Der nächste Papst

Mit dem Tod von Papst Franziskus haben die Spekulationen über mögliche Nachfolger in den internationalen und nationalen Medien begonnen. Viele der genannten Namen sind so unseriös, dass man nur hoffen kann, dass die Zeitungen, die solche Namen verbreiten, in anderen politischen Themen gründlicher recherchieren.

Versucht man sich in Prognosen über potenzielle Nachfolgekandidaten des verstorbenen Papstes liegt die Aufgabe erstens darin, auf die Situation der Katholischen Kirche und die daraus sich ergebenden Diskurse über den Weg, den die Kardinäle beschreiten wollen, zu achten. Dabei ist zweitens die aktuelle Zusammensetzung des Kardinalskollegiums zu berücksichtigen, das zu einem guten Teil die inhaltlichen Weichenstellungen des verstorbenen Papstes widerspiegelt, insofern die große Mehrheit der Kardinäle von ihm ernannt wurde.

Eine deutliche Mehrheit der Kardinäle besteht deshalb aus Personen, die einen Gang an die Peripherien unserer Welt, eine Fortsetzung der Öffnung der Kirche und vor allem eine Transformation der Kirche hin zu mehr Synodalität und Partizipation aller Getauften grundsätzlich unterstützen. Allein aufgrund dieser Tatsache kommen immer wieder genannte Kardinäle wie Erdö, Burke, Sarah oder der Niederländer Eijk als Nachfolger von Papst Franziskus nicht in Frage, da sie mit einem traditionalistischen Kurs verbunden werden, der für den Rückzug in eine sich selbst genügende Kirche der Reinen steht, also das Gegenteil dessen vertritt, was Papst Franziskus der Kirche auf den Weg mitgegeben hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer dieser Kardinäle Papst wird ist in etwa so hoch wie die Wahl Donald Trumps zum Papst.

Betrachtet man die Diskurse, die derzeit die Kirche und auch die Versammlungen der Kardinäle bestimmen, so kann man mehrere unterscheiden, auch wenn sie miteinander zusammenhängen. Mit jedem dieser Diskurse verbinden sich mögliche Papstkandidaten und es wird wohl diejenige Person gewählt werden, die mehreren der zentralen Anforderungen der Kirche gerecht werden kann und dazu eine gewinnende und vor allem integre Persönlichkeit bei halbwegs guter Gesundheit ist sowie einigermaßen Italienisch beherrscht. Das Alter und die Herkunft sind im Vergleich dazu eher zweitrangig, wenngleich das ideale Alter für einen Papst derzeit wohl näher bei 80 als bei 60 liegt, weil man nicht jahrzehntelang denselben Papst will. Was die Herkunft betrifft, wird das Augenmerk eher auf einen Nichteuropäer gerichtet sein, am ehesten auf eine Person aus Asien, aber entscheidend ist die Herkunft nicht.

Die Kardinalsversammlungen vor einer Papstwahl zeichnen sich dadurch aus, dass ganz offen und ehrlich darüber geredet wird, worin die Hauptprobleme der Kirche bestehen. Demgemäß ist sicher ein ganz zentraler Diskurs der über die Finanzen des Vatikans. Papst Franziskus hat versucht, etwas Ordnung in den finanziellen Dschungel des Vatikans zu bringen, war aber nur teilweise erfolgreich. Das finanzielle Problem des Vatikans hat sich seit Antritt von Franziskus 2013 verschärft, da Hauptgeldgeber des Vatikans sukzessive wegfallen. Die deutsche Kirche hat dramatisch an Finanzkraft eingebüßt, ähnliches gilt auch für die US-amerikanische Kirche, deren Diözesen sich mit Milliardenforderungen seitens der Opfer sexuellen Missbrauchs konfrontiert sehen. Notwendig ist also eine wesentlich effizientere Struktur der Kirchenleitung und dafür braucht es einen Papst, der entweder selbst gut organisieren oder wenigstens gut delegieren kann.

Parolin hat sicher große Erfahrungen mit der Kurie, was ein Vorteil als künftiger Papst wäre, als begnadeter Organisator ist er nicht hervorgetreten. Der philippinische Kardinal Tagle, der immer wieder als Papstkandidat genannt wird und ebenfalls in der Kurie tätig ist, hat sich in organisatorischen Belangen nach Meinung vieler Insider als ungeschickt erwiesen. Diesbezüglich einen deutlich besseren Ruf hat der US-amerikanische Kardinal Prevost, der das für die Bischofsernennungen in Europa, Amerika und Australien zuständige Dikasterium leitet. Er ist zwar noch nicht allzu lange an der Kurie, gilt aber als geschickter Organisator, dazu war er einige Jahre als Missionar und schließlich sogar als Bischof in Peru tätig. Mögliche Kandidaten, die aus dem Bedürfnis einer neu strukturierten und vor allem eine finanzielle Pleite abwendenden Kirche erstehen könnten, sind auch der Erzbischof von Chicago und große Trump-Gegner, Kardinal Cupich und der Erzbischof von Newark, Kardinal Tobin, der ebenfalls zum Anti-Trump-Flügel der US-amerikanischen Bischofskonferenz gezählt werden kann.

