Sakralbauten als Teil der Stadterweiterung: Entwurf für einen Campus der Religionen in Wien Seestadt

Ein innovatives Zukunftsprojekt?

Im August dieses Jahres wurde das Siegerprojekt eines internationalen Wettbewerbs zur Gestaltung eines Campus der Religionen im Stadterweiterungsgebiet Wien Aspern Seestadt, das künftig 20.000 Menschen beherbergen soll, vorgestellt. Es handelt sich um einen Entwurf des Wiener Architekturbüros Burtscher-Durig ZT GmbH. Am Gelände der neu zu errichtenden Katholisch-Pädagogischen Hochschule (KPH) sollen, architektonisch aufeinander abgestimmt, acht verschiedene Religionsgemeinschaften mit ihren je spezifischen Gebäuden vertreten sein. Diese sind auf die jeweils relevanten Gebetsrichtungen ausgerichtet. Frei bleibt der Platz in der Mitte, gemeinsam ist den Baukörpern eine Überdachung in Gestalt einer Pergola. Auf den Dächern sind Gärten geplant. Im Erläuterungsbericht zum Entwurf heißt es:

Die Bauten der Religionsgebäude werden von einer Pergolakonstruktion überspannt, die eine verbindende bauliche Klammer der Gebäude darstellt und ein raffiniertes Spiel von Licht und Schatten auf die Häuser wirft. Leicht und luftig überspannt diese Konstruktion die Häuser und den Platz und ist auch Sonnenschutz für die Dachgärten der Religionsbauten.

Am Projekt beteiligt sind die Österreichische Buddhistische Religionsgemeinschaft (ÖBR), die Evangelische Kirche A.B., die Griechisch-orientalische Metropolis von Austria, die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), die Israelitische Kultusgemeinde Wien, die Neuapostolische Kirche Österreich (NAK), die Römisch-Katholische Kirche (Erzdiözese Wien) und die Sikh Religionsgemeinschaft Österreich. Den jeweiligen Religionsgemeinschaften obliegt die Gestaltung ihres Gebäudes, sie müssen aber auch dessen Finanzierung tragen.

Anordnung der Gebäude am Campus der Religionen (© Burtscher-Durig ZT GmbH[2])

Wie sich das Projekt entwickeln wird, wie es von den Gläubigen angenommen wird und ob es zu einem lebendigen Zentrum der Seestadt werden kann, wird sich zeigen. Auf jeden Fall steht das Projekt in einer langen Geschichte des Zusammenspiels von Sakralbau und Stadterweiterung in Wien. Es ist überdies nicht das erste Beispiel dafür, wie im Kontext Wiens mit Bezug auf Sakralarchitektur Grenzen zwischen Konfessionen und Religionen überschritten werden, sicher aber das ambitionierteste. Machen wir uns, um das Projekt zu kontextualisieren, auf einen Weg durch Wien und gehen der Frage nach, wie der Bau unterschiedlicher Kirchen als Teil der Erschließung neuer Stadtgebiete verstanden werden kann. Betrachten wir weiters, welche Rolle dabei konfessionelle und religiöse Grenzen gespielt haben und wie sie auch immer wieder unterwandert wurden.

Von der Gotik zur Neogotik

Den Beginn des Weges stellt der Stephansdom dar, dessen erste Weihe als Stephanskirche sehr wahrscheinlich im Jahr 1147 erfolgte. Vermutlich befand sich an seinem Standort jedoch schon früher ein Sakralbau.[3] Die Stephanskirche wurde außerhalb des Gebietes des ehemaligen Römerlagers Vindobona, auf dessen Gelände sich im 12. Jahrhundert die Bebauung Wiens konzentrierte, errichtet und war wesentlicher Bestandteil der Stadterweiterung. Noch im selben Jahrhundert begannen die Vergrößerungen der Kirche, was „der frühen, durchaus dynamischen Stadtentwicklung von Wien entspricht“. Man errichtete einen „seinen Dimensionen nach beachtlichen Bau“[4], dessen Kirchen-Schiff wie eine Arche vermutlich mehr als die gesamte Bevölkerung Wiens, d.h. des heutigen ersten Bezirks, aufnehmen konnte. Der Dom schafft damit im Zuge eines Stadterweiterungsprojektes eine Form städtischer Öffentlichkeit.

