Agnethe Siquans gibt einen Einblick in die Konferenz der European Society of Women in Theological Research und stellt dabei einen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des Buches Exodus und einen Beitrag zum jüdisch-muslimischen Zusammenleben vor.
Vom 23.-26. August 2017 fand im Kardinal-König-Haus in Wien die 17. Internationale Konferenz der „Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen“ (ESWTR) statt. Die Tagung war unter dem Titel „Translation – Transgression – Transformation“ dem Thema von Grenzen und der Überschreitung und Veränderung von Grenzen gewidmet. Im Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen ging und geht es um Abgrenzung ebenso wie um Überwindung von Grenzen im Dialog. In einigen Beiträgen der Konferenz wurde besonders deutlich, wie sehr auch die Vergangenheit heutige Beziehungen zwischen den Religionen und die Sicht auf das Geschlechterverhältnis und die Position von Frauen in den Gesellschaften bestimmt.
Die Rolle der Frauen in der Geburtsgeschichte des Mose
Agnethe Siquans forscht über die Auslegung der Geburtsgeschichte des Mose (Ex 1-2) in patristischer und rabbinischer Interpretation. In den ersten beiden Kapiteln des biblischen Buches Exodus spielen zahlreiche Frauen eine wichtige Rolle. Sie setzen dem Befehl des Pharao, die neugeborenen hebräischen Knaben zu töten, ihren gewaltlosen Widerstand entgegen und sind letztlich erfolgreich. Der auf dem Nil ausgesetzte kleine Mose wird gerettet. Im biblischen Text zeigen sich komplexe Strukturen und Verknüpfungen von Macht, Gewalt und Geschlecht. Pharao, der mächtigste Mann in der dargestellten Welt, sieht die fremden Sklaven als Bedrohung seiner Macht an. Er versucht, durch Tötung der männlichen Neugeborenen seine Angst vor dem Überhandnehmen der Fremden zu beseitigen. Die Erzählung macht aber deutlich, dass er damit ein falsches Mittel wählt: Die Frauen sind es, die dafür sorgen, dass die Neugeborenen gerettet werden. Sie stehen auf der Seite des Lebens. Die Hebammen, die Mutter und die Schwester des Mose sowie die Tochter des Pharao tragen – trotz all ihrer ethnischen, sozialen und wohl auch religiösen Unterschiedlichkeit – durch ihre Missachtung der Macht des Pharao dazu bei, dass die Todesdrohung trotz angedrohter Gewalt keinen Erfolg hat.
Aus der Rezeptionsgeschichte von Ex 1-2
Spätere Rezeptionen der biblischen Erzählung in Judentum und Christentum lesen den Text in ihrer je eigenen Situation in unterschiedlicher Perspektive. Je zwei frühchristliche und frühjüdische Beispiele können das illustrieren.
Bei Origenes (3. Jhdt. in Alexandrien) führt die allegorische Auslegung zu einer Abwertung des „Weiblichen“ als Repräsentation des Irdischen, Fleischlichen und Unchristlichen. Ephräm der Syrer (4. Jhdt.) hingegen bleibt nahe am Wortlaut des Bibeltextes. Die Bedeutung der Frauen in der Erzählung wird noch weiter hervorgehoben, möglicherweise vor dem Hintergrund eines weiblichen Publikums, für das Ephräm auslegte. Zugleich wird aber auch die Bedeutung des Mose vergrößert. Der Midrasch Tanhuma (6./7. Jhdt. in Palästina) reduziert die Rolle der Frauen erheblich. Zentral sind Gottes machtvolles Handeln und die Person des Mose (möglicherweise in Reaktion auf die Rolle Mohammeds im sich bereits etablierenden Islam). Der Talmud (6. Jhdt. in Babylonien) konzentriert sich auf die Genealogie, die Konstitution und Rettung Israels, bei der die Frauen eine wesentliche Rolle spielen.
Die patristischen und rabbinischen Texte greifen die Erzählungen über die Frauen in Exodus in sehr unterschiedlichen Kontexten auf und interpretieren sie entsprechend ihren eigenen Vorstellungen über Frauen und ihren Idealen über die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Geschlechterrollen. Diese Deutungen waren dann auch lange Zeit wirkmächtig für die christlichen und jüdischen Gemeinschaften, die sie tradierten, und prägten das jeweilige Bild der Geschlechter und ihrer Positionen und Handlungsmöglichkeiten. Alle Texte transformieren die in der Bibel präsentierten Strukturen von Geschlecht und Handlungsmacht mehr oder weniger stark, um den Text in ihrem jeweiligen Kontext und für ihre jeweiligen Interessen zu deuten. In manchen Fällen, wie etwa bei Origenes oder vermutlich auch im Talmud, bedeutet das auch Abgrenzung gegenüber der jeweils anderen Religion. Andererseits übernehmen aber die Interpreten auch Methoden und Inhalte der anderen, wie besonders bei Ephräm deutlich wird. Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen sind miteinander verknüpft.
Aus der Geschichte jüdisch-muslimischen Zusammenlebens
Auch im Panel zum jüdisch-muslimischen Dialog zeigte sich im Rahmen der Tagung die Bedeutung vergangener Ereignisse für das Zusammenleben von jüdischen und muslimischen Frauen und Männern. Die Arabistin Ursula Bsees präsentierte Dokumente aus dem spätantiken und frühmittelalterlichen Ägypten, die uns wertvolle Einblicke in das tägliche Leben von Frauen dieser Zeit geben. Die dokumentarischen Texte ermöglichen, Rollen und Funktionen von Frauen in dieser multireligiösen und mehrsprachigen Gesellschaft jenseits der Idealisierung, die sich oft in literarischen Quellen findet, zu beleuchten.
Merav Rosenfeld-Hadad ist eine Jüdin aus Bagdad und Spezialistin für Musik und ihre Bedeutung in interkulturellen und interreligiösen Kontexten, besonders im Nahen Osten. Sie stellte Rabbi Yosef Hayim Ben Eliah al-Hakham vor, der im 19. Jahrhundert in Bagdad wirkte. Sie ging seiner Haltung gegenüber Frauen als auch gegenüber der breiteren arabisch-islamischen Kultur, Religion und Gesellschaft nach.
Fazit
In der Diskussion wurde klar, wie wichtig die Auseinandersetzung mit traditionellen Positionen sowohl in der Frage des Geschlechterverhältnisses als auch im interreligiösen Dialog heute ist. Die Konferenz konnte deutlich machen, wie komplex das Netz von Überschneidungen und Grenzziehungen durch die Jahrhunderte und in der Gegenwart ist. Kontinuität und Abgrenzungsdiskurse fordern heraus und bieten zugleich Anknüpfungspunkte für Dialog und Grenzüberschreitung.
Im Rahmen der Publikationsreihen der Plattform sind von ihr erschienen:
Siquans, Agnethe: „Übersetzung, Kontextualisierung, Abgrenzung. Ingredienzien einer Christologischen Auslegung von Jes 7“, in: Grohmann, Marianne / Ragacs, Ursula (ed.): Religion übersetzen. Übersetzungen und Textrezeption als Transformationsphänomene von Religion (Religion and Transformation 2012/2), pp. 51-74.
Grohmann, Marianne / Siquans, Agnethe: „Literarische Transformationen sexueller Gewalt in der Hebräischen Bibel“, in: Heller, Birgit (ed.): Religion, Transformation and Gender (J-RaT 2017 / 2), pp. 157-184 (im Erscheinen).
Rat-Blog Nr. 10/2017