Kant über „Religion und Aufklärung“

Religion als „Hauptpunkt der Aufklärung“ – „Religionskritisches“

Der von Kant „vorzüglich in Religionssachen“ gesetzte „Hauptpunkt der Aufklärung“ erweist sich durchaus als ambivalent. Zunächst verfolgte er damit zweifellos auch eine religionskritische Absicht, denn bekanntlich wollte er den „wurmstichigen Dogmatismus“ und die vermessene „Vernünftelei“ kritisieren, die den traditionellen Got­tesbeweisen innewohnen: Als „vermessen“ galt ihm die unbesonnene Haltung des Menschen, die das „Längen­maß seiner Kräfte…zu überschlagen vergisst“. Dies ist primärer Gegenstand „aufgeklärter Kritik“, wonach „in der Abwiegung der Vernunftgründe einer bloßen Spekulation alles ehrlich zugehen müsse“, und bedeutet so für den „Gerichtshof“ der Vernunft, „die Blendwerke einer ihre Grenzen verkennenden Vernunft zu entdecken und …den Eigendünkel der Spekulation auf das bescheidene, aber gründliche Selbsterkenntnis zurückzuführen.“ Auf diesem Einwand beruht also zunächst seine Kritik der tradierten „Gottesbeweise“. Dies liegt sodann auch der gebotenen aufgeklärten „Befreiung vom Aberglauben“ zugrunde, den Kant als die – einen bloß „passiven Ge­brauch“ des Verstandes verratende – Einstellung charakterisierte, „sich den Naturregeln, welche der Ver­stand…durch ihr eigenes wesentliches Gesetz zum Grunde legt, nicht unterworfen vorzustellen“ – was freilich jedem Vernunftgebrauch widerstreitet.

Ebenso war Kants energische Kritik um die Abkehr von einem bloßen „Religionswahn“ und „Afterdienst“ zu­gunsten eines „freien, mithin moralischen Dienstes Gottes“ bemüht – und somit auch um eine Abwehr der das Gewissen belästigenden „geistlichen Obrigkeit“ und eines „Pfaffentums“. Als „wahre Reform der Denkungsart“ zielt „wahre Aufklärung“ vorrangig darauf, dass „die Vernunft aber ihrer Natur nach frei ist, und keine Befehle, etwas für wahr zu halten (kein crede sondern nur ein freies credo), annimmt“, also frei vom „Joch der Tradition“ und des „Buchstabens“ bleibt, das den Gewissenhaften „viel härter drückt“. Dagegen machte Kant die Verpflich­tung auf eine in der „allgemeinen Menschenvernunft“ verankerte allgemeine Vernunftreligion“ geltend, die als „vollständige Religion…allen Menschen durch ihre eigene Vernunft fasslich und überzeugend vorgelegt werden kann“, d.h. einen „reinen“, „wahren Religionsglaubens“ empfiehlt, der als „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ jedem entmündigenden bloßen „Autoritätsglauben“ eine entschiedene Absage erteilt: „Religi­on ist derjenige Glaube, der das Wesentliche aller Verehrung Gottes in der Moralität des Menschen setzt“.

