Stachel und bleibender Anstoß – ja! Aber bayrisches Identitätszeichen?

Die ab dem 1. Juni geltende Bestimmung, im Eingangsbereich aller staatlichen Behörden in Bayern Kreuze anzubringen, wirft zahlreiche Fragen auf. Vor allem aber ruft sie die Kirchen dazu auf, das Verhältnis von Rechtstaat und Religion neu zu reflektieren. Irene Klissenbauer über dieses spannungsreiche Verhältnis.

Missinterpretation des Kreuzes

Die bayrische Landesregierung begründete ihren Beschluss, dass ab Juni im Eingangsbereich von Dienstgebäuden in Bayern ein Kreuz angebracht werden muss, mit dem Verweis darauf, dass dies als Zeichen für ein „sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland“ zu verstehen sei.[i] Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zufolge sei das Kreuz somit nicht Zeichen einer Religion und damit sein Anbringen in Behörden auch kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot.
So wünschenswert es auch wäre, dass christlich geprägte Grundwerte das Zusammenleben prägen, zeigt dieser Beschluss doch deutlich, dass das worum es hier geht, nicht die Betonung von Nächstenliebe, Toleranz und Solidarität mit den Ärmsten ist.
Vergessen – oder bewusst ignoriert – wird vielmehr, dass das Kreuz vor allem ein Hoffnungszeichen für die Schwachen und Entrechteten ist, nicht bayrisches Identitätszeichen.

Welche Werte?

Was es angesichts von Radikalisierung und gesellschaftlicher Spaltung in Erinnerung zu rufen gilt, ist somit nicht nur die eigene partikulare Identität, sondern vor allem auch jene universal gültigen Werte, die etwa in den Menschenrechten zum Ausdruck kommen. Den eben ihnen geht es um den Schutz und die Stärkung aller Menschen – unabhängig von ihrer Religion oder Weltanschauung.
Den Menschen aber als Person und alle Personen als gleichwertig anzusehen und zu behandeln, ist Aufgabe auch der staatlichen Behörden.
Dem Kreuz kommt hier Bedeutung zu. Denn es heißt bleibender Anstoß und Stachel im Fleisch der Mächtigen zu sein. Logische Folge ist also nicht, das Kreuz in Behörden wieder anzubringen und damit die Trennung von Staat und Religion zu verwässern, sondern sich vom Christentum anfragen zu lassen, ob denn Humanität, Toleranz und Nächstenliebe eingehalten werden.

Trennung von Staat und Religion – aus katholischer Perspektive

Die Geschichte der katholischen Kirche zeigt deutlich, welche Herausforderung die Trennung von Staat und Religion für diese bedeutet (hat). Gerade die katholische Kirche kann aber, dank des heftigen Ringens um diese zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, auch auf eine theologische Reflexion zurückblicken, die es angesichts derartiger politischer Entwicklungen in Erinnerung zu rufen gilt.
Im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils war es vor allem der Jesuit John Courtney Murray, der die Bedeutung der Trennung von Staat und Religion betonte und darauf verwies, dass es Aufgabe des Staates und der Regierung ist, dem menschlichen Gemeinwohl zu dienen und dafür dem Menschen Freiräume unterschiedlichster Art zu eröffnen. Dies erfordere aber eine klare Trennung von Staat und Religion, da – so Murray – eine ungenaue Trennung dahin führt, dass Differenzen letztlich so weit verschwimmen, dass es zu einer falschen Verbindung von Staat und Religion kommt, die zu einer Sakralisierung der Politik führt und der Religion jeden Handlungsspielraum nimmt.[ii]

Der säkulare Staat – und das ist jener, der sich nicht religiös legitimiert – bekennt klar, dass ihm keine Autorität in theologischen Fragen zukommt. Die Folge hiervon, gerade dies zeigen Länder wie Deutschland deutlich, ist jedoch nicht, dass der Staat dadurch atheistisch oder agnostisch wird, sondern vielmehr, dass er religiöse Autorität respektiert und außerhalb eventueller Konflikte zwischen unterschiedlichen Religionsgemeinschaften steht.
Es zeigt sich klar, warum dies im Interesse der Religionsgemeinschaften und Kirchen sein muss, so sie in Fragen religiöser Wahrheit von der weltlichen Ordnung unabhängig sein wollen.
Für den und die Einzelne kommt noch dazu, dass nur ein Staat, der eine klare Trennung zur Religion vollzieht, den Menschen als einzelne Person zugleich als politisches und religiöses Wesen anerkennen kann. Dies aber ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass der Staat jedem und jeder Einzelnen das Recht garantieren kann, die eigene religiöse Zugehörigkeit, ohne Konsequenz für den Bürgerstatus zu wählen.

