Religiös sein in einer immer vielfältiger und immer säkularer werdenden Gesellschaft – was bedeutet das für junge Menschen? Wie können wir die Selbstverständnisse, die hier verhandelt werden verstehen? Und wo liegen Möglichkeiten und Grenzen der Erforschung religiöser Zugehörigkeit junger Menschen in einer Gesellschaft, in der Migration längst nicht mehr Ausnahme sondern Regel ist? Obwohl stetig mehr Forschung zu Jugendreligiosität entsteht, bleiben forschungspraktische und forschungsethische Fragen allzu oft unangesprochen. Katharina Limacher über den RaT-Workshop „Prayer, Pop and Politics – Researching Post-Migrant Religious Youth“
Junge Menschen verändern Gesellschaften und ihre Teilbereiche, also auch die Religionstraditionen, zu denen Sie sich bekennen. Sozialwissenschaftliche Forschung ist an diesen Veränderungsprozessen interessiert, da sich daran Weichenstellungen für zukünftige Entwicklungen erkennen lassen. Gleichzeitig bringt die Erforschung junger Menschen in diesem sehr persönlichen und oft stark politisierten Bereich einige Schwierigkeiten mit sich. Im Zentrum eines Workshops an der Forschungsplattform RaT („Prayer, Pop and Politics – Researching Post-Migrant Religious Youth“, 29.-30. September) standen daher Fragen nach der Erforschung von Aneignung und Veränderung religiöser Traditionen durch junge Gläubige. Besonderes Augenmerk galt der Reflexion methodologischer Positionen und methodischer Zugänge.
Gerade angesichts eines wissenschaftlichen Mainstreams, der die historische Kontinuität religiöser Vielfalt weitgehend ignoriert und der nach wie vor stark geprägt ist durch den Blick auf religiöse Menschen als „das personifizierte Andere“, bedarf die Erforschung religiöser Identitäten und religiösen Engagements junger Menschen einer kritischen (Selbst-)Reflexion der Forschenden. Damit soll versucht werden, die Reproduktion symbolischer Grenzen, etwa zwischen Menschen mit und solchen ohne Migrationshintergrund oder zwischen religiösen und nicht-religiösen Menschen, zu verhindern. Ein nicht ganz leichtes Unterfangen, zeigt doch schon die Themenwahl – Forschungsprojekte zu Islam und Muslimen dominierten im Workshop – wie stark die Konjunktur politischer Diskurse sich in der Wahl und Finanzierung von Forschungsprojekten zu Religion niederschlägt.
Suche nach religiösen Anhaltspunkten als Generationenfragen
Die Beiträge der eingeladenen Forscherinnen und Forscher thematisieren dennoch sehr diverse Aspekte des skizzierten Themenkomplexes um Migration, Religion und Jugend. So präsentierte etwa Andreas Tunger-Zanetti (Universität Luzern) Ergebnisse eines Forschungsprojektes zu Wahl und Stellenwert islamischer Autoritäten junger Muslime in der Schweiz. Die Auswertung der Interviews zeigt, dass junge Musliminnen und Muslime v.a. Personen aus ihrem sozialen Umfeld als relevante religiöse Autoritäten ansehen, denen sie bestimmte Kompetenzen zusprechen und die religiöse Ratschläge klar und nachvollziehbar zu erklären vermögen. Weiter vermochten Andreas Tunger-Zanetti und sein Team zu zeigen, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit religiösen Autoritäten ein eigenes Set an Kriterien entwickeln nach welchem sie Muslim-Sein ausrichten. Das medial oft transportierte Bild von unkritischen Jugendlichen, die ungefiltert vorgebetete Ideen übernehmen, bestätigt sich in dieser Studie nicht. Im Gegenteil, sie zeigt ein Bild, das so divers ist, dass kaum zwei Befragte die gleichen Autoritäten nennen. Dass sich hier die Suche nach religiösen Anhaltspunkten einer von der Migrationsgeschichte der Eltern geprägten Generation zeigt, wird in diesem Projekt deutlich. Ähnliches zeigt Katharina Limacher (Universität Luzern) anhand popkultureller Referenzen in der religiösen Praxis junger Hindus: Im Prozess der Identitätsbildung junger Gläubiger in der Migrationsgesellschaft füllen popkulturelle Referenzen die Lücke, die durch die Abwesenheit religiöser Experten bei gleichzeitigem Bedürfnis nach religiösem Wissen und entsprechenden Erklärungen entsteht. So findet sich dann auch Bollywoodmusik in der hiesigen Tempelpraxis.
