Das christliche Mönchtum in Ost und West: Die dauerhafte Herausforderung einer Verweltlichung

Eine Gruppe Besucher*innen im Stift Melk in Niederösterreich

Das christliche Mönchtum blickt ohne Zweifel auf eine lange, facettenreiche und einflussreiche Geschichte zurück und stellt eindeutig ein Markenzeichen des gemeinsamen christlichen Erbes in Ost und West dar. Dies bedeutet aber keineswegs das Fehlen von Unterschieden zwischen ihnen, insbesondere im Rahmen der jahrhundertealten Entwicklung und Transformation dieser wichtigen kirchlichen Institution. Beispielsweise findet man die vielen Mönchsorden im lateinischen Westen, nicht im orthodoxen Osten. Trotzdem gibt es gewisse gemeinsame Konstanten, denn das Mönchtum musste sich immer mit bestimmten Situationen auseinandersetzen, die bis heute noch zu beobachten sind. Die vielleicht wichtigste davon betrifft die Beziehungen des Mönchtums zur Welt und die notwendige Grenzziehung, ein sehr heikles Thema mit weitreichenden Konsequenzen, das in der Kirchengeschichte dauerhaft und kontrovers debattiert wurde. Dies ist hauptsächlich auf die Gefahr einer Verweltlichung des Mönchtums zurückzuführen, die mit seiner prinzipiellen und dominanten Jenseitsbezogenheit als unvereinbar galt. Das frühe, aber auch das spätere Mönchtum war entscheidend von Weltflucht und Weltablehnung geprägt, wobei die Sehnsucht nach Gott und einer außerweltlichen Realität tonangebend blieb. Im Laufe der Zeit entwickelten sich jedoch aus verschiedenen Gründen diverse weltbejahende Tendenzen, die dem Mönchtum eine weltbezogene Dimension verliehen. Klöster konnten demzufolge in vielen Fällen erheblichen Reichtum akkumulieren, was ohnehin eine Herausforderung darstellte, denn die Besitzlosigkeit war ein traditionelles Merkmal des Mönchtums. Ähnliches gilt auch für das Bildungsniveau der Mönche, das immer umstritten blieb und wegen verbreiteter anti-intellektualistischer Richtungen für Spannungen sorgte.

Die historische Situation im lateinischen Westen

Im lateinischen Westen wurden – historisch gesehen – diese Tendenzen generell stärker, sichtbarer und einflussreicher, bedenkt man auch, dass die Institution des Papsttums selbst ähnliche Charakteristika und Orientierungen aufwies (z.B. durch die Übernahme von politischer Macht). Die neue Einstellung zur Welt lässt sich beispielsweise den diversen Mönchsorden im Westen entnehmen, die verschiedene Aufgaben in der Welt übernahmen und zur Festigung und Verbreitung des Katholizismus, auch jenseits Europas, beitrugen. Dadurch gingen die jenseitsbezogenen Aspekte des Mönchtums zwar nicht verloren, doch es gab bereits im Spätmittelalter zunehmende Kritik an der progressiven Verweltlichung des Mönchtums und der Kirche, die als eine negative Entwicklung empfunden wurde.

Diese Situation spitzte sich mit der Reformation zu, mit der die Weltbezogenheit der Kirche eine neue und sogar radikale Wende erfuhr. Nicht zufällig sprach Max Weber von einer „innerweltlichen Askese“ im Rahmen von bestimmen protestantischen Konfessionen, also einer neuen Form der bis zu jenem Zeitpunkt in mönchischen Kontexten traditionell stark außerweltlich geprägten Askese. Im reformatorischen Kontext wurde scharfe Kritik gegen das Mönchtum geübt, das – unter anderem – als sozial nutzlos angeprangert wurde. Nicht zu vergessen sind allerdings die staatlichen Säkularisierungsmaßnahmen ab der Frühen Neuzeit, die die Konfiszierung von klösterlichem Vermögen und die Schließung von Klöstern beinhalteten.

