamforschung gut beraten, ein solches Phänomen nicht zu ignorieren, das online enorme Zugriffszahlen aufweist. Obwohl das Phänomen sich also nicht in elaborierten Diskursen zeigt, hat es eine solche Resonanz in muslimischen Gemeinschaften weltweit, dass sich ein Ignorieren ihm gegenüber verbietet, wenn gehaltvolle Aussagen über den zeitgenössischen Islam gemacht werden sollen. Wenn es auch ein weltweites Phänomen ist, wird sich diese Betrachtung aus pragmatischen Gründen weitgehend auf Personen, die einen Bezug zu einem europäischen Rahmen haben, konzentrieren.

Influencing

Was sind nun Influencer*innen? Angesichts der inflationären Anwendung dieses Ausdrucks scheint eine Eingrenzung sinnvoll. Ich folge hier einem jüngst erschienenen Buch über Influencer*innen:

„Der Influencer ist eine der wichtigsten Sozialfiguren des digitalen Zeitalters. Er ist ein die Pop- und Konsumkultur, die Werbebranche und den Kapitalismus prägendes Phänomen, das längst nicht mehr nur auf das Netz begrenzt ist. […] Die Influencer besitzen […] eine große ökonomische, aber auch ideologische Macht.“ (Nymoen/Schmitt 2021: 7-8)

Wichtig ist, dass Influencer*innen im Marketing-[1] und Werbebereich zu verorten sind und durchaus eigene Marken präsentieren können.

„Der Influencer ist dabei in der Regel nicht der Botschafter einer einzigen Marke, sondern bewirbt verschiedene Produkte. Dabei ist entscheidend, dass er diese möglichst eng mit der eigenen Person verknüpft, indem er zeigt, dass er sie verwendet, und sich zugleich als Konsument und Präsentator inszeniert.“ (Nymoen/Schmitt 2021: 8)

Es geht in dieser Analyse nicht um einen Begriff des Influencing, der weit gefasst wird und jede Art der Einflussnahme unter Nutzung des Internet bezeichnen soll. Dieser modischen Gebrauchsweise wird hier nicht gefolgt.

Ein wichtiges Ergebnis der bisherigen Forschung zum religiösen Influencing ist die Betonung der Bedeutung des doing emotion, im Anschluss an Monique Scheer verstanden als Emotionen, die zum einen selbst Praktiken sind „und gleichzeitig mit anderen Praktiken verwoben, in denen sie kommuniziert, mobilisiert und gestaltet werden können.“ (Krain/Mößle 2020: 170) Gerade dieses Anknüpfen an Emotionen kann dem manchmal konstatierten Verlust an Glaubwürdigkeit für religiöses Influencing abhelfen.

Hauptplattformen auch des muslimischen Influencings sind Instagram, YouTube und TikTok. Im Universum der mobilen Mediensoftware Instagram positionieren sich auch muslimische Influencer*innen. Sie nutzen diese abgeschliffene kulturelle Software, um ihre Online-Präsentation als „material for action“ für ihre sozialen (Bild-)Praxen zu verwenden (Gunkel 2018: 338).  Aus diesen technisch induzierten (Bild-)Praxen ergibt sich auch eine stärkere Implizierung des Muslimseins – verbunden mit einer Normalisierung im Rahmen der Plattform. Zugleich bedeutet aber auch die selbstverständlich werdende Präsenz von Muslim*innen eine Rekonstruktion der muslim*ischen Normalität im Rahmen der Normalität des algorithmischen Kapitalismus, der von diesen Plattformen getragen wird und deren Imperativen und denen der Werbewirtschaft folgt.

Jenseits technischer Einbettungen sind auch andere Einbettungen muslimischer Influencer*nnen zu bemerken. In diesem Beitrag wird das Influencing in verschiedenen Bereichen der Mode betrachtet. Der weitere Bereich des Lifestyle-Influencing wird nur gestreift und muss weiterer Betrachtung vorbehalten bleiben. Damit ist die erste Einbettung die in der Mode im allgemeinen Sinn und die zweite die in der breiteren Modest Fashion des Modemarktes. Die dritte Einbettung ist die in die BIPOC-Narrative. Diese Einbettungen sind für muslimische Influencer*innen immer islamisch kontextualisiert.

