Angesichts von Kriegen, Naturkatastrophen, atomarer Bedrohung und Pandemien tritt die Endlichkeit von Welt und Mensch verstärkt ins Bewusstsein. Vertreter:innen der „letzten Generation“ machen auf ein mögliches Ablaufdatum des Planeten aufmerksam, die symbolische Weltuntergangsuhr „doomsday clock“ steht Atomforschern zufolge bereits auf 90 Sekunden vor Mitternacht. Kein Wunder, dass apokalyptische Rhetorik medial weite Verbreitung findet. Dass es sich bei der Apokalyptik jedoch um einen im jüdisch-christlichen Raum geprägten Topos handelt, der eine „Enthüllung“ der Endzeit visionär andeutet und jenseits von allen Schreckensszenarien vor allem Trost und Hoffnung zu vermitteln sucht, gerät heute leicht in Vergessenheit. „Apokalypse“ ist ein medial omnipräsenter, säkularer Begriff geworden, der sich in der öffentlichen Wahrnehmung von seinem ursprünglichen religiösen Verheißungshorizont und zeitphilosophischen Implikationen entfernt hat. Die „kupierte Apokalypse“ beschränkt sich auf Weltuntergangsnarrative und blendet Trost- und Hoffnungsaussagen weitgehend aus.
Apokalyptische Vorstellungswelten haben durch die Jahrhunderte Komponist:innen (und Literat:innen und Künstler:innen) inspiriert. Besonders das faszinierende wie umstrittene letzte Buch der Bibel, die „Offenbarung des Johannes“ mit seinen wirkmächtigen Bildern wie den apokalyptischen Reitern, dem Buch mit sieben Siegeln oder den Posaunen-Engeln fand in der Musikgeschichte Rezeption. Gerade im 20. Jahrhundert entstand eine Fülle an Werken mit eschatologisch-apokalyptischen Bezügen, die nicht selten zeitgeschichtliche Erfahrungen der beiden Weltkriege verarbeiten.
Interdisziplinäre Annäherung an die Apokalypse
Vor diesem Hintergrund – Aktualität, breite Resonanz in der Musikgeschichte und heute oft verloren gegangenes Wissen um philosophisch-theologische Hintergründe der Apokalyptik – fand im Wintersemester 2023/24 ein interdisziplinäres Blockseminar in Kooperation zwischen der Katholisch-Theologischen Fakultät und der Universität Mozarteum statt. Musik- bzw. Kompositionsstudierende und Theologiestudierende waren eingeladen, sich gemeinsam mit theologisch-philosophischen Voraussetzungen und Quellen der Apokalyptik zu beschäftigen, repräsentative Kompositionen mit apokalyptischer Programmatik aus dem 20. Jahrhundert kennenzulernen und sich davon ausgehend auf eigene Weise kreativ in Form von Kompositionen und Performances mit der Thematik auseinanderzusetzen. Wissenschaftliche Ansätze traten mit praktisch-künstlerischen in Dialog. Finanziell unterstützt wurde das Seminar freundlicherweise durch die Universität Mozarteum Salzburg und die Bertold-Hummel-Stiftung.
Es kamen also zwei Studierendengruppen zusammen, die ganz unterschiedliche Voraussetzungen und Bildungsbiografien und mitunter auch Vorbehalte (etwa: „altmodische katholische Theologie“/„schrecklich klingende zeitgenössische Musik“) mitbrachten. Es war spannend zu sehen, wie die beiden Studierendengruppen im Laufe des Seminars in einen interaktiven Prozess eintraten, miteinander diskutierten, eine gemeinsame Kommunikationsbasis jenseits fachlichen Expertenwissens fanden und voneinander lernen konnten. Sie wurden angeregt, ihr eigenes künstlerisches oder theologisches Denken und Handeln aus der je anderen Perspektive heraus zu reflektieren, im Dialog eigene Positionen nachzuschärfen und mit dem aktuellen Zeitgeschehen in Verbindung zu bringen.
Quellen der Apokalypse
Inhaltlich setzte das Seminar drei Schwerpunkte: Zunächst fand eine Auseinandersetzung mit Quellen und Voraussetzungen apokalyptischen Denkens, mit Transformationen und heutigen philosophisch-theologischen Ansätzen statt. Dabei wurden biblische, liturgische und mythische Quellentexte zur Apokalypse erschlossen und Beiträge u.a. von Hans Magnus Enzensberger, Johann Baptist Metz und Ulrich H.J. Körtner gelesen und diskutiert. Auch der Missbrauch apokalyptischer Rhetorik im Nationalsozialismus („Erlösung durch Vernichtung“) und in politischer Propaganda kam zur Sprache.
Wie klingt die Apokalypse?
Zweitens wurden Kompositionen mit Bezug zur Apokalypse gemeinsam gehört, analysiert und gedeutet. Besprochen wurde u.a. Olivier Messiaens beeindruckendes, in Kriegsgefangenschaft während des Zweiten Weltkriegs komponiertes Quatuor pour la fin du temps (1941). Darin entwirft der gläubige Katholik Messiaen ausgehend von der Offenbarung des Johannes eine klangstarke Hoffnungsvision und entwickelt kompositorische Verfahren, um – im Zeitmedium Musik scheinbar paradox – das Ende der Zeit und die Ewigkeit erfahrungshaft zum Ausdruck zu bringen.