Generell war die Kritik am Jenseitscharakter der Kirche ein dominantes Markenzeichen der Moderne. Religionen wurden im Kontext der Aufklärung gemäß dem Kriterium der sozialen Nützlichkeit evaluiert, nicht nach ihren jenseitigen Verspechen über die endgültige Lösung von Problemen. Diese ontologische Aufwertung des Diesseits gegenüber dem Jenseits erfuhr im 19. Jahrhundert im Rahmen der Marx’schen Religionskritik eine weitere Radikalisierung. Es erübrigt sich, hier zu erwähnen, dass dadurch auch das Mönchtum in große Mitleidenschaft gezogen wurde und nicht nur einen erheblichen Teil seines Einflusses und seines Vermögens, sondern auch zum Teil seine Existenzberechtigung verlor.

Die historischen Besonderheiten des orthodoxen Ostens

Im orthodoxen Osten entwickelte sich aber die Lage teilweise anders, denn die Außerweltlichkeit des Mönchtums blieb zum großen Teil eine Konstante, von der wenig abgewichen wurde. Ohnehin geht es hierbei um ein wichtiges Kennzeichen des orthodoxen Christentums auf mehreren Ebenen, insbesondere wenn man dieses mit dem lateinischen Christentum vergleicht, nicht nur im Mittelalter, sondern auch in der Moderne. Beispielsweise zeugt die Entwicklung der Mönchsrepublik Athos (Griechenland) im Laufe der Geschichte von diesem besonderen Jenseitigkeitsbezug des orthodoxen Ostens. Ohne Zweifel lässt sich gleichzeitig auch die Weltbezogenheit des orthodoxen Mönchtums an vielen Indizien ablesen, auch wenn erhebliche Differenzen zur Situation im Westen bestehen.

Es gab auch im Osten weltliche Exzesse, zum Beispiel in Bezug auf den angesammelten Reichtum mancher Klöster und dessen Zweck und Verwendung, was nicht selten auf Kritik stieß. Trotzdem blieb die primäre und starke außerweltliche Orientierung des Mönchtums weitestgehend erhalten und wurde nie wirklich in Frage gestellt. Die Tatsache, dass die orthodoxe Welt weder eine Reformation noch die Moderne am eigenen Leib erlebte, trug zudem zur größeren Kontinuität der orthodoxen Mönchskultur bis heute bei.

Es gab zwar diverse Säkularisierungsmaßnahmen im Osten, wie zum Beispiel unter dem bayerischen König Otto (1832-1863) in Griechenland, als ungefähr dreiviertel der Klöster im Lande geschlossen oder abgerissen wurden. Noch radikalere Maßnahmen gab es in Russland in der Zeit der Sowjetunion und deren atheistischer Religionsverfolgung im Laufe des 20. Jahrhunderts. Aber all diese Probleme konnten die Kontinuität der orthodoxen Mönchskultur und ihre primär jenseitige Orientierung nicht brechen. Dies wird in der Zeit des Postkommunismus ersichtlich, in der orthodoxe Männer- und Nonnenklöster samt ihrer traditionellen Spiritualität eine neue erfolgreiche und einflussreiche Phase in diversen Kontexten (z.B. in Rumänien) erleben.

Gegenwärtige Entwicklungen als Verweltlichung des Mönchtums?

Was lässt sich noch über die Situation des christlichen Mönchtums in der Gegenwart sagen? In unserer toleranten postmodernen Epoche hat sich in der Tat einiges im Vergleich zur Vergangenheit geändert. Die moderne säkulare Kritik am Mönchtum hat sich beispielsweise gewandelt und ist nicht mehr tonangebend. Die Akzeptanz der Mönchskultur ist auch in der allgemeinen Öffentlichkeit größer, ja teilweise sogar modisch geworden. Mönch zu sein ist kein abwegiges Phänomen mehr. Früher verlassene Klöster werden manchmal wieder mit neuen Gemeinschaften belebt. Klöster erfüllen heutzutage eine ganze Menge von Funktionen, die früher unvorstellbar waren. Auch im Kontext des Protestantismus, trotz seiner früheren negativen Haltung zum Thema, wird das Mönchtum viel positiver bewertet, was zu diversen diesbezüglichen Aktivitäten und Initiativen führt. Die Existenz von ökumenisch offenen Klöstern, in denen alle wichtigen Kirchen vertreten sind, ist darüber hinaus heutzutage keine Seltenheit mehr. All dies deutet auf Transformationen hin, die dem Mönchtum in letzter Zeit neue Existenzräume verliehen haben.