Mode allgemein

Das Feld der Modestudien (fashion studies) kann als sozialer Prozess des Aushandelns und der Artikulation verschiedener Elemente verstanden werden (Kaiser 2013). Es hat sich auf eine Vielfalt von disziplinären, interdisziplinären und transnationalen Orten aufgeteilt. Als Resultat kann für diese Studie vermerkt werden, dass Modestudien sich zu einem eigenen Feld der cultural studies entfaltet und sich von der „Euromodernität“ (Grossberg 2010) fortentwickelt haben. „Eine der bemerkenswertesten Wandlungen in den fashion studies war die Erkenntnis, dass Mode kein rein ‚westliches‘, weißes, junges, weibliches, heterosexuelles, bourgeoises Phänomen ist. Vielmehr gibt es vielfältige Geschichten und Stile der Mode – wie auch solche der Modernitäten.“ (Kaiser 2013: 4; Übersetzung RL).

Die Mode hat sich so in verschiedene miteinander konkurrierende Looks aufgespaltene style tribes gegliedert, die sich z. B. durch Zugehörigkeit zu Jugendkulturen, aber auch durch das Vorziehen bestimmter Modemarken identifizieren lassen. Eine Gruppe dieser tribes sind die der Modest Fashion.

Modest Fashion

Wie lässt sich Modest Fashion verstehen? Auf der ersten Ebene lässt sie sich zweifelsohne als Ausdrucksform einer Kritik der gängigen Mode verstehen, geboren aus dem Bedürfnis, den Körper zu bedecken, sei es, weil der Körper nicht den Ansprüchen des modernen, dynamischen Körpers entspricht oder einer spezifischen Bekleidungstradition gefolgt wird. Auf der zweiten Ebene kann diese Art, sich zu bekleiden, religiös legitimiert sein, ohne als solche religiös determiniert zu sein. Auf der dritten Ebene lässt sie sich als Ausdruck der sogenannten Generation M, der Generation junger Muslim*innen, die einem modernen Lifestyle folgen (Janmohamed 2016), beschreiben. Generell ist sie Ausdruck der Neubelebung des Religiösseins[2], dessen Trägerinnen insbesondere Frauen geworden sind. Hier trifft sich die Abwertung von Frauen mit der Abwertung der Moderne als minderwertige Form der Kultur. Reina formuliert es treffend, wenn sie darüber schreibt, dass Entscheidungen für bestimmte modische Kleidungsweisen wichtig für das religiöse Leben von Menschen ist :

„Ein Schlüsselaspekt ist, dass die Mode als von Frauen dominiert verstanden wird – nicht nur als Produzentinnen auch als Konsumentinnen. Die ‚wirkliche‘ Religion aber wird – so wird normalerweise angenommen – von Männern dominiert, die die Machtposition von Religion sowohl ‚real‘ als auch symbolisch einnehmen. […] Natürlich ist einer der Hauptgründe dafür, dass Frauen sowohl in der Mode als auch in der zeitgenössischen Religion in hohem Maße sichtbar sind, dass sie Bereiche niedrigen Prestiges sind – oder im Falle des Westens: geworden sind. Dies ist sowohl die Ursache als auch ein Effekt der Art und Weise wie beide Bereiche oft trivialisiert und ignoriert werden. Jedoch macht dies beide zu Sphären, in denen Frauen autonom und kreativ handeln können, außerhalb der männlichen Kontrolle und als eigenständige Anführerinnen.“ (Reina 2013: XVIII; Übersetzung RL)

Wenn wir also Religion weniger konventionell betrachten wollen, ist die Beschäftigung mit muslimischen Influencer*innen und der modest fashion und der Rolle von Frauen in ihr von höchstem Interesse für ein Verständnis des zeitgenössischen Islams.Eine Sichtweise des Phänomens der modest fashion Modewirtschaft in der Vogue liest sich so:

„Für Khan ist die zunehmende Verbreitung des neuen Stils ein Beweis für die wachsende Innovationskraft der Branche. Sie erklärt, dass muslimische Frauen weltweit zwar die gleichen islamischen Prinzipien der Bedeckung vertreten – lange Ärmel, Knöchellänge, kein Dekolleté, keine durchsichtigen Stoffe –, aber es sind ihre vielseitigen Interpretationen und Herangehensweisen, die sich als aufregend erweisen. Eine Iranerin in Teheran mag ein locker drapiertes Kopftuch bevorzugen, das zu ihrer Hose und Jacke passt; ihre Kolleginnen am Golf haben hingegen oft eine Vorliebe für fließende Abayas, die westliche Einflüsse mit östlichem Stil verbinden. Selbst innerhalb eines Landes, wie beispielsweise Saudi-Arabien, gibt es regionale Unterschiede, wie die Abaya getragen wird. Die muslimische Konsumentin ist weit davon entfernt, einer vollkommen gleichgesinnten Bevölkerungsgruppe anzugehören, ihre Bedürfnisse sind so vielfältig wie die jeder anderen Konsumentengruppe. Das Erfolgsrezept der Marken liegt in ihrer Fähigkeit, diese zu erkennen und zu berücksichtigen.“  (Usher 2018)

Hier erfolgt eine Homogenisierung des jungen Musliminseins, die im Sinne der möglichst umfangreichen Markterschließung einer eigenen Logik folgt, die eine spezifische Authentizität oder deren Maske zum Ausdruck bringt. Für die vorliegende Untersuchung bedeutsam ist, dass dieses Musliminsein als vestimentäre Normalität verstanden wird und keiner theologischen Begründung bedarf. Damit bewegt sich diese Sichtweise aus einer bloßen explizit widerständigen Perspektive hinaus in die Realisierung des Bedürfnisses nach Normalität hinein.

Diese Verknüpfung von Frauen, Religion und Mode bietet eine gute Möglichkeit ist, sich an das Phänomen des Influencing anzunähern.

Fallstudien

Die folgenden Fallstudien sind danach ausgewählt, dass die Personen sich in irgendeiner Weise im europäischen Raume[3] bewegen – im vollem Bewusstsein, dass solche Abgrenzungen 1.) durch den Charakter des Internet als transnationales Ensemble von Medien nur noch als grobe Orientierung sinnvoll sind und 2.)  angesichts der Globalität der Modewelt wie auch der Welt des Influencing kann eine solche Auswahl nur einen Einblick in eine sonst im akademischen Bereich wenig zugängliche Welt gewähren.

Chinutay A., auch bekannt als Manal Chinutay oder Manal A., geboren in Kanada, publiziert von Großbritannien aus. Sie startete ihren YouTube-Channel 2013 und ist inzwischen Beauty[4]-Vloggerin [Videobloggerin] mit einem Schwerpunkt auf Makeup-Tutorials sowie Videos, in denen kürzlich gekaufte Konsumartikel und Kleidung präsentiert werden (hauls). Auch ihr Sohn tritt prominent auf. Als Marke ist Chinutay auch unter Chinutay & Co. aktiv, u. a. mit einem Web-Shop. Der neueste präsentierte Artikel ist ein von Chinutay & Co. kreierte Mund-Nasen-Schutz-Maske, die „passend zum Hidschab, aus feinster Maulbeerenseide, um meine Haut rein zu halten und mit Anti-Aging-Effekten. Dazu noch sieht sie gut aus.“

Ihr Videokanal auf YouTube[5] hat 366 000 Abonnements. Themen sind Schönheitstipps u. a. speziell für women of color, Makeup, Eyeliner, Augenbrauen, aber auch über die Hochzeit von Chinutay oder die tägliche Routine. Produkte werden gezeigt. Das Vlog von Chinutay A. bietet u. a. Shopping mit dem Ehemann, ein Video eine Fahrt mit einer Freundin (ohne Kopftuch) mit einem Essensaufenthalt; Themen sind dabei z. B. ihre Schwangerschaft. Die Zahl der Aufrufe dieses Videos ist 57499. Andere Videos haben Aufrufe in höherer Zahl, aber auch in niedrigerer Zahl.

Umfangreich ist ihr Instagram-Account chinutay Manal, auf dem Chinutay sich auch als „Adam‘s Mum“ präsentiert (Abonnements: 329 000.). Neben Fotos ihres Sohnes, gibt es Mode,-, Interior-, Makeup- und andere Fotos (auch ihres Ehemannes; der Auftritt von Chinutay ist äußerst selbstbewusst). Kermit und Andy Warhol treten auf. Signifikant ist ein Aufruf, den Tod eines jungen Mädchens (wohl somalischer Abstammung) in Großbritannien zu untersuchen. Die Familienorientierung ist ein Signifikant, der auf islamische Wertvorstellungen hinweist.