Neben den ältesten Kirchen Wiens gab es in dieser Zeit wohl bereits eine erste private Synagoge im Stadtgebiet.[5] Anfang des 15. Jahrhunderts wurde im Judenviertel am heutigen Judenplatz von Mitgliedern der Dombauhütte eine Synagoge im gotischen Stil neu erbaut – ein Stil konnte mithin zwei religiöse Traditionen beherbergen. Allerdings wurde diese Form eines Miteinanders, wie sie die Architektur und das Handwerk der Bauleute zum Ausdruck brachten, bald gesellschaftlich und theologisch nicht mehr mitgetragen. Im Jahr 1421 kam es in der Wiener Gesera zur Ermordung und Vertreibung der Juden. Die Synagoge wurde abgerissen, die Steine für den Ausbau der theologischen Fakultät der Universität Wien verwendet, ihre Wiederverwendung wurde mit dem antijudaistischen Motiv der Transmutation des alten in den neuen Bund theologisch überhöht: „ecce mirum, Synagoga veteris legis in scholam virtutum novae legis mirabiliter transmutatur“[6] („und, siehe da! Ein Wunder, die Synagoge des alten Gesetzes wird in die Schule der Tugenden des neuen Gesetzes verwandelt“).

Ein Pendant zum gotischen Stephansdom stellt die neogotische Votivkirche (eingeweiht 1879, geplant von Heinrich Ferstl) dar. Wie der Stephansdom die Kirche Wiens ist, sollte die Votivkirche der Dom der Monarchie werden: ein die Völker der Donaumonarchie verbindender Dom der Nationen. Diese einigende Funktion erlangte die Votivkirche im Bewusstsein der Menschen nie, doch ist sie ein Meisterwerk der Neogotik[7] und der Höhepunkt der historistischen Kirchenbauten Wiens. Sie ist nicht mehr wie der Stephansdom gänzlich in eine verbaute Stadtstruktur eingebunden, sondern steht wie ein Solitär auf einer immensen freien Fläche zwischen viel befahrenen Verkehrswegen. In deutlicher Abhebung vom mittelalterlichen Stephansdom weist sie damit schon in die moderne Stadtraumplanung voraus. Der Baubeginn der Votivkirche (Grundsteinlegung 1856) fiel mit der Schleifung der Stadtmauern, welche die innere Stadt umgeben hatten, zusammen. Mit Genehmigung des Kaisers durfte die Kirche als erstes Bauwerk auf der freien Fläche des Glacis errichtet werden, das zu dieser Zeit aus militärischen Gründen noch einem Bauverbot unterlag. Wenig später wurde mit seiner Aufhebung der Weg für die Bebauung der Ringstraße freigemacht. Wie der Stephansdom stellt auch die weithin sichtbare Votivkirche den Beginn einer wichtigen Phase der Stadterweiterung Wiens dar.[8]

Die verbindende Kraft der Architektur: Ringstraßenstil

Der erwartete allgemein verbindende Charakter konnte im 19. Jahrhundert in einer Metropole wie Wien, geschweige denn in einem Vielvölkerstaat, nicht mehr durch ein einzelnes Kirchengebäude, das einer bestimmten Konfession angehört, zum Ausdruck kommen, vielleicht noch durch einen Stil – durch einen Stil freilich, der selbst nicht unmittelbarer Ausdruck einer Epoche war, sondern verfremdetes Zitat früherer Epochen. Architekten, die im historisierenden Ringstraßenstil bauten, diesen weiterentwickelten und sich zum Teil auch wieder von ihm ablösten, prägten die für den Sakralbau höchst produktive Phase von der Mitte des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie bauten, wenn man den Blick von Wien auf die Donaumonarchie ausweitet, nicht allein katholische, orthodoxe und evangelische Kirchen, sondern auch Synagogen und Moscheen (in Bosnien-Herzegowina).