Die Frage ist aber, welchen Bezug diese Änderungen auf die bereits erwähnte Herausforderung der Verweltlichung haben, die als Gefahr für die Kirche gilt. Es fällt nicht schwer, zu erkennen, dass in vielen dieser Umbrüche eine wie auch immer geartete Anpassung des Mönchtums an die heutige Welt zu beobachten ist, insbesondere mit Blick auf die abnehmende Zahl der Eintrittswilligen. Diesem vielschichtigen Transformationsprozess verdankt das Mönchtum zum großen Teil seine heutige Attraktivität bei einem immer breiteren, darunter auch säkularen Publikum, denn es bietet Antworten zu diversen Problemen der heutigen Welt und eröffnet damit neue Arbeitsfelder für Mönche und Nonnen.

Im Westen werden Klöster als beliebte Orte für eine Auszeit (einschließlich Stille, Schweigen, Abstand von modernen elektronischen Medien, Entschleunigung, Meditation und geistlicher Begleitung) aus der Hektik des Alltags und der Arbeitssüchtigkeit für gestresste Manager und Workaholiker betrachtet. Das mönchische Fasten und das dazu gehörende asketische Leben werden im Kontext von Diäten, Gewichtsabnahmen und gesunder Ernährung im säkularen Kontext neu interpretiert und angewandt. Ökologisch nachhaltige Produkte werden auch von Klöstern einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die mönchischen Praktiken zur Erlangung von innerer Ruhe, Gelassenheit, Kraft und Achtsamkeit werden als Leitprinzipien für den Alltag im normalen städtischen Leben neu gedeutet. Zu all diesen und anderen Aspekten psychosomatischer Verbesserung bieten Klöster ein vielfältiges Kursangebot an; die Nachfrage ist ebenfalls groß, selbst bei nicht-religiösen Personen. Sicherlich ist ein Stück Spiritualität in all diesen Versuchen mit dabei, jedoch bildet diese keineswegs das einschlägige Kriterium für die neue Attraktivität mönchischen Lebens. Im Grunde genommen sind es die „weltlichen“ Aspekte, die dafür ausschlaggebend sind und größere Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Was noch interessanter ist: Solche weltlichen Aspekte konnten auch in das orthodoxe Mönchtum eindringen, das – wie bereits erwähnt – historisch eine viel stärkere Außerweltlichkeit als das westliche Mönchtum aufwies. Noch im Jahre 1956 veröffentlichte ein Athos-Mönch namens Theoklitos Dionysiatis (= aus dem Kloster Dionysiou) ein Buch mit dem Titel „Zwischen Himmel und Erde“, in dem er das traditionelle außerweltliche Leben orthodoxer Mönche verteidigte und den sozialen Aktivismus westlicher Mönche kritisierte.

Ein Zeichen der Verweltlichung? Ein Kochbuch mit Rezepten vom Berg Athos.

Jedoch sieht die Situation heute anders aus. Die moderne Zivilisation, von Mobiltelefonen bis zum Internet, hat Eingang in den Berg Athos, nämlich in eine traditionelle Bastion der Außerweltlichkeit, gefunden, insbesondere nachdem diese Mönchsrepublik 1988 in die Unesco-Weltkulturerbeliste aufgenommen wurde und viele finanzielle Subventionen aus dem Ausland (z.B. von der Europäischen Union) zu Sanierungszwecken bekommen hat. Neuerdings hatte zudem der Athos-Mönch Epiphanios von Mylopotamos in den Medien Griechenlands für Schlagzeichen gesorgt, indem er seine traditionellen Essensrezepte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machte und popularisierte, denn diese gelten als Prototyp einer gesunden Ernährung.