Im Anschluss an die Präsentation des täglichen Lebens gibt es einen eigenen Instagram-Account mit dem Titel chinutayhome, das die Neugestaltung der Wohnung zeigt. Hinterlegt ist dies mit kurzen Videos. Signifikant ist der Aufruf „Support Black-Owned Businesses“, der sich auch auf die eigenen Firmen bezieht, aber darüber hinausgeht (Abonnements: 17 700). Der eigene Webshop hat ebenfalls einen Instagram-Auftritt (Abonnements 13 100), auf dem u. a. die „first hijab-friendly silk masks“ beworben werden.

Khaoula Boumeshouli ist eine von Amsterdam aus operierende Influencerin, die seit 2016 online aktiv ist. Sie tritt in erster Linie als Modedesignerin auf, die Street Style Look mit ihrem „statement Hijab“[6] in einer Weise kombiniert, die als minimalistisch[7] klassifiziert wird.

Ihr Instagram-Account (Abonnements 288 486). @khaoulaboumeshouli widmet sich hauptsächlich der Modefotographie, Accessoires wie Parfüm und Taschen sind zu nennen, aber auch Bilder mit Bezug zu ihrer Hochzeit. Fotos mit Parolen wie „Black Children Matter“ sind auch hier signifikant. Auch kurze Verweise auf das Fasten und den ‘id al-fitr sind zu erwähnen.

Sie unterhält einen Online-Shop mit der Bezeichnung Shop Modiq, der auch über einen Instagram-Account (Abonnements 9348). und eine kleinere Präsenz auf Facebook verfügt Auch hier ist der Verweis auf „Black Lives Matter“ signifikant. Sie unterhält dazu einen Account auf Snapchat. Auch auf Pinterest findet sich ihre Mode. Boumeshouli ist 2020 als Model für die erste Hidschab-Kollektion der Marke Tommy Hilfiger aufgetreten.[8]

Marwa Meme Biltagi, mit irisch-palästinensischem Hintergrund, tritt auch unter @mademoisellememe auf. Sie startete ihren Blog Mademoiselle Meme 2015. Ihr Instagram-Account (Abonnements: 27 900) ist hauptsächlich Modefotos gewidmet. Signifikant ist eine Verlinkung zu einer Internetpräsenz, die sich dem Auffinden von Opfern der großen Bombenexplosion 2020 in Beirut widmet oder auch zu einer Freitagsansprache (chutba) in Los Angeles.

Zum Mademoiselle Meme-Universum gehört auch eine Unterabteilung, die sich der Maniküre widmet (Memes Mani), Sie unterhält einen Webshop unter dem Namen Mademoiselle Meme, dessen Angebote darauf verweisen, dass sie inzwischen eher in Los Angeles angesiedelt ist. Selber gibt sie an zwischen New York und Los Angeles zu pendeln. Auch auf Pinterest findet sich ein Profil.

Aydha Mehnaz ist 2017 von Bangla Desh nach Paris übersiedelt und arbeitet jetzt als Kommunikationsmanagerin für das Luxusmode- und Kosmetikunternehmen Mugler. Sie unterhält eine Homepage mit einigen Medienberichten und Reiseimpressionen, seit 2013 einen Facebookauftritt (Abonnements: 11 846) mit dem Titel @aydhamehnazofficial und dem entsprechenden Messenger-Account. Ihr Instagram-Account (Abonnements: 11 100) zeigt Modefotos; auch ein LinkedIn-Account wird angegeben.

Yousra Zein, von der Schweiz aus publizierend, tritt als hayekk_ auf. Sie ist hauptsächlich im Modebereich tätig. Ihr Instagram-Account (Abonnements: 20500) zeigt Mode, Autos u. a. m. Es gibt auch wenige Bilder, die kleine Auszüge des Korans zeigen. Eine weitere wichtige Plattform für sie ist ihr Blog Hyk.

