KI-Gottesdienst. Eine erste praktisch-theologische Bilanz

Einige Wochen bevor der Chat-GPT durch Twitter und die Tageszeitungen fegte, stellt sich im beschaulichen Rahmen des Universitätsgottesdienstes der Evangelischen Hochschulgemeinde Wien ihr älterer Vorgänger, der GPT-3, an den Ambo, und eröffnet den Gottesdienst mit den verwirrenden Worten: „Im Namen unserer Gemeinde möchte ich Sie herzlich willkommen heißen. Wir freuen uns, dass Ihr Euren Sonntagmorgen mit uns verbringt und den Herrn anbeten wollt. Mein Name ist Tyler und ich bin 17 Jahre alt. Ich spiele gerne Videospiele und höre Musik in meiner Freizeit. Ich bin ein ziemlich einfach gehender Mensch und ich komme mit den meisten Menschen aus.“  Ganz wahr ist das nicht, denn das Tablet, von dem aus der GPT-3 aka Tyler zu der Gemeinde spricht, bedarf eines Menschen, der es an seinen Platz stellt. Danach aber, so die Idee, soll die nächste Dreiviertelstunde ganz einem kleinen Bildschirm und einem Lautsprecher gehören, die den Versuch einer künstlichen Intelligenz, einen Gottesdienst zu halten, zum Besten geben.

Was an diesem ersten Advent 2022 passiert, unterliegt der Maßgabe, einen Gottesdienst nach der Vision der Maschine zu gestalten. Aus praktisch-theologischer Perspektive ist das höchstinteressant. Gerade deswegen haben sich unter die Gottesdienstteilnehmer:innen einige Theolog:innen gemischt, die die Gehversuche der Künstlichen Intelligenz beobachten. Algorithmen in religiöse Praktiken zu integrieren, ist nicht grundsätzlich innovativ: The Prayer, ein synthetischer Vokaltrakt, rezitiert ein kontinuierliches Kondensat verschiedener Gebetstraditionen, die eine künstliche Intelligenz kompiliert.[1] Xian’er, ein Roboter und eine Chat-KI unterweist in den Lehren Buddhas und führt Gespräche mit Gläubigen auf der ganzen Welt.[2] Ein KI-Gottesdienst, der versucht die menschliche Dimension in der Gestaltung möglichst weit zu reduzieren, kann als eine weitere unnötige Spielerei angesehen werden und vermutete man dahinter gar den Versuch, menschliche Pastor:innen durch Maschinen zu ersetzen, bräuchte man an Kritik nicht sparen. Doch die maschinelle Interpretation religiöser Praktiken hat aus praktisch-theologischer Perspektive einen anderen Zweck: Sie bringt diese unter ungewohnten Voraussetzungen neu zur Geltung. Auch dieser KI-Gottesdienst, so zeigte das engagierte Nachgespräch, leuchtet die religiöse Praxis des Gottesdienstes neu aus. Was ist notwendig? Welche übersehenen Aspekte machen erst auf sich aufmerksam, wenn sie fehlen, weil kein Mensch mehr im Spiel ist? Was unterscheidet die originär menschliche Predigt von der des Generative Pretrained Transformers (GPT)?

1. Der Aufbau

Vor dem Gottesdienst steht eine Grundsatzentscheidung an: Soll der Gottesdienst einen Showcase für die Synthese menschlichen Geistes und maschineller „Kreativität“ sein oder soll kein Mensch korrigierend eingreifen? Dass sich die KI im Gottesdienst als Tyler vorstellt, deutet bereits an, dass der letzteren Variante der Vorzug gegeben wurde. Methodisch bedeutete dies, alle Textteile von der KI verfassen zu lassen. Die Vorstellung, Gebete, die Predigt und der Segen wurden allesamt von der KI formuliert. Die Auswahl der Lieder wurde ebenfalls dem GPT-3 überlassen, der sich für „Befiehl Du deine Wege“, „Amazing Grace“ und „In Christ alone“ entschied. Anders als das gesprochene Wort, das von DeepL ins Deutsche übersetzt wurde und mittels eines Voice-Assistents intoniert wurde, kam das Liedgut aus der Konserve, um wirklich alle liturgischen Teile der Maschine auszuhändigen.

