Burkina Faso, das Land des aufrechten Menschen: Die angespannte Situation des Landes

Burkina Faso ist ein Binnenstaat in der Mitte Westafrikas von 274 200 km² und ca. 20,5 Millionen Einwohnern. 45,3% sind Kinder unter 15 Jahren, 32,6% der Bevölkerung sind Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 34 Jahren.[1] Das Land grenzt an Mali, Niger, Benin, Togo, Ghana und die Elfenbeinküste. Die Hauptstadt und größte Stadt des Landes ist Ouagadougou. Amtssprache ist Französisch, daneben werden fast 70 weitere Sprachen gesprochen. Vom Ende des 19. Jahrhunderts an war das Gebiet unter der Bezeichnung Obervolta französische Kolonie, 1960 erlangte es die Unabhängigkeit. Nach einer sozialistischen Revolution erfolgte 1984 die Umbenennung in Burkina Faso. Burkina Faso bedeutet „das Land der aufrechten Menschen“. In Burkina Faso leben verschiedene Religionen friedlich zusammen: 63,8% Muslime, 20,1% Katholiken, 9% traditionelle afrikanische Religionen, 6,2% Protestanten.[2]

1. Die politische Lage

Die politische Lage in Burkina Faso zeigt eine lebendige Demokratie im Aufbau, die bereits gute Fortschritte gemacht hat. Die mehr oder weniger gewalttätigen Proteste von Tunesiern, Ägyptern und Libyern haben dazu beigetragen, das Thema Demokratie in schwarzafrikanischen Ländern auf die Tagesordnung zu setzen. Nach dem Arabischen Frühling 2011 war Burkina Faso 2014 an der Reihe, seinen Durst nach Demokratie vor den Augen der ganzen Welt zu zeigen. Als Präsident Blaise Compaoré die Verfassung ändern wollte, um an der Macht zu bleiben, sah er sich einem Volksaufstand gegenüber, der ihn zwang, die Macht abzugeben und in der Elfenbeinküste Exil zu suchen. Anhand des Beispiels der Jugend von Burkina Faso ist es mehreren Politikern, die keinen Machtwechsel wollen, klar geworden, dass sich die afrikanische Jugend als ernsthaftes Gegengewicht herausstellt, das sich gegen ihre monarchischen Launen auflehnt. Dies ist ein Zeichen der Hoffnung, solange man nur diese Jugend, die wirklich einen völligen Bruch mit den alten Praktiken anstrebt, unterstützt und begleitet.

Der historische politische Übergang von 2015 und die freien Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im November 2015 nach der Volksrevolution von 2014 haben die Probleme der langen Amtszeit (27 Jahre) des ehemaligen Präsidenten offengelegt. Das Land muss sich nun sozialen Krisen und Spannungen stellen, deren Ursprung strukturell ist. Die Herausforderung besteht darin, auf die Unsicherheitsfaktoren zu reagieren, die das Land verwundbar machen. Andererseits hat das Engagement des Staates für die Verwaltung des friedlichen Zusammenlebens der Religionen bisher gut funktioniert, und es sollten weitere Anstrengungen unternommen werden, um negative Entwicklungen zu korrigieren bzw. zu verhindern.

