Immanuel Kant und die protestantische Theologie. Eine Erinnerung anlässlich seines 300. Geburtstags

Am 22. April vor 300 Jahren wurde Immanuel Kant geboren. Mit seinem Werk verbindet sich ähnlich wie mit dem von Nikolaus Kopernikus eine Wende. Auch für die protestantische Theologie markiert Kant einen entscheidenden Wendepunkt. Ohne ihn kein Friedrich Schleiermacher und Albrecht Ritsch, aber auch kein Karl Barth. Doch worin liegt die Bedeutung eines Philosophen für die Theologie, der in die Geschichte als ‚Alleszermalmender‘ eingegangen ist? Den überweltlichen Gott im Himmel ließ Kant, wie es Heinrich Heine formulierte, über die erkenntnistheoretische Klinge springen, um ihn dann, vielleicht aus Mitleid mit seinem alten Diener Lampe, in der Moralphilosophie wiederzubeleben.

Kants Leben und Wirken war auf die ehemalig preußische Universitätsstadt Königsberg beschränkt. Vom Pietismus geprägt, studierte er an der heimatlichen Universität, an der er später selbst lehrte. 1781 publizierte Kant sein Hauptwerk, die Kritik der reinen Vernunft, an dem er 12 Jahre lang arbeitete. Von den Zeitgenossen wurde es als Revolution, ja gar als Evangelium wahrgenommen. Es stellte das Wissen auf eine völlig neue Grundlage. Intersubjektiv geltende Erkenntnis, so seine These, komme durch das Zusammenspiel von Anschauung und Begriff zustande. Wo eins von beiden fehlt, liegt keine Erkenntnis vor. Das hat Konsequenzen für die Theologie und ihren Gegenstand. Da der Mensch von Gott keine Anschauung habe, kann es keine Erkenntnis von ihm geben. Gott scheidet aus dem Bereich der möglichen Erkenntnisgegenstände aus. Damit bricht die alte, vormoderne Theologie zusammen. Religion wird unabhängig von der Metaphysik. Sie hat ihren Ort im moralischen Handeln des Menschen. Zwar gründet die Moral für Kant nicht in Gott, wohl aber führe sie unumgänglich zur Religion. Das ist deshalb der Fall, weil in jedem sittlichen Handeln vorausgesetzt werden muss, dass Freiheit und Natur zusammen bestehen können, die Korrespondenz beider aber nicht durch das Handeln hervorgebracht werden kann. Gott repräsentiert im sittlichen Handeln diese für die Verwirklichung der Moral durch den Menschen unumgängliche Voraussetzung. Religion hat eine Funktion für die Moral. Ihre Inhalte, Gott, Jesus Christus, der Geist und die Kirche, beschreiben die Voraussetzung und die Struktur des sittlichen Handelns in der Welt.

Durch Kants Erkenntniskritik wurde der Religionsbegriff zur Grundlage der modernen protestantischen Theologie. Nachdem bereits die Bibelkritik der Aufklärung das Schriftprinzip des alten Luthertums aufgelöst hatte, bedurfte die protestantische Theologie eines neuen Fundaments, um sich weiterhin als Wissenschaft an Universitäten behaupten zu können. Diese Funktionsstelle nahm der Religionsbegriff ein. Doch vor dem Hintergrund der voranschreitenden sozialen und kulturellen Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert differenzierte sich die Religion als eine eigenständige Form in der Kultur neben anderen aus. Religion wurde zunächst von der Moral abgelöst und später von ihrer Einordnung in das Bewusstsein. Auch die Theologie etablierte sich in diesem Prozess als eine autonome Wissenschaft. Ihr Gegenstand ist die christliche Religion und ihre Eigenständigkeit gegenüber anderen kulturellen Formen. Diese liegt nicht in den Inhalten als solchen, sondern in ihrer Funktion für die Religion. Die christliche Religion gibt es nur, wenn Menschen die Erinnerung an Jesus Christus religiös benutzen und religiös weitergeben. Für eine wissenschaftliche Theologie heißt das, sie beschreibt das innere religiöse Funktionieren der christlichen Religion im Gebrauch von Inhalten. Dass religiöse Inhalte eine Funktion für die Religion haben, das war Kants Entdeckung, die auch heute noch für eine wissenschaftliche Theologie von Bedeutung ist.


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  • Christian Danz ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und RaT-Mitglied.