Einen geist-tötenden „Autoritätsglauben“ erkannte Kant freilich auch in der Berufung auf das „da steht’s ge­schrieben“ im Umgang mit biblischen Texten. Gegenüber einem solchen fundamentalistischen „Buchstabenglau­ben“ forderte er eine „authentische Auslegung“ der heiligen Schriften – und zwar in Berufung auf Gründe; die den Rahmen eines immunisierungs-geleiteten „Kirchenglaubens“ (als eines „sich beständig erhaltenden Sy­stems“) sprengen und so auch entsprechende Ansprüche auf „Interpretations-Hoheiten“ relativieren: Weil der Sinn des Textes seine „Bedeutung“ eben nicht aus sich selbst hat, sondern in vernünftiger Auslegung erst leben­dig-„bedeutend“ wird, unterschied Kant den „Buchstabensinn“ vom „geistigen Sinn“; die Auslegung gemäß er­sterem („da steht‘s geschrieben“) bleibe hingegen unvermeidlich „tot an ihm selber“, weshalb der unverzichtbare Leitfaden für die angemessene Auslegung des Textes zunächst allein die „moralisch bestimmte Vernunft“ selbst sein könne, die den Anspruch des Textes erst „zur Sprache bringt“, d.h. vernehmbar macht: „Schriftstellen, wel­che…für heilig angekündigte, aber allen (selbst den moralischen) Vernunftbegriff übersteigende Lehren enthal­ten, dürfen, diejenigen aber, welche der praktischen Vernunft widersprechende Sätze enthalten, müssen (!) zum Vorteil der letzteren ausgelegt werden“. Und: „Wenn die Quelle gewisser sanktionierter Lehren historisch ist, so mögen diese auch noch sehr als heilig dem unbedenklichen Gehorsam des Glaubens anempfohlen werden; die philosophische Fakultät ist berechtigt, ja verbunden, diesem Ursprunge mit kritischer Bedenklichkeit nachzuspü­ren.“

Religion als „Hauptpunkt der Aufklärung“ – „sapere aude!“ als „Religionsaffirmation“

Indes, neben diesen eher religionskritischen Akzenten enthält der kantische „Hauptpunkt der Aufklärung“ – was nicht ignoriert werden darf – gegenläufig dazu auch einen religions-affirmativen Sinn. Demgemäß wandte sich Kants Idee der „wahren Aufklärung“ nämlich gleichermaßen gegen eine – bloß religionskritische – „halbierte“ und insofern „unwahre“ Aufklärung und deren hartnäckige Vorurteile. Sie zielt nunmehr auf die Überwindung eines nicht weniger bornierten, weithin „szientistisch“ orientierten „dogmatischen Unglaubens“ ab, denn: „Nicht alles, was sich nicht im höchsten Grade demonstrieren lässt, ist seicht.“. Man kann deshalb gegenüber den „Ge­bildeten unter den Verächtern der Religion“ nicht genug betonen, dass die allzu hastige Ausblendung (bzw. Amputation) der „wahren Religion“ nach Kant auf eine bloße Schwundstufe des Programms „Aufklärung und Kritik“ hinausläuft, die lediglich eine „Unmündigkeit“ besonderer Art verrät: Dass es „so bequem [ist], unmün­dig zu sein“, gilt demnach gleichermaßen für eine pseudo-aufgeklärte, ebenfalls von Vorurteilen geleitete dog­matistische Religionskritik, die sich mit ihren „freche(n) und das Feld der Vernunft verengende(n) Behauptun­gen des Materalismus, Natualismus und Fatalismus“ weithin einer allzu bequemen „szientistischen“ Leitung ver­dankt.

Kant war vielmehr besonders darum bemüht, „durch den klärsten Beweis der Unwissenheit der Gegner, auf alle künftige Zeit ein Ende zu machen“, um so „zum Glauben Platz zu bekommen“, d.h. den Nachweis zu erbringen, dass „Gott kein Wahn“ ist. Deshalb versuchte er einen „Weg zum Glauben“ zu eröffnen – einen „reinen Religionsglauben“, „über welchen es keine streitende Meinungen geben kann“, d.h. jenseits der verfehl­ten Gottesbeweise einerseits, eines Atheismus im Namen der modernen Wissenschaft andererseits: Beide sind vermessen, also das „Längenmaß ihrer Kräfte“ verkennend. Kants Kritik ist also denkbar „radikal“ – verfolgte er doch das Ziel, dass „dem Materialism, Fatalism, Atheism, dem freigeisterischen Unglauben, der Schwärmerei und Aberglauben… die Wurzel abgeschnitten werden“ soll.