Um Fragen der Organisation geht es auch in einem anderen Diskurs, nämlich bei der Frage, wie der synodale Weg der Kirche, den Papst Franziskus mit den beiden weltkirchlichen Zusammentreffen 2023 und 2024 eröffnet hat, weitergehen soll. Eine der letzten Handlungen des Papstes war die Ankündigung einer weltkirchlichen Versammlung 2028, die damit sozusagen das Testament von Franziskus darstellt. In dieser Versammlung sollte es um die Konkretisierung kirchlicher Reformen gehen, vor allem um die Frage, was einzelne Teilkirchen für sich entscheiden können und welche Entscheidungen der Gesamtkirche obliegen. Einige Kardinäle stechen sicher besonders hervor, wenn es um die Frage der Weiterführung begonnener kirchlicher Reformen geht, namentlich Kardinal Grech, der Sekretär des ständigen Rates der internationalen Bischofssynode, dazu aber auch Personen wie der irakische Kardinal Sako oder der britische Kardinal Radcliffe, der sicher auch theologisch der mit Abstand brillanteste aller Kardinäle ist. Radcliffe könnte trotz oder gerade wegen seines Alters von 79 ein seriöser Kandidat für das Papstamt sein, wenn es seine Gesundheit zulässt.

Der dritte entscheidende Diskurs ist der der Peripherien: Bei diesem Diskurs geht es um die Frage, wie die Katholische Kirche aus einer Position der Schwäche und Randständigkeit heraus die globale Kultur, aber auch regionale Kulturen zu befruchten vermag und wie sehr sie in der Lage ist, mit anderen Religionen einen Dialog zu führen und zusammenzuarbeiten; im Extremfall geht es auch darum, in einer Situation der Verfolgung und der Not das Evangelium zu bezeugen. Dieser Diskurs ist besonders in der asiatischen Kirche entwickelt: Neben dem bereits genannten Kardinal Sako sind dabei besonders hervorzuheben: Kardinal Bo, der Erzbischof von Rangoon und Präsident des Asiatischen Bischofsrates, Kardinal Pizzaballa, der Patriarch von Jerusalem, Kardinal Sebastiao, der Patriarch von Goa und Präsident der Indischen Bischofskonferenz, Kardinal Kikuchi, der Erzbischof von Tokio, der auch Präsident der Internationalen Caritas ist und als Missionar in Afrika gearbeitet hat, der philippinische Kardinal David und der Kardinal aus Singapur Goh. Sie alle könnten Papstanwärter sein, wenn dieser Diskurs zum Leitthema wird (und insofern sie Grundkenntnisse der italienischen Sprache aufweisen).

Außerhalb Asiens könnten ganz besonders der brasilianische Kardinal Steiner, Bischof der Amazonashauptstadt Manaus, der als ehemaliger Generalsekretär der Brasilianischen Bischofskonferenz auch über organisatorische Erfahrung verfügt, oder der Erzbischof von Rabat, Lopez Romero, interessante Kandidaten sein.

Eher unwahrscheinlich ist die Wahl eines Kardinals aus Afrika oder Italien. Die Kirche in Afrika hat die letzten Jahre enorm an Selbstbewusstsein gewonnen und sie verfügt mit Kardinal Ambongo Besungo aus Kinshasa auch über eine Galionsfigur, allerdings ist die Anzahl der afrikanischen Kardinäle vergleichsweise klein und vor allem scheint deren Strahlkraft über Afrika hinaus derzeit noch gering. Ähnliches wie für die afrikanische Kirche gilt auch für die Kirche Italiens: Ihr wichtigster Repräsentant, Kardinal Zuppi konnte sich bis dato noch nicht über Italien hinaus Anerkennung verschaffen und er gilt auch innerhalb Italiens zwar als pastoral sensibler Bischof, aber nicht als wirkliche Führungsfigur. Lateinamerika weist prophetische Gestalten wie Kardinal Castillo aus Peru auf, aber ein zweiter lateinamerikanischer Papst hintereinander ist doch eher unwahrscheinlich – mit Ausnahme des schon genannten Kardinal Steiner, dessen Wirken in Amazonien dem Diskurs der Peripherie entsprechen würde. Ein europäischer Diözesanbischof, der als Kandidat aus den genannten Diskursen hervorgehen könnte, ist kaum in Sicht:

Am ehesten wäre Kardinal Aveline aus Marseille zu nennen, der als Franziskus-Vertrauter galt und Präsident der Französischen Bischofskonferenz ist. Sein Handikap besteht aber dem Vernehmen nach darin, dass er nicht Italienisch spricht. Als Außenstehender kann man nicht beurteilen, welche Kardinäle im Vorkonklave besonders überzeugende Visionen für die Kirche entwickeln, wie sich ihr Gesundheitszustand darstellt oder welche Seilschaften hinter den einzelnen Kandidaten stehen und es gibt neben den Genannten noch eine Reihe anderer möglicher Papstanwärter. Sicher ist aber, dass der nächste Papst in Verbindung mit diesen Diskursen steht und dass Kardinäle, die eine Restauration der Zeit vor Franziskus anstreben, keine Chance auf dessen Nachfolge haben werden.


Photocredits: (C) Wikimedia Commons, photo by Radomil


RaT-Blog Nr. 10/2025

  • Prof. DDr. Kurt Appel ist Professor für Theologische Grundlagenforschung am Institut für Systematische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und Sprecher des Forschungszentrums „Religion and Transformation in Contemporary Society“. Er forscht seit vielen Jahren zu Hegel, dem Deutschen Idealismus und deren Einflüsse auf gegenwärtige Philosophie und Theologie.

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