Popkultur und Zugehörigkeit
Den Fokus auf popkulturelle Aspekte legt auch die Präsentation von Rüdiger Lohlker (Universität Wien). Er diskutiert ein von Jugendlichen gestaltetes, interdisziplinär begleitetes Videoprojekt, das sich mit dem Ziel der Radikalisierungs- und Extremismusprävention an junge Musliminnen und Muslime richtet. Im Sprechen über die Entstehung dieses Projektes streicht Rüdiger Lohlker heraus, wie gerade der Einbezug der Jugendlichen in die unterschiedlichen Produktionsschritte für den Erfolg und die Verbreitung der Videos zentral waren. Dabei wird wie in Tunger-Zanettis Vortrag die eigenständige Auswahl aus dem religiösen Angebot seitens der Jugendlichen deutlich. An das Thema der Zugehörigkeit schloss auch der Talk von Astrid Mattes (Universität Wien) an. Sie präsentierte die Konturen eines vergleichenden Forschungsprojektes, in dem sie sich mit der Frage nach der Aushandlung von Zugehörigkeit zu Religion und religiösen Gemeinschaften Jugendlicher und junger Erwachsener befasst. Sie interessiert sich dabei für popkulturelle Produkte, über die Jugendliche religiöse Zugehörigkeit verhandeln. In der Analyse von Songs, Blogs, Magazinen etc. wird auch Vergleich zwischen Jugendlichen unterschiedlicher religiöser Gemeinschaften möglich. Dieses, erst im Entstehen begriffene Projekt hat auch zum Ziel, einen innovativen und kritischen Forschungszugang in dieses sensible Feld zu wählen. Im Laufe des Workshops wurde klar, dass dafür die Wahrnehmung von Jugendlichen als handlungsmächtig, die Auswirkungen von Intersektionalität und die Reflexion der eigenen Position im Feld wesentlichste Faktoren sind.
Agency, Alter und die Rolle der Forschenden
Christoph Novak (Universität Wien) beschäftigt sich mit der Frage von Agency seiner Interviewpartnerinnen und –partner und stellt Überlegungen an, wie diese konkret in den Prozess der Erforschung eingebunden werden können, um der Dominanz der Narrative des/der Forschenden etwas entgegenzusetzen. Novak zeigte an seinem Forschungsprojekt zu Zugehörigkeitskonstruktionen von Musliminnen und Muslimen, wie er mithilfe der Methode des Fotointerviews der Generierung der Narrative durch die Forschungspartnerinnen und –partner ein größeres Gewicht gibt. Martina Loth (Ruhr-Universität Bochum) erforscht die Identitätskonstruktionen junger Sunniten mit derjenigen junger Aleviten und ist dabei ebenfalls mit methodischen Herausforderungen konfrontiert. Gerade in der Diaspora in Deutschland, wo sich der größte Verband der Aleviten in der europäischen Diaspora findet, treten zu den bereits tangierten Fragen der Handlungsfähigkeit oder Agency der jungen Interviewpartnerinnen und -partner auch Fragen der Repräsentation und Zugehörigkeit zu den institutionellen Organen vor Ort.
Religiöse Orte im wörtlichen Sinn stehen im Zentrum des Forschungszugangs von Christine Hunner-Kreisl und Jana Wetzel (beide Universität Vechta). Die beiden Forscherinnen zeigen in ihrer intersektionalen Analyse, dass Kinder und Jugendlichen die Moscheen – ganz im Gegensatz zu öffentlichen oder halb-öffentlichen Räumen wie Schule oder öffentlichem Verkehr – als Orte der Zugehörigkeit erfahren. In diesen Räumen sind sie nicht nur zugehörig sondern empfinden sich auch als handlungsmächtig. Zudem zeigten die Forscherinnen, dass diskriminierende Erfahrungen im Alltag durch die inter-generationale Solidarität in der Moschee abgeschwächt werden. Damit formulierten sie zudem ein Argument für die Berücksichtigung der Generation/des Alters als Differenzkategorie in einer intersektionalen Analyseeinstellung.
Forschungszugänge weiterentwickeln
Im Rahmen der RaT-Reihe wird daher voraussichtlich Anfang 2019 ein Band erscheinen, in welchem nebst den Beiträgen der Referentinnen und Referenten des Workshops auch noch weitere, ausgesuchte Kontributionen erscheinen werden. Ziel ist es, Forschungszugänge weiterzuentwickeln und ein Stück weit ein Instrumentarium für die empirische Erforschung von Jugendreligiosität in der Migrationsgesellschaft anzubieten.
Rat-Blog Nr. 13/2017