Der steinige Weg zur Gleichstellung: Religionen und Geschlechter

 

In Ihrem Beitrag zeichnet Birgit Heller aus religionswissenschaftlicher Perspektive nach, wie in unterschiedlichen religiösen Traditionen für Jahrhunderte patriarchale Muster vorherrschend waren. Unter dem Einfluss gesellschaftlicher Transformationen werden in jüngster Zeit Elemente der jeweils eigenen Tradition in Richtung religiöser Gleichstellung der Geschlechter entwickelt.


Männerreligionen: Religionen und Patriarchat

Der Religionshistoriker Friedrich Heiler hat bereits in den 1950er Jahren – als die Frage nach Geschlecht/Gender für die Forschung noch irrelevant gewesen ist –, die großen Religionen der Gegenwart als „Männerreligionen“ bezeichnet. Damit hat er nicht gemeint, dass Frauen in diesen Religionen keine Rolle spielen würden. Ohne die Schar der weiblichen Gläubigen und ihre Dienste wären die meisten Religionen nicht überlebensfähig. Männer beanspruchen jedoch nach Heiler die entscheidende Initiative, Schöpferkraft und Leitung der religiösen Organisationen für sich. Und mehr als das: Heiler schreibt den sogenannten „Hochreligionen“ eine Unterdrückung und Geringschätzung der Frau zu, die teilweise geradezu in Frauenfeindlichkeit ausarte. Heilers Feststellungen sind lange Zeit ohne Resonanz geblieben. Erst in den letzten Jahrzehnten ist langsam die Erkenntnis gewachsen, dass die großen Religionen der Gegenwart weitgehend androzentrisch geprägt sind und darüber hinaus die männliche Dominanz in der Gesellschaft religiös legitimiert haben. Die traditionellen Auffassungen über Rechte und Pflichten der Geschlechter basieren dabei weitgehend auf dem Modell der polaren Geschlechterrollen einer heterosexuell orientierten Gesellschaftsordnung. Diese Religionen sind allesamt im Kontext patriarchal organisierter Gesellschaften entstanden und haben die männlich dominierten Sozialstrukturen ideologisch untermauert.

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Homo religiosus: Nicht nur die Religionen, sondern auch ihre Erforschung und Präsentation ist von einer androzentrischen Wahrnehmung geprägt

©Andreas Rzadkowsky

Insbesondere die wichtige Rolle der Mutter für die Bewahrung der Patrilinie führt zu starker männlicher Kontrolle der Frau, die religiös legitimiert wird. Frauen werden zu Treue, Gehorsam und Unterordnung unter den Ehemann angehalten. Der Ehemann kann in diesem Zusammenhang göttlichen Status erhalten – so soll die Hindu-Frau den Dienst an ihrem Gatten als ihren persönlichen Gottesdienst betrachten. Judentum, Christentum und Islam untermauern die männliche Vormacht mit verschiedenen Mitteln wie dem Mythologem von der Erst-Erschaffung des Mannes bzw. seiner besonderen Auszeichnung oder der angeblich stärkeren weiblichen Triebhaftigkeit und geringeren Vernunft der Frau. Durch die strikte Kontrolle der Frau in jeder Lebensphase durch Vater, Ehemann, Sohn oder Bruder wird die Reinheit der Abstammungslinie gewährleistet. In diesem Zusammenhang stehen auch die zahlreichen Sonderregeln für Frauen in der Form besonderer Kleidungsvorschriften oder der gezielten Einschränkung der Bewegungsfreiheit.

Religionen und Geschlecht sind eng miteinander verflochten. Die Traditionen, Symbole, Anschauungen und Praktiken gerade jener Religionen, die universale Gültigkeit beanspruchen und sich für das Heil des Menschen zuständig machen, sind alles andere als geschlechts­neutral. Meist wird der Mann als Maßstab des Menschen betrachtet. Wenn die Fragen gestellt werden, warum Gott im Judentum, Christentum und Islam – trotz behaupteter Geschlechtstranszendenz – in der männlichen Form angesprochen wird, warum Frauen im brahmanischen Hinduismus (Brahmanen bilden die oberste Gesellschaftsschicht, zu ihnen zählen die religiösen Gelehrten und Ritualexperten) die heiligen Schriften nicht studieren dürfen und eine Wiedergeburt als Frau als Ergebnis schlechter Handlungen gilt, warum Männer laut dem Koran über den Frauen stehen (Sure 4, 34), warum sich selbst die spirituell höchststehende buddhistische Nonne dem geringsten Mönch unterordnen muss oder warum Frauen in den meisten Religionen der Gegenwart vom Priestertum bzw. von religiösen Leitungsfunktionen ausgeschlossen sind, wird deutlich, wie stark die Religionen zwischen den Geschlechtern differenzieren und dabei meistens eine Diskriminierung, Marginalisierung oder Unterordnung von Frauen begründen. Darüber hinaus werden auch weitere Geschlechter, die seit alten Zeiten in vielen Kulturen existieren (heute meist unter dem Begriff Transgender-Menschen gefasst) an der männlichen Norm gemessen und ambivalent beurteilt: Einerseits gelten sie als religiös mächtig, andererseits werden sie verachtet und marginalisiert.