Gemeinsames Ringen um das Verhältnis von Staat und Religion

Die derzeitigen gesellschaftlichen Debatten zeigen deutlich die Bedeutung der Aufforderung Murrays, die katholische Kirche dürfe nicht bei den Errungenschaften des Konzils stehen bleiben.[iii]
So braucht es heute nicht nur das Gespräch zwischen Kirche und Staat, sondern auch den Dialog mit jenen Menschen, die mit dem Konzept des säkularen Staates wenig vertraut, seine Aufgabe und Vorteile (noch) nicht kennen.

Ein solcher Dialog über die Rolle von Staat und Religion und die Sinnhaftigkeit ihrer Trennung – ausgehend von den christlichen Kirchen – könnte helfen unterschiedliche Ängste abzubauen. Etwa jene vor dem Verlust von Religiosität bzw. der Verwässerung des eigenen Glaubens durch eine säkulare Umwelt – wobei es hierbei vielfach darum ginge aufzuklären, dass es säkularer Staat kein Staat ist, der gegen die Religionen und Wahrheitsansprüche steht.
Ein solcher Dialog könnte darüber hinaus aber auch dazu beitragen, die Debatten um die (vermeintlich) schleichende Islamisierung Deutschlands aufzugreifen und auf eine andere (weniger polemische) Ebene zu heben, auf der Probleme auch benannt und analysiert werden können.

Religion kann nicht reine Privatsache sein, weil sie immer auch einen gemeinschaftlichen, öffentlichen Charakter hat; weil Menschen durch Religionen und Weltanschauungen beeinflusst die Welt und die Stellung des Menschen in dieser betrachten und daraus auch ethische Anweisungen ableiten.
Religion darf aber auch nicht – dies sollte die Geschichte und gegenwärtige, wie Murray sagt, „falsche Verbindungen“ von Staat und Religion, mehr als deutlich zeigen, mit staatlicher Autorität vermischt werden.
Die rechte Balance zu finden ist eine Herausforderung, die aber im gemeinsamen Dialog gelingen kann, so sich alle Beteiligten der Freiheit als zentralen Aspekt menschlicher Würde besinnen und der Bedeutung der Gleichheit der Bürger und Bürgerinnen vor dem Gesetz, das nicht Gott ist und sein kann.

Irene Klissenbauer ist Universitätsassistentin (post doc) am Institut für Systematische Theologie und Ethik, Fachbereich Sozialethik, Katholisch-Theologische Fakultät Universität Wien.

[i] Vgl. Twitternachricht von Markus Söder, etwa auf https://derstandard.at/2000078556372/In-jeder-Behoerde-in-Bayern-muss-kuenftig-ein-Kreuz-haengen (26.04.2018).

[ii] Vgl. John Courtney Murray: Leo XIII: Separation of Church and State, in: Theological Studies 14 (June 1953), 145–214, vgl auch: http://woodstock.georgetown.edu/library/Murray/1953c.htm (26.04.2018).

[iii] Bereits in seinem 1962 veröffentlichtem Artikel Le droit à l᾿incroyance verweist Murray auf die Notwendigkeit, sich über den Grund der Menschenrechte im Klaren zu sein, noch bevor eine Liste dieser erstellt oder weiter über diese diskutiert werden kann. Vgl. dessen englische Übersetzung: John Courtney Murray: The Right to Unbelief, in: J. Leon Hooper (ed.): Bridging the Sacred and the Secular, Washington D.C. 1994, 231-236, hier: 236.

Bildrechte bei Irene Klissenbauer.