Benjamin Brittens War Requiem (1962) verknüpft bzw. konterkariert die liturgischen Texte des Requiems mit Gedichten des im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten Wilfred Owen zu einer eschatologischen Friedensvision, die angesichts der Grausamkeit des Krieges auch die Formelhaftigkeit liturgischer Sprache entlarvt. Die Visionen op. 73 von Bertold Hummel, für den Katholikentag 1980 komponiert, bringen nicht nur die Schreckensszenarien, angeführt durch die vier apokalyptischen Reiter, zu Gehör, sondern münden in eine trostvolle Klangvision des himmlischen Jerusalem. Wie sich zeitgenössische Musik in Sachen Klimaschutz engagieren kann, zeigte die eigens für das Seminar angereiste, in Paris lebende moldawische Komponistin Mariana Ungureanu, die ihr Projekt „The Ice Life“ vorstellte. Das stille Sterben, das Schmelzen („Bluten“) der Gletscher in Island macht sie durch eine Video- und Toninstallation eindrucksvoll sichtbar und hörbar.
Einblick in die „kompositorische Werkstatt“
Der dritte Schwerpunkt gab einen lebendigen Einblick in die „kompositorische Werkstatt“. Die sieben Salzburger Studierenden aus sechs Nationen, darunter auch eine Tänzerin, stellten ihre eigenen Entwürfe von Kompositionen bzw. Performances mit Bezug zur Apokalypse vor und boten erste Live-Eindrücke. Die aus dem Seminar hervorgehenden Werke werden am 25. Mai 2024 im Rahmen eines öffentlichen Konzertes durch Mitglieder des renommierten Ensembles für Neue Musik (oenm) aufgeführt. Es war höchst anregend mitzuverfolgen, wie apokalyptische Topoi in Musik (akustisch und elektronisch) und Tanz schöpferisch einfließen können und welch unterschiedliche kompositorische und ästhetische Ansätze die Studierenden verfolgten. Ein Großteil der Kompositionsstudierenden nahm poetologisch oder durch akustisch verdichtete Einspielungen Bezug auf zeitgeschichtliche Themen (Atombombenabwürfe, Burenkrieg in Südafrika, Widerstand gegen die Stasi, Klimakatastrophe), auch benachbarte Künste (Poesie, Pop-Musik, Tanz) wurden aufgegriffen. Fragen der kompositorischen „Umsetzung“ apokalyptischer Konzepte forderten auch die Theologiestudierenden heraus: Wie lässt sich die Apokalypse jenseits von lärmender Zerstörungsrhetorik darstellen? Wie lässt sich das, was nach der Apokalypse kommt, zum Ausdruck bringen? Entzieht sich dies nicht jeder Darstellung? Wie sind eine Zielgerichtetheit der Geschichte bzw. Zeitlosigkeit und Ewigkeit zu denken und wie lassen sich diese mit den Mitteln der an Zeit und Raum gebundenen Musik erfahrbar machen? In welchem Verhältnis steht individuelles, subjektives Erleben zu einer globalen finalen Apokalypse?
Ertrag und Perspektiven
Das Seminar verdeutlichte, wie wichtig und fruchtbringend interdisziplinäre Vernetzung sein kann. Heutigen Komponist:innen und Kulturschaffenden ist der christliche Referenzrahmen, in dem sich die Musikgeschichte immer noch bewegt, weitgehend fremd geworden. Das Wissen um christliche Symbole, Begriffe und Konzepte sowie prägende biblische und liturgische Texte schwindet. Umgekehrt hat die Theologie oft Berührungsängste zu zeitgenössischer Musik und Kultur und tendiert zu binnentheologischen Diskursen, die sich von gesellschaftlichen Transformationsprozessen abzukapseln drohen. Umso gewinnbringender wurde es von den Seminarteilnehmenden empfunden, vorbehaltlos über den eigenen Tellerrand zu schauen, sich multiperspektivisch einem höchst aktuellen Thema anzunähern und wissenschaftliche Ansätze mit künstlerisch-praktischen zu verbinden. Die Musikstudierenden profitierten von den fundierten Rückmeldungen und kritischen Fragen der Theologiestudierenden und wurden ermutigt, eigene Positionen nachzuschärfen und sich auf künstlerisch-kreative Weise in gesellschaftliche Transformationsprozesse einzubringen. Die Theologiestudierenden wiederum konnten ihr Wissen um apokalyptische Konzepte vertiefen, ein Sensorium für den Missbrauch apokalyptischer Rhetorik entwickeln und bekamen nachhaltige Anregungen, die Musik als „Quelle der Theologie“ zu erschließen und den Dialog mit der zeitgenössischen Musik zu suchen, in der grundlegende existentielle Fragen nach Gott, nach einem gelingenden Leben und dem Ende von Welt, Zeit und Mensch durchtönen. Wir dürfen gespannt sein auf das Konzert am 25. Mai 2024!
Weiterführende Links
Apokalypse & Weltuntergangsszenarien, Symposium am 25.05.2024: https://www.moz.ac.at/de/veranstaltungen/2024/05/25-apokalypse-und-weltuntergangsszenarien
Konzert am 25. Mai 2024 mit dem oenm: https://oenm.at/konzert/musik-versus-barbarei/
The Ice Life (Mariana Ungureanu):
Prof. Dr. Juliane Brandes, MA: https://www.moz.ac.at/de/personen/komposition-musiktheorie/brandes-juliane
Dr. Dorothee Bauer: https://dg-ktf.univie.ac.at/ueber-uns/team/dorothee-bauer/
Photocredits:
Titelbild: „The Great Day of His Wrath“ von John Martin, (C) Wikimedia Commons
Abbildung 1: (C) Wikimedia Commons
Abbildung 2: (C) Wikimedia Commons
Abbildung 3+4: (C) Mariana Ungureanu. Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin.
RaT-Blog Nr. 04/2024