Es ist höchst aufschlussreich (bleibt jedoch weithin ignoriert!), dass der späte Kant den berühmten frühen Wahl­spruch der Aufklärung „sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ (aus dem Auf­satz: „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“) sodann folgendermaßen ersetzt (bzw. jedenfalls ergänzt!): „sapere aude. Versuche dich Deiner eigenen Vernunft zu Deinen wahren absoluten Zwecken zu bedienen. – Dazu wird keine Wissenschaft…erfordert. Die Lehre des obersten Zwecks (Gebot) weiß jeder.“ Damit hat Kant jenen „Hauptpunkt der Aufklärung“ noch besonders akzentuiert. Im Blick auf diese „wahren absoluten Zwecke“ hat er sogar die „Religion als die höchste Angelegenheit des Menschen“ gewürdigt und nunmehr bemerkenswer­terweise auch betont, es sei „unmöglich, dass ein Mensch ohne Religion seines Lebens froh werde“. Dies sind freilich weithin unbeachtete Aspekte seiner „aufgeklärten Denkungsart“, die auch in der gegenwärtigen Kant-Re­zeption weithin unbeachtet bleiben…

Doch was sind nun diese „wahren absoluten Zwecke“ der Vernunft, was ist „höchster Zweck [„Endzweck“] un­seres Daseins“? Gewiss ist Religion nicht zur Begründung des moralisch Gebotenen (d.i. für die Frage: „Was soll ich tun?“) erforderlich, denn dafür ist schon die „reine praktische Vernunft sich selbst genug“. Kants zentra­le These: „es ist moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen“, ist demnach offenbar anders zu verste­hen: Wenngleich Gott zwar keineswegs zur Moralbegründung notwendig ist, so ist es nach Kant dennoch der vernunft-notwendige – moralisch inspirierte – Einspruch gegen die moralische Absurdität („absurdum morale“): D.h. dagegen, dass der Mensch als – „vernünftiges Weltwesen“ – einfachhin der stummen Gleichgültigkeit des Universums ausgeliefert sein, d.h. ihr endgültig zum Opfer fallen soll; es ist der entschiedene Einspruch gegen diesen „Weltenlauf“ als der „einzigen Ordnung der Dinge“, der das „Bedürfnis der fragenden Vernunft“ (um de­ren „Selbsterhaltung“ willen) hoffend ausspannt auf die Idee eines „Endzwecks der Schöpfung“ (das „höchste Gut“). Dessen „Nichtigkeit“ behauptet indes der nihilistische „Vernunftunglaube“, der so die notwendigen „mo­ralischen Zwecke“ des Menschen – „was dasein soll“ – geradewegs vereitelt, d.h. die Idee des „höchsten Gutes“ als „eitel-nichtig“ erscheinen lässt – durchaus nahe dem biblischen Befund: „Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht; und siehe, es war alles eitel und Haschen nach Wind“ (Kohelet 1,14).

Dies dementiert nämlich gewissermaßen die „Vernunftnatur“ des Menschen als „vernünftigen, aber endlichen Wesens“ in diesem „Spiel des Lebens“ – und wirft die, „die da glauben konnten, Endzweck der Schöpfung zu sein, in den Schlund des zwecklosen Chaos der Materie zurück…, aus dem sie gezogen waren.“ Aus moralischen Gründen – und in Ver­meidung der drohenden „Verzweiflung der Vernunft an sich selbst“! – ist zu hoffen, dass das bestehende („erlit­tene“) Unrecht und der darob ganz indifferente „Naturlauf“ – end-gültig – nicht das letzte Wort behält: Eben darauf zielt das von Kant geltend gemachte „Bedürfnis der fragenden Vernunft“ nach „rettender Gerechtigkeit“ …