Einige Beispiele zeigen, wie dabei die Grenzen der Konfessionen und Religionen immer wieder überschritten wurden: Theophil Hansen leitete zur selben Zeit den Umbau der griechisch-orthodoxen Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit und den Bau der Evangelischen Christuskirche am Matzleinsdorfer Friedhof. Wiener Architekten errichteten zwischen 1878 und 1918, als Bosnien-Herzegowina unter österreichischem Einfluss stand, neben zahlreichen anderen öffentlichen Gebäuden im besetzten bzw. annektierten Gebiet auch Moscheen. Sie prägten dabei einen spezifischen orientalizing style aus.[9] Die Architekten verbanden zunächst Elemente klassizistischer Baukunst mit solchen aus dem muslimischen Kontext (etwa aus Kairo und Andalusien[10]). Sodann kam es zu einer stärkeren Orientierung an spezifisch bosnischen Traditionen, aber auch der Kontakt zu den Entwicklungen in Wien (Otto Wagner) blieb aufrecht. Zur selben Zeit wurde die so genannte Wiener „Schiffschul“ begründet, ein orthodoxes jüdisches Zentrum mit Synagoge, Torahschule und weiteren Einrichtungen, das nach seinem Ort in der Schiffgasse benannt wurde. Bauliche Erweiterungen erfolgen 1892 durch den jüdischen Architekten Wilhelm Stiassny, der im Bereich jüdischer Sakralarchitektur eine der wichtigsten Persönlichkeiten in der Donaumonarchie war. Er war Schüler Friedrich v. Schmidts, der u.a. das Amt des Dombaumeisters des Stephansdoms innehatte. Auch Stiassny ist in der Ringstraßenarchitektur verwurzelt, nimmt jedoch auch neue („secessionistische“) Elemente auf und verwendet für den jüdischen Sakralbau mitunter einen „maurisch-orientalischen Stil“[11].

Wenn es auch keine direkte Annäherung der Religionen aneinander gab, so hatten diese doch gemeinsam Anteil an einem Stil, welcher der je spezifischen Ausgestaltung vorauslag. Dies darf nicht allein ausgehend von dem Gedanken betrachtet werden, dass ein Reich sich aus politischem Kalkül unter einheitlichem Stil repräsentiert wissen wollte. Vielmehr zeigt sich auch, wie sehr Religionen sich kulturelle Ausdrucksmittel anverwandeln und in diesen auszudrücken vermögen.

Moderner Sakralbau

Der Übergang zum modernen Kirchenbau wird am Beginn des 20. Jahrhunderts durch Otto Wagners berühmte Steinhof-Kirche eingeleitet. Errichtet wurde sie auf dem Areal des zwischen 1904 und 1907 erbauten großangelegten Spitals auf der Baumgartner Höhe, einem Hügel am Rande Wiens, der damals noch außerhalb der Stadt lag. Otto Wagner wollte im Dienst an den Kranken mit dem Bauwerk höchste künstlerische, architektonische und hygienische Ansprüche erfüllen. Unter einem Dach sollten eine katholische und eine protestantische Kirche sowie eine Synagoge vereint sein, allerdings in klarem hierarchischem Gefälle: Für den protestantischen und den jüdischen Sakralraum war das Untergeschoß vorgesehen. Aus Geldmangel konnte dieses Projekt jedoch nicht realisiert werden. Die zweite große Jugendstilkirche in Wien befindet sich am Wiener Zentralfriedhof und wurde von Max Hegele geplant und 1911 eingeweiht. Die beiden Projekte des Übergangs waren hinsichtlich Monumentalität und reichem Dekor noch stark der Tradition verhaftet, hinsichtlich der Verwendung neuer Formen, Materialien und Konstruktionsmethoden wiesen sie aber weit voraus.[12] Die Erneuerung des Kirchenbaus in Wien ging am Beginn des 20. Jahrhunderts von Orten prekärer Öffentlichkeit aus – von dort, wo die Kranken Aufnahme finden und wo die Toten wohnen. Beide Kirchen wurden am Rande der Stadt im Zuge von innovativen Großprojekten der Stadtraumgestaltung realisiert: dem Bau eines modernen Spitals und eines öffentlichen, nicht an Religionszugehörigkeit gebundenen Friedhofs.