Dass Klöster diverse ökologische Produkte herstellen und verkaufen, ist auch keine Seltenheit mehr. All dies und vieles mehr ist völlig neu für das orthodoxe Mönchtum, das bis vor Kurzem vorwiegend von stark weltablehnenden Haltungen geprägt war. Es versteht sich von selbst, dass das Problem der Verweltlichung des Mönchtums virulent bleibt. Seine Attraktivität wird hauptsächlich durch solche „weltlichen“ Aspekte erhöht und zwar für ein breiteres und meistens säkulares Publikum, das sich des mönchischen Lebens und der Kirche sehr selektiv und punktuell für eigene Zwecke bedient. War aber eine solche weltbezogene Attraktivität – historisch gesehen – die treibende Kraft des Mönchtums im Osten, das vorwiegend stark außerweltlich orientiert war?

Bei näherer Betrachtung wird ersichtlich, dass diese Wandlung nur einen Teil der gegenwärtigen Transformationen des orthodoxen Mönchtums darstellt, das sich zudem auch in andere Richtungen entwickelt. Konkreter formuliert: Es laufen auch andere Prozesse, die mit einer Re-Traditionalisierung, ja sogar Radikalisierung des Mönchtums verbunden sind und sich kritisch gegen die diversen Verweltlichungsaspekte äußern. In den letzten Jahrzehnten gab es beispielsweise neue orthodoxe Klöstergründungen in Westeuropa und in den USA, die vorwiegend von Konvertiten zur Orthodoxie besetzt werden und oftmals von anti-modernen, anti-westlichen und fundamentalistischen Tendenzen beeinflusst sind. Die Weltaffirmation ist in diesem Kontext sehr gering oder existiert zumindest in verkappter Form, wobei der Schwerpunkt fast ausschließlich auf das Jenseits gelegt wird. Dies entspreche – so das übliche Argument – der traditionellen Orientierung des ursprünglichen christlichen Mönchtums. Es erübrigt sich, hier zu erwähnen, dass solche Tendenzen oftmals mit Verschwörungsszenarien aller Art im Zusammenhang stehen, was vielen mönchischen Haltungen zur Covid-19-Pandemie zu entnehmen ist.

Schlußbemerkungen

Die obigen Ausführungen haben gezeigt, wie die Verweltlichung des Mönchtums, sowohl im Osten als auch im Westen, als eine große Herausforderung empfunden werden kann, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Sicherlich bedeutet dies nicht das Verlorengehen oder die Neutralisierung mönchischer Spiritualität, doch letztere steht heutzutage in vielen Fällen an zweiter oder dritter Stelle und spielt meistens, wenn überhaupt, eine deutlich untergeordnete Rolle. Es gilt daher, eine gesunde Balance zwischen den beiden Extremen zu finden. Auf der einen Seite darf die traditionelle Jenseitsbezogenheit des Mönchtums nicht in eine ausschließliche Außerweltlichkeit verfallen, die weltablehnend wirken würde, sondern sollte durch eine gesunde und gemäßigte Weltbezogenheit bereichert und ergänzt werden. Auf der anderen Seite sollte diese Jenseitsbezogenheit ein sine qua non sowohl für das Mönchtum als auch für die Kirche insgesamt bleiben und darf keineswegs zugunsten einer zunehmenden Weltlichkeit (im Sinne einer wie auch immer gearteten Säkularisierung) preisgegeben werden, die in letzter Zeit in neuen Formen auftritt.


Photocredits: Beitragsbild: Eine Gruppe Besucher*innen bei der Besichtigung des Stifts Melk in Niederösterreich. (C) Stift Melk, Brigitte Kobler. Wir bedanken uns für die Genehmigung zur Verwendung des Bildes. Abbildung 2: (C) Vasilios N. Makrides.


RaT-Blog Nr. 19/2023