Imane Asry, von Stockholm aus publizierend, marokkanisch-berberischer Herkunft (letzteres signalisiert mit einem Verweis auf das berberische Alphabet) unterhält unter ihrem Namen einen YouTube-Kanal (Abonnements: 44600), der Mode- und Lifestyle-Fragen gewidmet ist, häufig einem Vlog-Format nahe. Ihre Modevorstellung beschreibt sie als minimalistisch.

Ihre Hauptinternetpräsenz ist ihr Instagram-Account (Abonnements: 164 000) mit dem Titel fashionwithfaith. Der Account zeigt in der großen Überzahl Modefotos, einige wenige Posts haben religiösen Inhalt oder beziehen sich auf Black Lives Matter-Proteste. Seit vielen Jahren unterhält sie ein Fotoblog auf tumblr, ebenfalls unter dem Titel fashionwithfaith,das neben vielen Modefotos auch Textaussagen islamischen Inhalts präsentiert

Asry wird durch die monomanische Fixierung auf den Hidschab durch Onlinepräsenzen wie Jihad Watch als Symbol der weiblichen Unterdrückung markiert.[9] Dies inakkurate Darstellung verrät die Beschränktheit dieses Blickes und das mangelnde Verständnis des Phänomens muslimisches Influencing, das rein politisch definiert wird.[10]

Amena Khan ist ein britisches Model, Designerin und Influencerin, die als erstes Hijabi-Model für eine Haarpflegekampagne von L‘Oréal bekannt wurde.[11] 2020 veröffentlichte sie ein Video, in dem sie ihre Entscheidung begründete, dass sie den Hidschab ablegte. Sie erklärte dies als ihre persönliche, freie Entscheidung genauso wie sie mit 22 Jahren den Hidschab anlegte. Religiosität könne, so ihre Überzeugung, nicht an Äußerlichkeiten gemessen werden. Sie verstehe sich nicht als eine Person, die andere Frauen beeinflussen wolle. Musliminnen sollten nicht als monolithisch verstanden werden, so können sie nicht als role model dienen.[12]

Amena Khan unterhält einen YouTube-Kanal (Abonnements: 399000) mit dem Titel Amena und auch eine Onlineboutique mit dem Namen Pearl Daisy sowie Make up-Firmen.

Was macht die genannten Personen zu muslimischen Influencer*innen? In einem Artikel darüber heißt es: „Die Leute werden […] durch deinen Hidschab, deinen Bart, deinen islamischen Namen oder durch deine islamische Kultur, über die du nebenbei auf der Internetseite sprichst, wissen, dass du den Islam repräsentierst.“[13] Es sind also Indikatoren von in der Religionsforschung üblicherweise geringerer Bedeutung signifikant für eine Markierung als islamisch. Dazu treten Indikatoren, die für ein Bewusstsein der Einbettung in globale BIPOC-Zusammenhänge sprechen.

Es haben sich inzwischen auch Onlinenetzwerke etabliert, die dem Marketing muslimischer Influencer*innen dienen. Um das Feld weiter zu umreißen, sei auf einige weitere Beispiele verwiesen: ein Muslim Lifestyle Podcast mit dem Titel One Foot in the Sink mit höchst diversen Themen, ein Mode- und Lifestyle-Blog mit dem Titel Fashion by Ina oder ein Blog mit dem Titel The Brown Hijabi mit Reflexionen aus einer BIPOC-Perspektive.

Als muslimische Influencer[14] markieren sich zudem Personen, die sonst eher als Prediger, Sprecher oder Autoren aufgetreten sind. Einige Namen mögen genügen: Hamza Yusuf, Bilal Philipps, Tariq Ramadan oder Zakir Naik[15] Es handelt sich um den Versuch, attraktiv und modern für ein jüngeres Publikum zu erscheinen, der hier aber nicht Gegenstand ist.