Rollen und Status von Männern, Frauen und anderen Geschlechtern in den Religionen

Herkömmliche Religionsforschung hat ausführliche Daten über prominente männliche Stifter, Reformatoren, Lehrer, Theologen und Heilige erhoben und analysiert. In zahlreichen ethni­schen Religionen, in den Religionen des Alten Orients und anderen Religionen der Vergangenheit (wie der griechischen, römischen, keltischen oder germanischen Religion) nehmen auch Frauen vielfältige Rollen religiöser Autorität ein. Sie fungieren als Schamaninnen, Priesterinnen, Seherinnen, Prophetinnen oder Heilerinnen. Häufig finden sich in diesen Positionen auch Angehörige eines sogenannten dritten Geschlechts, die teilweise sogar in den großen Religionen der Gegenwart bis heute eine gewisse, wenn auch ambivalente Rolle spielen, wie etwa die hinduistischen und muslimischen Hījras. Hījras versuchen ihr Existenzrecht und ihre spezifischen Funktionen durch entsprechende religiös-mythische Traditionen zu rechtfertigen. Sie werden zu Hochzeiten eingeladen um Segen und Fruchtbarkeit zu spenden und fristen sonst ein Leben am Rand der Gesellschaft.

Hinsichtlich der Stellung und der Rollen von Frauen weisen die großen religiösen Traditionen viele Ähnlichkeiten auf. In der Entstehungsphase waren Frauen aktiv beteiligt und konnten verschiedene Rollen einnehmen. Nach der Gründungsphase wurden Frauen in all den genannten Religionen deutlich in untergeordnete Rollen zurückgedrängt. Trotz gradueller Unterschiede (auch innerhalb einer Religion können sich durchaus verschiedene Sichtweisen und Praktiken durchsetzen), wurden und werden die wichtigen Ämter und generell die Leitungsfunktionen traditionellerweise überwiegend von den männlichen Anhängern beansprucht.

Impulse und Initiativen für die Gleichheit der Geschlechter

In allen großen Religionen der Gegenwart finden sich auch mehr oder weniger starke Impulse für die Gleichstellung der Geschlechter im religiösen Bereich, vor allem im Sinn der Zuerkennung der gleichen Heilsfähigkeit. Beschränkt auf den Bereich der religiösen Heilslehre können die vorherrschenden Geschlechterbeziehungen außer Kraft gesetzt werden. Bis auf wenige historische Ausnahmen haben diese Vorstellungen jedoch nicht zu einer politisch-rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter beigetragen. Die Einheit von Frauen und Männern „in Christus“ (siehe Brief des Paulus an die Galater 3,28) wurde nicht als Infragestellung der herrschenden Gesellschaftsordnung interpretiert. Weder das hinduistische Axiom von der Geschlechtslosigkeit des spirituellen Grundprinzips in jedem Menschen noch die buddhistische Überzeugung von der Leerheit der Geschlechtlichkeit entfaltete ein nachhaltiges sozialemanzipatorisches Potential zur Veränderung weiblicher Unterordnung im Geschlechterverhältnis.

In der Regel knüpfen Reformbewegungen in den traditionell patriarchalen Religionen erst unter dem Einfluss der Moderne und den gesellschaftlich veränderten Geschlechterrollen an geschlechtsegalitäre Elemente der jeweiligen Tradition an und setzen mehr oder weniger erfolgreiche Veränderungen im Status von Frauen in Gang. Mit feministischen Theologien und religiösen Reflexionsprozessen gut ausgestattet, haben sich Frauen allerdings mittlerweile selbst den Zugang zu religiösen Rollen erkämpft, die über Autorität und Interpretationsmacht verfügen: etwa die der Theologin, Lehrerin oder Rabbinerin und sogar der Päpstin (so bezeichnet eine hinduistische Reformbewegung ihr erstes weibliches Oberhaupt in ihrer 800 Jahre alten Tradition).

Mahadevi

Inthronisationsfeier am 13.1. 1996: Her Holiness Mahājagadguru Māte Mahādēvi, „The first women‘s Pope“
Foto: Birgit Heller

Abgeschlossen sind diese Transformationen noch lange nicht. Ambivalente Einstellungen zur Forderung nach Gleichstellung/Gleichberechtigung von Frauen sind nach wie vor in allen religiösen Traditionen zu beobachten. Und die Bemühungen um die Akzeptanz multipler Geschlechter stecken sogar noch weitgehend in den Kinderschuhen. Mit der bedingungslosen Anerkennung und Würdigung der Geschlechtervielfalt haben die meisten Religionen Probleme, nicht zuletzt deshalb, weil davon die Norm der heterosexuellen Geschlechterordnung tangiert ist.

Birgit Heller ist ao. Professorin für Religionswissenschaft am Institut für Religionswissenschaft der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und arbeitet in Projekten immer wieder mit der Forschungsplattform RaT zusammen.
Sie organisierte die Ringvorlesung Religion, Transformation und Geschlecht im Wintersemester 2015.

 Im Oktober erschien die von ihr herausgegebene Ausgabe des Open-Access online Journals J-RaT mit dem Titel Religion, Transformation and Gender. Die Beiträge stehen unter folgendem Link frei zum Download zur Verfügung: http://www.v-r.de/de/religion_transformation_and_gender/c-3166


Rat-Blog Nr. 12/2017

  • Birgit Heller ist ao. Professorin für Religionswissenschaft am Institut für Religionswissenschaft der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und arbeitet in Projekten immer wieder mit der Forschungsplattform RaT zusammen.