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Die ab dem 1. Juni geltende Bestimmung, im Eingangsbereich aller staatlichen Behörden in Bayern Kreuze anzubringen, wirft zahlreiche Fragen auf. Vor allem aber ruft sie die Kirchen dazu auf, das Verhältnis von Rechtstaat und Religion neu zu reflektieren.
Irene Klissenbauer über dieses spannungsreiche Verhältnis.

Missinterpretation des Kreuzes

Die bayrische Landesregierung begründete ihren Beschluss, dass ab Juni im Eingangsbereich von Dienstgebäuden in Bayern ein Kreuz angebracht werden muss, mit dem Verweis darauf, dass dies als Zeichen für ein „sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland“ zu verstehen sei.[i] Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zufolge sei das Kreuz somit nicht Zeichen einer Religion und damit sein Anbringen in Behörden auch kein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot.
So wünschenswert es auch wäre, dass christlich geprägte Grundwerte das Zusammenleben prägen, zeigt dieser Beschluss doch deutlich, dass das worum es hier geht, nicht die Betonung von Nächstenliebe, Toleranz und Solidarität mit den Ärmsten ist.
Vergessen – oder bewusst ignoriert – wird vielmehr, dass das Kreuz vor allem ein Hoffnungszeichen für die Schwachen und Entrechteten ist, nicht bayrisches Identitätszeichen.

Welche Werte?

Was es angesichts von Radikalisierung und gesellschaftlicher Spaltung in Erinnerung zu rufen gilt, ist somit nicht nur die eigene partikulare Identität, sondern vor allem auch jene universal gültigen Werte, die etwa in den Menschenrechten zum Ausdruck kommen. Den eben ihnen geht es um den Schutz und die Stärkung aller Menschen – unabhängig von ihrer Religion oder Weltanschauung.
Den Menschen aber als Person und alle Personen als gleichwertig anzusehen und zu behandeln, ist Aufgabe auch der staatlichen Behörden.
Dem Kreuz kommt hier Bedeutung zu. Denn es heißt bleibender Anstoß und Stachel im Fleisch der Mächtigen zu sein. Logische Folge ist also nicht, das Kreuz in Behörden wieder anzubringen und damit die Trennung von Staat und Religion zu verwässern, sondern sich vom Christentum anfragen zu lassen, ob denn Humanität, Toleranz und Nächstenliebe eingehalten werden.

Trennung von Staat und Religion – aus katholischer Perspektive

Die Geschichte der katholischen Kirche zeigt deutlich, welche Herausforderung die Trennung von Staat und Religion für diese bedeutet (hat). Gerade die katholische Kirche kann aber, dank des heftigen Ringens um diese zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, auch auf eine theologische Reflexion zurückblicken, die es angesichts derartiger politischer Entwicklungen in Erinnerung zu rufen gilt.
Im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils war es vor allem der Jesuit John Courtney Murray, der die Bedeutung der Trennung von Staat und Religion betonte und darauf verwies, dass es Aufgabe des Staates und der Regierung ist, dem menschlichen Gemeinwohl zu dienen und dafür dem Menschen Freiräume unterschiedlichster Art zu eröffnen. Dies erfordere aber eine klare Trennung von Staat und Religion, da – so Murray – eine ungenaue Trennung dahin führt, dass Differenzen letztlich so weit verschwimmen, dass es zu einer falschen Verbindung von Staat und Religion kommt, die zu einer Sakralisierung der Politik führt und der Religion jeden Handlungsspielraum nimmt.[ii]

Der säkulare Staat – und das ist jener, der sich nicht religiös legitimiert – bekennt klar, dass ihm keine Autorität in theologischen Fragen zukommt. Die Folge hiervon, gerade dies zeigen Länder wie Deutschland deutlich, ist jedoch nicht, dass der Staat dadurch atheistisch oder agnostisch wird, sondern vielmehr, dass er religiöse Autorität respektiert und außerhalb eventueller Konflikte zwischen unterschiedlichen Religionsgemeinschaften steht.
Es zeigt sich klar, warum dies im Interesse der Religionsgemeinschaften und Kirchen sein muss, so sie in Fragen religiöser Wahrheit von der weltlichen Ordnung unabhängig sein wollen.
Für den und die Einzelne kommt noch dazu, dass nur ein Staat, der eine klare Trennung zur Religion vollzieht, den Menschen als einzelne Person zugleich als politisches und religiöses Wesen anerkennen kann. Dies aber ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass der Staat jedem und jeder Einzelnen das Recht garantieren kann, die eigene religiöse Zugehörigkeit, ohne Konsequenz für den Bürgerstatus zu wählen.