Conclusio

Muslimisches Influencing ist kein marginales Phänomen und damit auch für Bemühungen im interreligiösen Dialog wie auch die Islamforschung bedeutsam. Bemerkenswert ist die geringe Ausprägung der theologischen Begründungen für das Auftreten muslimischer Influencer*innen. Muslimisch zu sein wird als selbstverständlich präsentiert und damit den politisch-medial geführten Debatten entzogen. Mit den Worten eines Models: „Gerade ich als schwarze muslimische Frau werde ständig politisiert und mit Themen konfrontiert, mit denen ich nichts zu tun haben möchte. Hier liegt der Unterschied zwischen mir und anderen Models.“ (Khelifi 2020: 60) Also wird eine Art Normalität angestrebt. Diese Art von Normalität[16] beanspruchen auch muslimische Influencer*innen in den Fallstudien, die sich damit jenseits der Zuschreibungen der dominanten Diskurse über den Islam bewegen. Überschneidungen gibt es natürlich. Wichtig erscheint, dass es bei dem religiösen Influencing um Selbstinszenierung und Sinngebung geht.  Wobei im Hintergrund steht, dass es sich immer um die Verwandlung in einen islamisch markierten Werbekörper handelt.

In religionsvergleichender Sicht bedeutsam erscheint, dass bei muslimischen Influencer*innen eine Performanz des religiösen[17] Lebens erscheint, die sich von den lebensverneinenden Erscheinungen islamischer und anderer Strömungen abhebt, von der immer sichtbarer werdenden Thanatopolitik (s. nach Agamben: Ehrmann 2011). Ohne Influencing mystifizieren zu wollen und die Problematik der Einbindung in die globalisierte Gesellschaft und Wirtschaft zu ignorieren, sei darauf verwiesen, dass auch durch Mode inspirierte Subjektivierung ernsthaft zu bedenken ist. Aber auch ohne die Entwicklung eigenständiger Theologien ist Influencing eine religiöse Praxis, die über Theologie und Ritual hinausreicht. Damit eröffnet sie neue Möglichkeiten, Religion zu reflektieren.

Im Vergleich mit den üblichen Influencer*innen haben religiöse Influencer*innen einen Vorsprung in Hinsicht auf ihre Glaubwürdigkeit, die durch ihre Präsentation und Verarbeitung religiöser Signifikanten nachgewiesen wird, was nicht ein zufälliger Aspekt ist, der auch eine opponierende Position für die Influencer*innen bedeutet, für ihre Follower*innen aber die Unterordnung über den präsentierten muslimischen Werbekörper.

Vor einigen Jahren hat Danièle Hervieu-Léger anlässlich eines Besuches in Andorra eine kathedralenartige neue Architektur gesehen, die die Aufmerksamkeit einer Religionswissenschaftlerin natürlich erweckt, und dazu geschrieben:

„Die ‚Kathedrale‘ aus Stahl und Kristall beherbergt ein ‚Spaßbad‘, das […] tatsächlich ein Ort des Kultes ist: Hier herrscht der Kult des Körpers, der Körperformen, der ewigen Jugend, der Gesundheit und der Selbstentfaltung – ein Kult, in dem sich etwas von den Erwartungen und Hoffnungen des heutigen Menschen ausdrückt. Dem scheint die traditionelle Welt der Religion völlig fremd gegenüberzustehen, aber es gibt doch Verbindungen.“  (Hervieu-Léger 2004: 2)

Diese Verbindungen gibt es auch bei muslimischen Influencer*innen, die ihre Religion einbeziehen, aber nicht mehr einer architektonischen Rahmung bedürfen, vielmehr ihren Kult in und mit ihrem Werbekörper (Nymoen/Schmitt 2021) realisieren.

Auch wenn die Phänomene des Influencing – auch des muslimischen – zur Kritik herausfordern, sind sie doch ein wichtiger Teil der islamischen Weltgemeinschaft und als solcher der Analyse wert.


Mehr Beiträge von Rüdiger Lohlker auf dem RaT-Blog hier und hier.


Literatur

Ehrmann, Jeannette (2011) „Jenseits der Linie: Ausnahmezustand, Sklaverei und Thanatopolitik zwischen Aufklärung und (Post-)Kolonialismus“, in Daniel Loick (Hg.): Der Nomos der Moderne. Die politische Philosophie Giorgio Agambens. Baden-Baden: Nomos, S. 128–148

Grossberg, Lawrence (2010), Cultural Studies in the Future Tense, Durban, NC: Duke University Press

Gunkel, Katja (2018), Der Instagram-Effekt: Wie ikonographische Kommunikation in den Social Media unsere visuelle Kommunikation prägt, Bielefeld: transcript