Der neu gewählte Präsident Roch Marc Christian Kaboré (2015) musste sich mit Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung und der heiklen Sicherheitskrise auseinandersetzen. 5 Jahre lang verbesserte sich die Lage nicht. Sie wurde eher schlechter. Der Präsident konnte trotzdem im November 2020 wiedergewählt werden und versprach, mehr für die Wiederherstellung des Friedens im Land zu tun. Leider haben Terroranschläge zugenommen. Die Protestmärsche gegen seinen wenig erfolgreichen Umgang mit der Sicherheitskrise führten am 24. Januar 2022 zu einem Staatsstreich einer Gruppe von Soldaten unter der Benennung „le Mouvement Patriotique pour la Sauvegarde et la Restauration“[3] (MPSR). Sie begründeten ihre Aktion mit der mangelnden Verbesserung der Führung des Landes durch Präsident Kaboré. Oberstleutnant Paul Henri Sandaogo Damiba wurde Staatsoberhaupt mit dem Ziel, den Terrorismus zu bekämpfen und das gesamte Staatsgebiet zurückzuerobern. 40% des Territoriums sei tatsächlich in den Händen bewaffneter Terrorgruppen. Auch er konnte es nicht besser machen als Präsident Kaboré. Seine Kameraden, die den Putsch im Januar 2022 durchgeführt hatten, sahen in ihm einen Verräter ihres ursprünglichen Zieles und setzten ihn am 30. September 2022 ab. Derzeit ist Hauptmann Ibrahim Traoré das neue Staatsoberhaupt. Er übertrug die zivile Verwaltung des Landes einem Premierminister (der Rechtanwalt Appolinaire Joachim Kyelem de Tambèla) und kümmerte sich persönlich um die Sicherheitskrise.

2. Die Sicherheitskrise

Burkina Faso, das bis vor kurzem als stabiler Vermittlerstaat und Akteur der subregionalen Sicherheit galt, ist jetzt selbst in Instabilität geraten. Um diese Situation zu verstehen, muss man 7 Jahre zurückgehen. Ein Jahr nach dem Sturz von Präsidenten Blaise Compaoré wurde im November 2015 Roch Marc Christian Kaboré mit großer Hoffnung zum Präsidenten von Burkina Faso gewählt. Am 15. Jänner 2016 erlebte das Land die ersten Angriffe islamistischer Gruppen auf seinem Territorium. Die Intensität, Häufigkeit und das Interventionsgebiet islamistischer Angriffe in Burkina Faso haben im Laufe der Jahre zugenommen. Einige waren aufgrund ihres Ausmaßes sehr schockierend für die Bevölkerung. Beim ersten Angriff im Jänner 2016 auf das „Splendid Hotel“ und das „Café Cappuccino“ in der Hauptstadt Ouagadougou kamen 30 Menschen ums Leben. Im August 2017 starben bei einem erneuten Anschlag in der Hauptstadt in einem anderen Café 21 Menschen. Ab 2018 kam es fast täglich zu Terroranschlägen, ohne dass die Regierung eine Lösung finden konnte.

Für seine Wiederwahl für eine zweite Amtszeit im November 2020 versprach Präsident Kaboré, dass der Kampf gegen Terrorangriffe seine Priorität sein werde. Die Opposition prangerte an, dass hunderttausende Wähler, die aufgrund der Unsicherheit vertrieben wurden, nicht wählen konnten. Das Land hat derzeit ungefähr 2 Millionen Binnenvertriebene, womit zur Sicherheitskrise eine humanitäre Krise hinzukommt. Seit dem Beginn der Anschlagsserie sind bis jetzt bereits über 2 000 Menschen ums Leben gekommen.

3. Islamistischer Terrorismus?

Diese Angriffe bringen vielen Familien Trauer und Elend. Sie betreffen alle Bürger ohne Unterschied des Religionsbekenntnisses und behindern die Entwicklung des Landes, verraten den Frieden und gefährden die Zukunft vieler Kinder, weil die Angriffe zahlreiche Schulen getroffen haben. Darf man aber sagen, dass es Probleme zwischen Islam und Christentum in Burkina Faso gibt? Zum jetzigen Zeitpunkt: nein!

