Vielfalt interreligiösen Dialogs in Europa Tagung ‚Interreligious Dialogue in Context (IRD-Con)’

 

Karsten Lehmann stellt das Konzept der Tagung ‚Interreligious Dialogue in Context (IRD-Con)’ vor, die einen systematischen Vergleich interreligiöser Dialogaktivitäten in Europa anstrebt. Die Tagung wird vom 17. zum 19. Oktober 2019 in Wien stattfinden. Sie ist eine Kooperation zwischen dem Spezialforschungsbereich ‚Interreligiosität’ der KPH Wien / Krems und dem Forschungszentrum ‚Religion and Transformation in Contemporary Society’ der Universität Wien.

Die Tagung ‚Interreligious Dialogue in Context (IRD-Con) ist zunächst einmal um eine einfache Beobachtung herum konzipiert, die in der bisherigen Forschung erstaunlicherweise kaum diskutiert wird: Der Begriff des interreligiösen Dialogs (IRD) hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Verbreitung gewonnen. Gleichzeitig werden unter interreligiösem Dialog ganz unterschiedliche Dinge verstanden, die manchmal nur sehr wenig miteinander zu tun haben. Diese Vielfalt soll auf einer europäischen Ebene vorgestellt und analysiert werden.

Hierzu ist zunächst zu fragen, wie die Idee des IRD so eine weite Verbreitung finden konnte: Seit den 1960er Jahren wurde der Begriff immer stärker in religiösen Diskursen etabliert. Der Vatikan gründete bspw. 1964 das sog. ‚Sekretariat für Nicht-Christen’, das 1988 in ‚Päpstlicher Rat für den interreligiösen Dialog’ umbenannt wurde. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) etablierte 1971 eine Abteilung für den ‚Dialog mit Menschen verschiedener Religionen und Ideologien’, die 1979 konkrete ‚Leitlinien zum Dialog’ veröffentlichte. Und in eine vergleichbare Richtung weisen die Treffen des 14. Dalai Lama mit Papst Johannes Paul II oder der offene Brief ‚Ein gemeinsames Wort zwischen Uns und Euch’ (2007), den muslimische Gelehrte an Repräsentanten des Christentums gerichtet haben.

Seit den 2000er Jahren gewinnt die Idee des interreligiösen Dialogs außerdem im politischen Raum zunehmend an Gewicht. Um hier nur einige Beispiele zu nennen: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat im Jahr 2006 damit begonnen Resolutionen zum interreligiösen Dialog zu erlassen. Ein im Jahr 2008 vom Europarat veröffentlichtes ‚White Paper’ zum interkulturellen Dialog beschäftigt sich gesondert mit der religiösen Dimension des Dialogs. Seit 2010 wird jedes Jahr die sog. ‚Weltweite Woche der interreligiösen Harmonie’ organisiert, die den Dialog zwischen den Religionen stärken soll. Außerdem muss in Österreich natürlich auf die Gründung des ‚KAICIID – International Dialogue Centers’ (2012) verwiesen werden, sowie die dadurch angestoßenen Kontroversen um Religionsfreiheit in Saudi Arabien.

Dieser weitgehende Erfolg des Konzepts des interreligiösen Dialogs hat meiner Meinung nach nicht zuletzt mit einem Bias in der Verwendung des Begriffs zu tun. Interreligiöser Dialog wird häufig voreilig individualisiert und entkontextualisiert. Dies scheint in manchen Kontexten ansprechend zu wirken, birgt aber auch Gefahren. Es lohnt sich also das Konzept des IRD genauer anzusehen.

 

Entkontextualisierung des Begriffs des interreligiösen Dialogs

Angesichts der zunehmenden Verwendung des Begriffs des interreligiösen Dialogs ist es nicht weiter verwunderlich, dass in den vergangenen Jahren immer mehr und ganz unterschiedliche Begriffsdefinitionen formuliert worden sind. Ein besonders klarer Definitionsversuch wurde vor zwei Jahren von dem Theologen und Arabisten Jean Druel vorgelegt. Druell beginnt seine Ausführungen in dem Büchlein mit dem an Serge Gainsbourg erinnernden Titel: ‚Je crois en Dieu ! – Moi non plus’ folgendermaßen:

Je ne parlerai en effet de dialogue que dans le sens de discussion, d’échange verbal, et pas de toutes les formes non-verbales du dialogue interreligieux (dialogue de vie, projets menés en commun …). Et dans le même temps, je parlerai d’ « interreligieux » au sens large, non seulement de religions mais aussi de philosophies religieuses, de croyances ou encore d’athéisme.

Im Folgenden werde ich letztlich vom Dialog als einer Diskussion – einem verbalen Austausch sprechen. Ich werde nicht auf die vielfältigen non-verbalen Formen des interreligiösen Dialogs (Dialog des Lebens, Dialog der gemeinsam durchgeführten Projekte ect.) Bezug nehmen. Gleichzeitig werde ich das Konzept des ‘Interreligiösen’ in einem weiten Sinne benutzen – nicht nur im Bezug auf Religionen, sondern auch auf religiöse Philosophien oder sogar auf den Atheismus.