David Hein, Mehrheit der Deutschen steht Influencern skeptisch gegenüber (Horizont, 7. Dezember 2018. https://www.horizont.net/marketing/nachrichten/umfrage-zur-hype-disziplin-das-halten-die-deutschen-wirklich-von-influencern-171586) Zugegriffen: 18. 03. 2019

Hervieu-Léger, Danièle (2004), Pilger und Konvertiten: Religion in Bewegung, Würzburg: Ergon

Janmohamaed, Shelina (2016), Generation M: Young Muslims Changing the World, London/New York: I. B. Tauris

Kaiser, Susan B. (2013), „Place, time and identity:New directions in critical fashion studies“, in Critical Studies in Fashion & Beauty  4i/2 (2013), S. 3-16

Khelifi, Nour (2020), „Das Model, das hinter die Kamera schaut“, in Qamar 1 (2020), S. 54-61

Krain, Rebekka/Mößle, Laura (2020), „Christliches Influencing auf YouTube als ‚doing emotion‘“, in Österreichisches Religionspädagogisches Forum (ÖRF) 28i (2020), S. 161-178  

Nymoen, Ole/Schmitt, Wolfgang M. (2021), Influencer: Die Ideologie der Werbekörper, Berlin: Suhrkamp

Reina, Lewis (2013), Modest Fashion: Styling Bodies, Mediating Fsith, London u. a.: Blomsbury

Usher, Pip (2018), „Modest Fashion: So wurde die Lust an der Verhüllung zum globalen Mode-Phänomen“, in Vogue, gepostet 27. November 2018 (https://www.vogue.de/mode/mode-trends/modest-fashion) (Zugriff 30.12.2020)


[1]     Denken wir daran, dass auch die Arabischen Emirate zur Werbung nutzen.

[2]     Ohne auf die diesbezüglichen Diskurse einzugehen.

[3]     Ein Artikel des Verfassers zum hauptsächlich südostasiatisch markierten Bereich ist in der Fertigstellung.

[4]     Hier wird der Terminologie der Modebranche gefolgt, da Übersetzungen inadäquat wären.

[5]     https://www.youtube.com/channel/UC7tpsLgdMCWAk4OvULGBjEQ (letzter Zugriff 02.01.2021). Auch auf anderen Videoplattformen ist Chinutay aktiv.

[6]     https://silk-studio.com/khaoulaboumeshouli (lePinteresttzter Zugriff 02.01.2021).

[7]     https://hijabfashioninspiration.com/khaoulathings/ (letzter Zugriff 02.01.2021).

[8]     https://en.yabiladi.com/articles/details/99540/moroccan-dutch-influencer-khaoula-boumeshouli-models.html (letzter Zugriff 02.01.2021).

[9]     https://www.jihadwatch.org/tag/imane-asry (letzter Zugriff 02.01.2021).

[10]   Ein treffender Hinweis darauf, dass „politischer Islam“ eher ein politisch zurechtgemachter Islam ist.

[11]   https://www.buzzfeed.com/danielacadena/loreal-hair-campaign-amena-khan (gepostet 19. Januar 2018) (letzter Zugriff 02.01.2021).

[12]   https://www.youtube.com/watch?v=QonbA2xpUaA (gepostet 03. Juni 2020) (letzter Zugriff 02.01.2021).

[13]   https://katietokhadijah.com/muslim-youtubers/ (letzter Zugriff 02.01.2021), Übersetzung R. L.

[14]   Das Maskulinum ist hier ganz bewusst gesetzt, da dieser Bereich deutlich männlich dominiert ist.

[15]   https://quranacademy.io/muslim-influencers (letzter Zugriff 02.01.2021).

[16]   Die Frage nach den Normierungswirkungen dieser und anderer Normalitäten kann hier nicht diskutiert werden. S. o. zur technischen Normalisierung durch Plattformen wie Instagram .

[17]   Nicht notwendig religiös bestimmten Lebens!


Bild von pixabay.com: https://pixabay.com/de/users/aceembelif-6775153/


RaT-Blog Nr. 14/2021

  • Rüdiger Lohlker ist Professor für Islamwissenschaft an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind die islamische Ideengeschichte, v.a. der Sufismus, Islam und Wissenschaft, Salafismus, Jihadismus und islamische bzw. arabische Online-Kommunikation.