Üblicherweise wird Terrorismus immer mit Religion verbunden, zumindest seit 2001. Aber in Burkina Faso scheint dies nicht der Fall zu sein. Terrorismus in Burkina Faso hat keine echte religiöse Rechtfertigung. Man nutzt nur bestimmte religiöse Motive aus. Diejenigen, die diesen Terror ausüben, ermorden Christen sowie Muslime. Generell haben Muslime und Christen bisher in Harmonie gelebt. Umfragen gehen davon aus, dass gewalttätiger Extremismus im Land ein importiertes Phänomen ist und hauptsächlich durch materielle Bedürfnisse,  Konflikte zwischen den Volksgruppen (ethnische Gruppen) oder durch soziale Ungerechtigkeiten und nicht durch religiöse Überzeugungen motiviert ist. Die Gruppen, die die Anschläge verüben, gehören zu den islamistischen Gruppen oder werden als solche wahrgenommen. Aber es kann nicht generell gesagt werden, dass sie die Waffen gegen Christinnen und Christen erhoben haben, sie greifen nämlich Christen sowie Muslime an. Bisher ist es schwierig zu sagen, was diese bewaffneten Menschen wollen. Ihre Vorgehensweise ist sehr gewalttätig und schockiert manchmal sogar bestimmte islamistische Organisationen. Einige haben sich sogar von den massiven Massakern an der Zivilbevölkerung distanziert, als z.B. am 5. Juni 2021 in Solhan  etwa 160 Dorfbewohner umgebracht wurden. Oder noch am 26. September 2022 als 95 LKWs mit Lebensmitteln von den sogenannten „Terroristen“ verbrannt wurden. Die Gründe der Angriffe sind unterschiedlich. Einige Angriffe sehen viel mehr nach organisierter Kriminalität und Sabotage als nach Terrorismus aus. Die verschiedenen Terroranschläge deuten eher auf einen Wunsch nach Destabilisierung hin. Es gab schon hunderte Angriffe, aber nur sehr wenige wurden von anerkannten islamistischen Organisationen für sich reklamiert. Die offiziellen Regierungserklärungen sprechen zwar von Angriffen, verwenden jedoch nicht oder ganz selten den Begriff „islamistische Terroristen“, sondern den Ausdruck „nicht identifizierte bewaffnete Menschen“. Sie sind alle Einheimische.

4. Die Folgen des Terrorismus

Es gibt gerade über 2 Millionen Binnenvertriebene, die von den unsicheren Dörfern geflohen sind, um ihr Leben in den großen Städten zu retten. Sie haben alles hinter sich gelassen. 3 280 Schulen wurden gesperrt: das heißt 511 221 Schülerinnen und Schüler sowie rund 14 901 Lehrerinnen und Lehrer sind betroffen.[4] Es gibt auch die Gefahr eines Bürgerkrieges aufgrund der Stigmatisierung von bestimmten ethnischen Gruppen und dies kann zur Radikalisierung führen. Diese Unruhe hindert die Entwicklung: Der Tourismus ist zurückgegangen, die Anleger halten sich auch zurück.

„Die Hoffnung stirbt niemals“, sagt man! Trotzt der jetzigen schwierigen Situation, kann man noch auf eine Veränderung hoffen. Die Bevölkerung gewöhnt sich an die Situation und hilft mit Informatonsmitteilungen. Zu Beginn der Angriffe herrschte Angst unter der Bevölkerung. Aber jetzt haben die Leute verstanden, dass sie wachsam bleiben und verdächtiges Verhalten beobachten müssen, um es der Polizei oder den Militärbehörden zu melden. Die Bevölkerung ist zuversichtlich, dass der Terrorismus in der Einheit der gesamten Nation besiegt wird. Es gibt Bemühungen in diese Richtung: zum Beispiel finanzielle Beiträge zur Unterstützung des Militärs. Die Burkinabé bleiben ein widerstandsfähiges und zuversichtliches Volk. Die verschiedenen Religionen leisten ihren Beitrag für den Frieden. Alle sind einstimmig: Der gemeinsame Feind ist der Terrorist und keine bestimmte Religion oder ethnische Gruppe. Die jetzige Regierung hat die Rekrutierung von 50.000 ehrenamtlichen Kämpfern, die genannten „Volontaires pour la Défense de la Patrie“[5] (VDP) eingeleitet. Die Bevölkerung ist motiviert und Menschen jeden Alters melden sich an, um angeworben zu werden. Die Rekrutierung endete am 18. November 2022 und die Rekrutierten werden eine schnelle militärische Ausbildung erhalten, um die Soldaten auf verschiedene Weise unterstützen zu können. Einige pensionierte Soldaten und Polizisten werden erneut für die Verteidigung des Landes mobilisiert.