[Jean Druel, Je crois en Dieu ! – Moi non plus, – Introduction aux principes du dialogie interreligieux -, Paris 2017, S. 10, Übersetzung des Autors.]

Diese Definition ist deshalb so interessant, weil sie sich in Bezug auf die zentralen Topoi der aktuellen Debatten um den interreligiösen Dialog klar positioniert: Zunächst folgt sie weitgehend dem aktuellen Mainstream, insofern sie auf Dialog als einer Form der personenbezogenen Hermeneutik fokussiert. Dabei betont sie die unterschiedlichen Formen dieser Hermeneutik und entscheidet sich letztlich für ein Konzept, das IRD als sprachlichen Austausch fasst. Auf dieser Basis reduziert Druel die Teilhabe am Dialog letztlich auf religiöse Personen – in diesem Fall auf der Basis eines weiten Konzepts von Religion, das Philosophien und Atheismen mit einbezieht.

Schlussendlich wird interreligiöser Dialog von Druel dabei als grundlegende Methode der Problemlösung verstanden:

Il [le dialogue] permet uniquement de mettre à jour les enjeux, d’expliciter les prises de position, de dévoiler les intentions, les systèmes de valeurs et les incompatibilités entre eux. Il révèle parfois qu’une solution est possible, et parfois qu’il n’existe pas de solution qui arrange les deux interlocuteurs. Mais le vraie rencontre ne peut pas laisser indifférent

„Er [der Dialoge] erlaubt es auf ganz besondere Art und Weise, Herausforderungen auf den aktuellen Stand zu bringen, Positionierungen zu explizieren, Absichten zu enthüllen – ebenso wie Wertesysteme und die Unvereinbarkeiten zwischen Wertsytemen. Manchmal macht er deutlich, dass nur eine einzige Lösung möglich ist und manchmal, dass es keine Lösung gibt, welche beiden Gesprächspartnern zu Pass kommt. In jedem Fall kann eine wahrhaftige Begegnung niemanden gleichgültig lassen.“

[Jean Druel, Je crois en Dieu ! – Moi non plus, – Introduction aux principes du dialogie interreligieux -, Paris 2017, S. 139f., Übersetzung des Autors.]

Zusammengenommen dokumentieren diese beiden Zitate einen grundlegenden Bias, der die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Konzept des Dialogs häufig prägt. Dialog wird als eine zwar zu differenzierende aber dabei weltweit anwendbare hermeneutische Methode der Konfliktlösung zwischen Individuen konzipiert. Für die Dialogpraxis scheint dieser Zugang durchaus sinnvoll. Druel präsentiert in seinem Büchlein zumindest vielfältige Situationen, in denen seine Idee von Dialog Umsetzung gefunden hat. Für eine empirische Analyse birgt ein solches Konzept dagegen grundsätzliche Gefahren. Keine gesellschaftliche Praxis ist jenseits des jeweiligen sozio-kulturellen Kontextes adäquat zu verstehen.

Möchte man polemisch sein und folgt man dabei dem französischen Soziologen Olivier Roy, so könnte man sogar von einer ‚fundamentalisitischen’ Tendenz des Dialog-Diskurses sprechen. Roy identifiziert in seinem Buch ‚La Sainte Ignorance’ die Entkontextualisierung von Religion als zentrales Merkmal von Fundamentalismus. Genau dies findet hier statt – nur eben in Bezug auf Dialog-Aktivitäten. IRD wird letztlich auf eine allgemeine Methode reduziert, die immer und überall angewandt werden kann.

Genau dies ist der Punkt, an dem die Tagung ‚Interreligious Dialogue in Context (IRD-Con)’ einsetzen möchte, indem sie den sozio-kulturellen Kontext von IRD-Aktivitäten in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Wir wollen das Augenmerk darauf richten, wie sich IRD in unterschiedlichen europäischen Staaten entwickelt hat.

 

Dialog-Aktivitäten im Kontext europäischer Gesellschaften

Natürlich können europäische Vergleiche mit Blick auf ganz unterschiedliche Aspekte durchgeführt werden. In Bezug auf die Analysen des IRD ist dabei das Bruttosozialprodukt wahrscheinlich weniger naheliegend als beispielsweise die Beziehungen zwischen Religion und Politik oder die Strukturen von Säkularisierungsprozessen in einem spezifischen Land. Und es lassen sich noch viele weitere Systematiken des Vergleichs denken.