Moral und Religion: „Was darf ich hoffen?“

Es ist das Widerfahrnis der abgründigen Existenznot, das sich in Kants Frage „Was darf ich hoffen?“ und in dem von ihm so genannten „Zweifelglauben“ artikuliert: Als besondere Gestalt des Vernunftglaubens entwickelt dieser „Zweifelglaube“, und zwar aus moralischen Gründen, ein in „Vernunft, Herz und Gewissen“ wurzelndes „überwiegendes (!) praktisches Für-wahr-Halten“, weshalb „Moral unumgänglich (unausbleiblich) zur Religion führt“. Kant begegnet gewissermaßen Camus: Dieser ebenfalls gegen jene „Verzweiflung der Vernunft an sich selbst“ ankämpfende Zweifelglaube ist es, der deshalb ebenso unbeirrt geltend macht, „dass es im Ausgange nimmermehr einerlei sein könne, ob ein Mensch sich redlich oder falsch, billig oder gewalttätig verhalten habe, wenn er gleich bis an sein Lebensende, wenigstens sichtbarlich, für seine Tugenden kein Glück, oder für seine Verbrechen keine Strafe angetroffen habe. Es ist: als ob sie in sich eine Stimme wahrnähmen, es müsse anders zugehen…“ – „redlich oder unredlich“ darf letztendlich – „end-gültig“ – nicht als „gleichviel“ gelten… Ja, „diese Sehnsucht gehört zum wirklich denkenden Menschen“ (so M. Horkheimer mit Blick auf Kant). Und wenn es ernsthaft um Moral geht, so muss auch der Atheist so leben, „als ob“ er – letztendlich, „am Ende der Tage“ – für sein Leben gerade stehen muss: „Was hast Du mit der Zeit Deines Lebens gemacht?“ „Führe Deinen Le­benswandel mit Gewissenhaftigkeit, als ob Du Dich eines künftigen Weltrichters zu gewärtigen habest“.

Interes­sant ist auch Kants diesbezügliche Notiz, dass es „weise ist, so zu handeln, als ob ein andres Leben, und der moralische Zustand, mit dem wir das gegenwärtige endigen, samt seinen Folgen, beim Eintritt in dasselbe unab­änderlich sei“. Daraus resultiert der Gedanke: Handle so, als ob ein „Herzenskündiger“ und ein „jüngstes Ge­richt“ auf dich wartet, d.h. „Rechenschaft vor einem gerechten Richter gefordert“ wird – und nicht der Mensch bloß im Tod „die Materie, daraus er ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muss, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen.“ Das ist keine leere Drohbotschaft, sondern bedeutet lediglich, dass wir (zu­folge der Idee der „moralischen Welt“) dem unentrinn­baren Anspruch der moralisch-praktischen Vernunft und ihrer Forderung nach Gerechtigkeit unterstehen – denn „wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, dass Menschen auf Erden leben…“. Es ist dies freilich kein „Bedürfnis aus Neigung“, sondern ein nicht nachlassen dürfendes „Vernunftbedürfnis“, das sich in jenem „Es müsse anders zugehen“ artikuliert und deshalb den ebenfalls „nicht nachlassen dürfenden“ „Macht­spruch der Vernunft“: „Ich will, dass ein Gott sei“ begründet. Dies verweist so auf das moralisch verankerte Postulat des „Daseins Gottes“ – jenseits von infantiler Furcht und bloßem „Wunschdenken“. „Wir glauben gern, was wir wünschen“ – das wusste freilich auch Kant; doch davon ist jenes unstillbare „Bedürfnis der fragenden Vernunft“ zu unterscheiden, das sich allein an der „Selbsterhaltung der Vernunft“ orientiert…

So zeigt sich, dass die Religion zwar nicht zur Begründung der Moral erforderlich ist, jedoch die Moral letztend­lich zur Gottesthematik – „Moral unumgänglich zur Religion“ – führt. Daran orientiert sich nach Kant auch jenes „Bedürfnis der fragenden Vernunft“, aufgeklärt „sich im Denken überhaupt [zu] orientieren“, d.h. „im unermess­lichen…Raume des Übersinnlichen, lediglich durch ihr eigenes Bedürfnis“ mit verlässlichen „Wegweisern“ ge­mäß jenem auf die „wahren absoluten Zwecken“ gerichteten „sapere aude!“ Orientierung zu finden. Obgleich für Kant „Religion eine reine Vernunftsache“ ist, umgreift sie dennoch die ganze „moralische Lebensgeschichte je­des Menschen“ in „Vernunft, Herz und Gewissen“, und zeigt so überdies, dass Kant Religion keineswegs auf Moral reduzierte (wie vielfach behauptet wird); dies verdeutlicht ebenso sein Bezug auf die not-wendende Gna­de, die als unentbehrliche „Ergänzung des moralischen Unvermögens“, d.i. des „Mangels unserer eigenen Ge­rechtigkeit“, fungiert – in einer gewiss denkwürdigen Wendung rekurrierte Kant vielmehr auf eine göttliche „Gü­te, die der Gerechtigkeit nicht Abbruch tut“… Nur so ist die „Hoffnung“ begründet, „der Glückseligkeit dereinst in dem Maße teilhaftig zu werden, als wir darauf bedacht gewesen, ihrer nicht unwürdig zu sein.“