Der Staat muss noch viel machen, um die Situation zu verbessern bzw. zu verändern. Bildung und wirtschaftliche Entwicklung bilden das Rückgrat der Prävention gegen Radikalisierung und gewalttätigen Extremismus und sollten durch Kontaktprogramme unter jungen Menschen in Zusammenarbeit mit den Medien, Schulen und Organisationen der Zivilgesellschaft ergänzt werden. Der Staat muss auch das starke Vertrauen der Bevölkerung in seine Armee nutzen, um ihre Sicherheit zu gewährleisten, indem er mit ihnen Konsultationsrahmen entwickelt. Wichtig ist auch eine Sensibilisieriungskampagne: Hier ist die besondere Rolle von Frauen und Jugendlichen zu unterstreichen. Die Einrichtung spezifischer Gespräche könnte Fortschritte ermöglichen. Die Behörden müssen das Vertrauen der Frauen und junger Menschen durch einen überzeugenden Entwicklungsplan für die Sahelzone im weiteren Sinne wiederherstellen. Tatsächlich ist die Sahelzone stark von der Problematik des gewalttätigen Extremismus betroffen, da die Entwicklung dort sehr gering ist. Die Menschen, die dort leben, wurden lange Zeit von der Regierung vernachlässigt. Im eigenen Land fühlen sie sich seit langem ausgegrenzt. Die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit und Armut werden durch das Gefühl der Marginalisierung noch verstärkt und bilden den Nährboden für die Rekrutierung junger Menschen durch kriminelle Gruppen und potenzielle Terroristen. Der Staat muss schließlich mehr Gerechtigkeit schaffen und die Ressourcen gut verwalten damit keine Region sich benachteiligt fühlt.

Das Stift Melk sammelt Spenden für humanitäre Projekte in Burkina Faso. Weitere Informationen und das Spendenkonto finden sich hier.

[1] Vgl. Institut National de la Statistique et de la Démographie, Cinquième Recensement Général de la Population et de l’Habitation du Burkina Faso. Synthèse des résultats définitifs, juin 2022, 39.  

[2] Ebd., 47.

[3] Die Patriotische Bewegung für Schutz und Wiederherstellung.

[4] https://www.dw.com/fr/burkina-écoles-insécurité-gouvernement/a-60431786 (Stand: 12. November 2022).

[5] Ehrenamtliche für die Verteidigung des Heimatlandes.


RaT-Blog Nr. 26/2022

  • Félix Wendpanga Ouédraogo, MA (38) kommt aus Burkina Faso. Er hat sein Bachelorstudium in Theologie in seinem Heimatland absolviert. Dann wurde er am 2. Juli 2011 zum Priester für die Diözese Ouahigouya geweiht. Nach seiner Tätigkeit als Bischofssekretär studiert er seit dem Sommersemester 2017 Kirchenrecht in Österreich. Er verfügt über zwei Master of Arts Titel und hat seine wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet des Eherechts verfasst (1/ Das Wohl der Ehegatten. Kirchenrechtliche Aspekte von Ehevorbereitung und Ehebegleitung mit einem besonderen Blick auf Burkina Faso.“ 2/ „Die innere Freiheit zur Eheschließung: ergänzende Normen gemäß c. 1067 für Burkina Faso“). Nun schreibt er seine Dissertation über das Thema Synodalität auf der Ebene der Diözese.