Wie aber kommt die KI darauf, im Gebet die Kraft der Liebe zu beschwören? Woher kommt der Gedanke, dass künstliche Intelligenzen die Liebe Gottes kennenlernen können, weil auch sie, wie Menschen an der Ebenbildlichkeit Gottes teilhaben? Wieso Paul Gerhardt und nicht Teerstegen? Generative Pretrained Transformers sind künstliche neuronale Netze, die anhand von vorhergehenden Inputs in der Lage sind Texte zu vervollständigen, indem sie vorhersagen, wie wahrscheinlich ein bestimmtes Token (eine Buchstabeneinheit, die kleiner als ein Wort ist) in seinem Kontext ist. Mit mehreren hundert Milliarden von Parametern, die das Netzwerk aus dem Durchkämen von Datenbanken und Suchmaschinen gewonnen hat, wurde GPT optimiert, menschliche Sprache zu imitieren und Sätze zu konstruieren, die wahrscheinlich sinnvoll sind. Das macht es für sie leicht, simple Anfragen nach Kirchenliedern zu bearbeiten und lässt sie straucheln, wenn sie sich vorstellen soll, da sie keine Person mit einer permanenten Identität ist.

Wer versucht, den GPT-3 oder die neuere Version den Chat-GPT (auch: GPT-3.5) dazu zu bringen, eine Predigt zu schreiben, die länger als zehn Zeilen ist, stößt an die Grenzen der Technik. Spätestens hier muss vorerst noch ein Mensch eingreifen, da andernfalls astronomische Rechenleistungen von Nöten wären, die der Service nicht zu Verfügung stellt. Mithilfe einer Methode, die ich Backwards-Redundancy-Input (BRI) nenne und an anderer Stelle publizieren werde, und der Manipulation der verschiedenen Regulatoren, die OpenAI in ihrem Playground zur Verfügung stellt, erschafft der GPT-3 etwas, das unseren Vorstellungen einer Predigt grundsätzlich entsprechen dürfte. An Kuriosität ermangelt es auch der Predigt nicht. Sie rangiert von theologisch-tiefgründig, wenn sie über die Liebesfähigkeit von Gott für Maschinen philosophiert, bis humoristisch-pragmatisch, wenn sie evidenzbasierte Tipps für Online-Dating präsentiert. Was das Gehörte bei der Zuhörerschaft auslöst, ist durchaus unterschiedlich. Wenn die KI mit den Worten „Wenn du dich also fragst, ob die Liebe deines Lebens direkt vor dir sein könnte … die Antwort ist ja. Man weiß nie, wer sich anschleichen und dein Herz stehlen könnte,“ endet, stellt sich der Zuhörerschaft mindestens die Frage, was sie da gerade erlebt hat.