Die ‚IRD-Con’ bezieht sich bei der Auswahl der Vergleichsfälle auf die aktuellen Ergebnisse der ‚SMRE – Swiss Metadatabase of Religious Affiliation in Europe’. Sie folgt insofern den Kolleginnen und Kollegen an der Universität Luzern, als sie dem Vergleich zum einen ein weites geographisches Verständnis von Europa zugrunde legt, das über die Staaten der Europäischen Union hinausgeht und alle Staaten von Portugal bis Russland und von Norwegen bis Zypern umfasst. Zum anderen folgt die Tagung zunächst der These, dass sowohl die jeweils prägenden religiösen Traditionen wie auch der Grad der religiösen Homogenität / Heterogenität in einem Land für das Verständnis der IRD-Aktivitäten in dem jeweiligen Land zentral sind.

Auf dieser Basis kommt die SMRE zu einer Typologie, die in Europa zunächst zwischen fünf großen, religiösen (und weltanschaulichen) Traditionen unterscheidet – wobei die Autorinnen und Autoren ihren Überlegungen ebenfalls ein weites Religionsverständnis zugrunde legen und katholisch, evangelisch, orthodox bzw. muslimisch geprägte Staaten ebenso berücksichtigen, wie Staaten die durch Menschen ohne explizites religiöses Bekenntnis geprägt sind. Außerdem unterscheidet die SMRE zwischen Ländern, in denen diese unterschiedlichen Traditionen eine jeweils dominante Position einnehmen (größte religiöse oder weltanschauliche Tradition > 60%) und solchen Ländern, die durch eine fragmentierte religiöse Situation (größte religiöse oder weltanschauliche Tradition < 35%) charakterisiert sind. In den anderen Fällen sprechen sie von einer pluralisierten Situation.

Der Rekurs auf die Ergebnisse der SMRE ermöglicht somit einen systematischen europäischen Vergleich von IRD-Aktivitäten. Und dieser soll in der IRD-Con Tagung folgendermaßen umgesetzt werden.

 

Zur Systematik von IRD-Aktivitäten in Europa

Die Tagung wird in einen ersten Teil mit nationalen Fallanalysen und einen zweiten Teil mit systematisch orientierten Panels unterteilt sein. Der Logik der SMRE folgend konnten für den ersten Teil nationale Expertinnen und Experten gewonnen werden, welche zur Situation des IRD in unterschiedlichen europäischen Ländern referieren werden:

Länder mit katholischer Mehrheit:

  • SCHMID, Hansjörg: Federalism, Social Change, and Integration Debate: Interreligious Dialogues in Switzerland
  • GRIERA, Maria del Mar: Dialogue and Governance in Spain

Länder mit muslimischer Mehrheit:

  • ALIBASIC, Ahmet: History of Inter-religious Dialogue in Bosnia and Herzegovina: From Force-feeding to Sustainability
  • FURAT, Zisan: The Discussions on inter-religious Dialogue in Turkey since the late 1990s

Länder mit protestantischer Mehrheit:

  • NORDIN, Magdelana: How to understand Interreligious Dialogue in Sweden in relation to the sociocultural Context
  • GALAL, Lise: Interreligious Dialogue in Denmark: protestantized and decentralized

Länder mit Mehrheit ohne explizite religiöse Zugehörigkeit:

  • PRIDEAUX, Melanie: Legitimising Religion in Public: Inter-Religious Dialogue and the Established Church in England
  • KLINKHAMMER, Gritt: Interreligious Dialogue in the Eastern Parts of Germany

Länder mit Orthodoxer Mehrheit:

  • GJORGIEVSKI, Gjoko: Nurturing the Culture of Dialogue – Macedonian Experience
  • ILIC, Angela: Looking through a Veil: Challenges and Perspectives of Interreligious Dialogue in Serbia

Diese Referate sollen dann die Grundlage für weitere systematisch orientierte Panels und Diskussionen liefern. In diesen wird der Schwerpunkt exemplarisch auf drei unterschiedliche Perspektiven gelegt werden – einer fach-disziplinären, einer öffentlich-diskursiven und einer analytischen Perspektive.

Fach-disziplinäre Perspektiven:

  • POLAK, Regina: Between theological Ideals and empirical Realities: complex Diversity within interfaith Dialogue. – A Catholic Perspective
  • VILA, Ruth: Interreligious and intercultural Dialogue in Education

Diskurs-Perspektiven:

  • KOCH, Anne: Contribution of IRD to State Governance and ‘Peace Building’
  • PISOIU, Daniela: Interreligious Dialogue and De-Radicalization – the Perspective of International Affairs

Analytische Perspectiven:

  • LEHMANN, Karsten: Interreligious Dialogue as a Response to Processes of Secularization?
  • HAMMER, Stefan: Looking at interreligious Dialogue from the Perspective of Law

Auf diesem Wege hoffen wir mit Hilfe der Konferenz einen spannenden Beitrag zu den Debatten um den IRD in Europa leisten zu können.

 


Rat-Blog Nr. 5/2019

  • HS-Prof. Dr. Karsten Lehmann ist Professor für 'Interreligiosität' an der KPH Wien/Krems und Leiter des Spezialforschungsbereichs Interreligiosität (SIR) ebendort. Seit einigen Jahren ist Lehmann außerdem Mitglied des Forschungszentrums RaT.

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