Gemeinsames Ringen um das Verhältnis von Staat und Religion

Die derzeitigen gesellschaftlichen Debatten zeigen deutlich die Bedeutung der Aufforderung Murrays, die katholische Kirche dürfe nicht bei den Errungenschaften des Konzils stehen bleiben.[iii]
So braucht es heute nicht nur das Gespräch zwischen Kirche und Staat, sondern auch den Dialog mit jenen Menschen, die mit dem Konzept des säkularen Staates wenig vertraut, seine Aufgabe und Vorteile (noch) nicht kennen.

Ein solcher Dialog über die Rolle von Staat und Religion und die Sinnhaftigkeit ihrer Trennung – ausgehend von den christlichen Kirchen – könnte helfen unterschiedliche Ängste abzubauen. Etwa jene vor dem Verlust von Religiosität bzw. der Verwässerung des eigenen Glaubens durch eine säkulare Umwelt – wobei es hierbei vielfach darum ginge aufzuklären, dass es säkularer Staat kein Staat ist, der gegen die Religionen und Wahrheitsansprüche steht.
Ein solcher Dialog könnte darüber hinaus aber auch dazu beitragen, die Debatten um die (vermeintlich) schleichende Islamisierung Deutschlands aufzugreifen und auf eine andere (weniger polemische) Ebene zu heben, auf der Probleme auch benannt und analysiert werden können.

Religion kann nicht reine Privatsache sein, weil sie immer auch einen gemeinschaftlichen, öffentlichen Charakter hat; weil Menschen durch Religionen und Weltanschauungen beeinflusst die Welt und die Stellung des Menschen in dieser betrachten und daraus auch ethische Anweisungen ableiten.
Religion darf aber auch nicht – dies sollte die Geschichte und gegenwärtige, wie Murray sagt, „falsche Verbindungen“ von Staat und Religion, mehr als deutlich zeigen, mit staatlicher Autorität vermischt werden.
Die rechte Balance zu finden ist eine Herausforderung, die aber im gemeinsamen Dialog gelingen kann, so sich alle Beteiligten der Freiheit als zentralen Aspekt menschlicher Würde besinnen und der Bedeutung der Gleichheit der Bürger und Bürgerinnen vor dem Gesetz, das nicht Gott ist und sein kann.

 

Irene Klissenbauer ist Universitätsassistentin (post doc) am Institut für Systematische Theologie und Ethik, Fachbereich Sozialethik, Katholisch-Theologische Fakultät Universität Wien.

[i] Vgl. Twitternachricht von Markus Söder, etwa auf https://derstandard.at/2000078556372/In-jeder-Behoerde-in-Bayern-muss-kuenftig-ein-Kreuz-haengen (26.04.2018).

[ii] Vgl. John Courtney Murray: Leo XIII: Separation of Church and State, in: Theological Studies 14 (June 1953), 145–214, vgl auch: http://woodstock.georgetown.edu/library/Murray/1953c.htm (26.04.2018).

[iii] Bereits in seinem 1962 veröffentlichtem Artikel Le droit à l᾿incroyance verweist Murray auf die Notwendigkeit, sich über den Grund der Menschenrechte im Klaren zu sein, noch bevor eine Liste dieser erstellt oder weiter über diese diskutiert werden kann. Vgl. dessen englische Übersetzung: John Courtney Murray: The Right to Unbelief, in: J. Leon Hooper (ed.): Bridging the Sacred and the Secular, Washington D.C. 1994, 231-236, hier: 236.

Bildrechte bei Irene Klissenbauer.


Rat-Blog Nr. 7/2018

  • Irene Klissenbauer ist Universitätsassistentin (post doc) am Institut für Systematische Theologie und Ethik, Fachbereich Sozialethik und RaT-Mitglied.