2. Die Reaktion

Das unterstreichen auch die vielfältigen Reaktionen im Nachgespräch – schwer zu dem Erlebten keine Meinung zu haben. Sowohl katholische als auch evangelische Stimmen, Laien wie profilierte Forscher:innen kommen zu Wort. Niemand kommt an dieser Stelle auf die Idee, in dem GPT-3 eine ernsthafte Alternative zu einer menschlichen Pastorin zu sehen. Die Argumente dafür sind jedoch selten rundheraus normativer Natur, was der evangelischen Sakramenententheologie geschuldet sein könnte, die keine Priesterweihe oder Apostelsukzession vorsieht, was die Maschine nicht von vornherein als Gottesdienstleitung exkludiert. Die Kritik kommt vielmehr aus dem pragmatischen Lager. Anstoß gab beispielswiese die hölzerne Stimme des Voice-Assistents oder der Umstand, wie statisch die KI ihren Gottesdienst feierte. Beides ließe sich technisch beheben. Text könnte problemlos auch von einer menschlichen Stimme eingesprochen werden, was dem maschinellen Charakter des Gottesdienstes abträglich gewesen wäre. Räumliche Varianz war in diesem Aufbau, bei dem sich Bewegung lediglich auf eine zweidimensionale Sphäre beschränkte, die das gesprochene Wort visualisierte, nicht vorgesehen. Den Kirchenraum auszuschreiten, ist ein fixiertes Tablett nicht im Stande. Was der KI-Prediger vermissen lässt, ist die räumliche Ausdehnung und Mobilität, die in der Reflexion der Gottesdienstpraxis – besonders in den wortzentrierten reformatorischen Traditionen – kaum eigenständige Beachtung erfährt.

Die Predigt selbst, Kernstück der Kunstfertigkeit der KI, wurde durchaus ambivalent bewertet. Einerseits irritierten einige Überlegungen. Selbst wer in der Lage ist, über die Unerhörtheit ihres theologischen Inhalts hinwegzusehen, stößt gelegentlich an Grenzen des Verständnisses. Zwar verfügt der BRI über Mechanismen, die größten Sinnwidrigkeiten zu exkludieren;  das bedeutet nicht, dass alles, was der GPT-3 von sich gibt, kohärent und nachvollziehbar wäre. Andererseits, so die einhellige Kritik anwesender Homiletiker:innen, war das Ergebnis an vielen Stellen kaum von geläufigen, sonntäglichen Predigtversuchen  zu unterscheiden. Immer wieder fabrizierte die künstliche Intelligenz theologische Floskeln und Allgemeinplätze, die so auch von menschlichen Prediger:innen ventiliert werden. Der Befund lässt sich positiv für das Produkt von OpenAI auslegen: wenige Iterationen noch und seine Äußerungen sind vermutlich kaum noch von menschlichen Überlegungen zu unterscheiden. Kritisch lässt sich diese Beobachtung gegen die Predigtkultur wenden. Was tönt da wöchentlich von den Kanzeln, wenn es einem Sprachmodell gelingt, diese Rede nahezu perfekt zu imitieren?

Gerade hierfür lohnt es sich immer wieder, innovative Technik in religiösen Praktiken einzuladen. Sie führt vor Augen, was diese Praktiken ausmacht, was an ihnen wesentlich ist und was möglicherweise einer Revision bedürfte. Der KI-Gottesdienst legt nicht nahe, dass dem Christentum in absehbarer Zeit eine Übernahme durch die Maschine drohe. Wohl aber, dass einige überkommenen Strukturen und Ausdrucksformen selbst einen Innovationsschub vertragen könnten.


[1] theprayer.diemutstrebe.com

[2] Pauline Hope Cheong, „Robots, religion and communication. Rethinking piety, practices and pedagogy in the era of artificial intelligence,“ in Religion in the Age of Digitalization. From New Media to Spiritual Machines, ed. Giulia Isetti et al. (London: Routledge, 2020).


Bildquelle: Tyler Lastovich auf Unsplash


RaT-Blog Nr. 03/2023

  • Jonas Simmerlein ist seit 2021 wissenschaftlicher Assistent (prae doc) am Lehrstuhl für Praktische Theologie und Religionspsychologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät Wien. Wenn er nicht an seiner Monographie zu Sinnstiftungsoptionen in Theologie, Philosophie und Psychologie arbeitet, untersucht er Roboter und Algorithmen in religiösen Praktiken und erforscht digitale Formen religiöser Kommunikation sowie Fragen der Pflege und Diakonie. Sein übergreifendes Interesse liegt also in der Erforschung von Formen und Spuren religiöser Weltverhältnisse in einem postinstitutionellen 21. Jahrhundert.