Kants unabweisbare Mahnungen…

Auch zum 300. Geburtstag Kants bleibt indes sein Befund nach wie vor gültig: „Leben wir jetzt in einem aufge­klärten Zeitalter? Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung“. Weltweit bestätigt sich offenbar seine kri­tische Diagnose, dass „in Religionsdingen …die meisten unmündig und … [noch] immer unter der Leitung von fremder Vernunft“ sind, „faule Vernunft…sich also zur Ruhe begibt“. „Dass die Menschen, wie die Sachen jetzt stehen, im Ganzen genommen, schon im Stande wären, oder darin auch nur gesetzt werden könnten, in Religi­onsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines andern sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel“…Die UNESCO sollte deshalb in diesem Kant-Jubiläums-Jahr am besten Kants Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ in der ganzen Welt – besonders auch unter den „Evangelikalen“ des Westens und den „Orthodoxen“ des Ostens, ebenso in der „islamischen“ und „hinduistischen Welt“ und auch in „erz-katholischen“ Kreisen – verbreiten, denn die „Aufklärung“ ist wahrlich ein „unvollendetes Projekt“…

Als entscheidend erweist sich für Kants aufgeklärtes Verhältnis zur Religion freilich sein geradezu leidenschaft­lich-beschwörender Aufruf, der an Aktualität wohl nichts verloren hat: „Freunde des Menschengeschlechts und dessen, was ihm am heiligsten ist! Nehmt an, was euch nach sorgfältiger und aufrichtiger Prüfung am glaubwür­digsten scheint, es mögen Fakta, es mögen Vernunftgründe sein; nur streitet der Vernunft nicht das, was sie zum höchsten Gut auf Erden macht, nämlich das Vorrecht ab, der letzte Probierstein der Wahrheit zu sein“ – denn es gibt eben kein „höheres Prinzip der Entscheidung, wenn über Wahrheit gestritten wird, als die Vernunft“. Des­halb gilt nach wie vor sein Befund: „Die Religion wird keinen Fortbestand mehr haben, und alles wird nach frei­er Überzeugung geschehen… und von den früheren Religionsbekenntnissen wird man beibehalten, was man für gut erachtet. Die Bibel wird immer viel Autorität haben, und sie ist das beste Buch von dieser Art.“

Freilich: „Sollte es… darauf angesehen sein, mit der Vernunft in Religionsdingen, wo möglich, gar nichts zu schaffen haben, so kann man leicht voraussehen, auf wessen Seite der Verlust sein würde: denn eine Religion, die der Vernunft unbedenklich den Krieg ankündigt, wird es auf die Dauer gegen sie nicht aushalten“ – denn, so Kant: „Der kritische Weg ist allein noch offen“… Ein „kantianisches“ Christentum – ein unerschüttertes Bollwerk gegen die„frechen und das Feld der Vernunft verengenden Behauptungen“ eines gedankenlosen „naturalisti­schen“ Szientismus und Nihilismus? – wäre ihm zufolge lediglich die notwendige Konsequenz daraus. Es bestä­tigt sich: Kants (unvollendetes) „Projekt der Aufklärung“ ist jedenfalls ohne den von ihm „in Religionssachen“ gesetzten „Hauptpunkt der Aufklärung“ nicht zu haben und verdient nach wie vor Beachtung. …


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  • Univ.Prof.i.R. Dr. Rudolf Langthaler, war bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2018 Professor f. Philosophie an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Wien.