Donaucitykirche (Architekt Heinz Tesar) im Hintergrund Vienna International Center (Photo: © Werner Sohm)

Mit der von Otto Wagner gebauten, freilich nur zum Teil realisierten Kirche beginnt ein Jahrhundert innovativen Kirchenbaus in Wien, das besonders nach 1945 durch eine intensive Bautätigkeit geprägt ist[13] und sein Ende mit der von Heinz Tesar entworfenen Donaucitykirche „Christus, Hoffnung der Welt“ (eingeweiht im Jahr 2000 als bislang jüngste Kirche Wiens) findet. Die Kirche ist ein außen schwarzer Kasten, eine Arche, gelandet im modernsten Viertel Wiens, zwischen der Autobahn A22 und der Station Kaisermühlen der U-Bahnlinie 1, im Schatten des UNO-City-Gebäudes (Vienna International Centre), unweit von Donauturm und dem DC Tower, Wiens höchsten Gebäuden. Anders als die Votivkirche ragt sie nicht mehr wie ein Solitär aus der Stadtlandschaft auf, sie ist nicht weithin sichtbar auf einen Hügel gebaut wie die Steinhof-Kirche, sondern ist das niedrigste Gebäude der Umgebung. Es vermag durch seine Präsenz den umgebenden Raum, wenn überhaupt, wohl nur mehr in einem sehr bescheidenen Maße zu strukturieren. Wer die Kirche betritt, merkt jedoch unmittelbar, wie sich das Innere akustisch von der städtischen Umgebung abhebt und wie der Blick nach außen die Umgebung neu ordnet. Die hohen Gebäude im Umkreis werden durch die Bullaugen-Fenster der Kirche in ganz eigentümlichen Perspektiven sichtbar.

Blick aus der Donaucitykirche auf das Vienna International Centre (Photo: © Raimund Stadlmann)

Nehmen wir noch einmal die konfessionelle Dimension in den Blick: Ein Jahrhundert innovativen Kirchenbaus hatte mit einem ökumenischen, religionsübergreifenden Projekt, Otto Wagners Jugendstil-Kirche am Steinhof, begonnen. Der architektonisch zukunftsweisende Teil des Vorhabens konnte trotz Widerständen realisiert werden, der religiös innovative Ansatz kam nicht zur Ausführung. Konfessionelle Differenzen spielten auch noch in die Innenraumgestaltung hinein. Der erbitterte Streit um die Gestaltung des Altarbildes entbrannte nicht nur an künstlerischen Aspekten, sondern hatte wohl auch damit zu tun, dass der ursprünglich beauftragte und von Otto Wagner favorisierte Kolo Moser vom Katholizismus zum Protestantismus übergetreten war. Der kirchliche Sachverständige Heinrich Swoboda (Professor für Pastoraltheologie an der Universität Wien) erwirkte, dass ihm der Auftrag entzogen wurde. Als in den sechziger Jahren Fritz Wotruba, ein sozialistischer, atheistischer Bildhauer, beauftragt wurde, die Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit am Georgenberg zu entwerfen, gab es heftige Proteste aus dem katholischen Milieu. Diesmal aber stand die Kirchenleitung mit Kardinal Franz König und Erzbischof-Koadjutor Franz Jachym hinter dem Projekt, das, wenn auch an geändertem Standtort, realisiert wurde. Eine der bedeutendsten europäischen Kirchen des 20. Jahrhunderts stammt mithin von einem Atheisten. Am Ende des 20. Jahrhunderts ist schließlich die Donaucitykirche angesiedelt – die bislang letzte katholische Kirche Wiens, die mit Heinz Tesar ein evangelischer Architekt gebaut hat, der auch die protestantische Kirche in Klosterneuburg entworfen hat. Von konfessionell motivierten Protesten ist mir nichts bekannt.

Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit am Georgenberg (Fritz Wotruba; Architekt Fritz Gerhard Mayr; Photo: © Werner Sohm)

Sakralbau als Teil der Stadterweiterung

Beim Bau der großen Wohnhausanlagen in den Randgebieten Wiens in den 1950er–70er Jahren, die Tausende Menschen beherbergen (Per-Albin-Hansson-Siedlung, Großfeldsiedlung, Am Schöpfwerk, Wohnpark Alterlaa), war jeweils der Bau einer Kirche mit eingeplant. Anders als der Stephansdom und die Votivkirche sind diese Kirchen nicht mehr Vorreiter, sondern Beitrag zur Stadterweiterung und fügen sich als Teil in diese ein. Besonders schön wird dies in der Siedlung Am Schöpfwerk sichtbar, die von einem Team rund um Viktor Hufnagl geplant und von 1976–80 errichtet wurde. Die zugehörige Kirche nimmt die für die Siedlung typische treppenförmige Gebäudeform auf, hebt sich jedoch farblich sowie durch den Grundriss und die geringere Höhe von der Umgebung ab. Für die Stadterweiterung am Leberberg wurden eine katholische und eine evangelische Kirche in architektonischer Korrespondenz geplant, verwirklicht wurde jedoch nur das evangelische Projekt, das Evangelische Gemeindezentrum „Arche“ (Christoph Thetter, 1997).[14]

Kirche am Schöpfwerk (Architekt Viktor Hufnagl, Photo: © Raimund Stadlmann)

Für Aspern Seestadt, das neueste Ausbaugebiet der schnell wachsenden Stadt Wien, soll keine Kirche, sondern ein Campus der Religionen errichtet werden. Bei einem Treffen mit Vertretern der beteiligten Glaubensgemeinschaften im Februar 2019 verlautbarte der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig:

Es gibt Teile in der Welt, wo Religionen verwendet werden, um Konflikte auszutragen und sogar Kriege zu führen. In Wien werden wir hingegen einen Campus realisieren, der einen Austausch zwischen den Religionsgemeinschaften ermöglicht und der zeigen wird, dass Religionen über ihre Grenzen hinweg zusammen an einem Strang ziehen können.[15]

Vielleicht lässt sich hier tatsächlich realisieren, was mit Otto Wagner einen ersten Anlauf genommen hatte. Kardinal Christoph Schönborn versicherte, dass es „nicht um eine Festung der Religionen, sondern um einen Campus, ein offenes Feld“,[16] gehe. Die Metaphorik hat sich seit dem Bau der Votivkirche sehr geändert, über deren Bestimmung noch zu lesen war, sie solle „eine feste Burg der Ideale inmitten des geschäftigen Treibens einer modernen Weltstadt“[17] sein – obwohl deren Standort auf freier Fläche schon eher das Bild des Campus, des Feldes, nahegelegt hätte. Das ambivalente Bild der festen Burg (zwischen Zufluchtsort und undurchdringlicher Befestigungsanlage) konnte bis zu den Kirchen des Brutalismus aufgegriffen werden; in seinem Fahrwasser wurden noch großartige Gebäude wie die Wotruba-Kirche errichtet. Es ist zu hoffen, dass das Motiv des offenen Feldes, in seinem sympathischen Klang genug an Energie bündeln kann, um nicht auf halber Strecke zu versanden.

Visualisierung: Blick vom freien Platz in der Mitte des Campus der Religionen auf die Gebäude der KPH (© Burtscher-Durig ZT GmbH[18], Rendering ZoomVP)

Wird es gelingen, die ökumenisch-interreligiös einmalige Gelegenheit zu nutzen und am Campus der Religionen Bauwerke von höchstem architektonischen Anspruch zu errichten oder aber ist das Projekt bereits durch einen so langen Prozess der Aushandlung und des Findens ständig neuer Kompromisse gegangen, dass nun in der Realisierung die Energie für eine zukunftsweisende innovative Gestaltung nicht mehr aufgebracht werden kann? Die freundlich-demokratische Haltung, die aus dem Projekt spricht, stellt erst den Beginn dar. Eröffnet ist durch den Entwurf von Burtscher-Durig ein Rahmen (oder ein freies Feld), die Anstrengung der Planung und Gestaltung der Baukörper (sowie deren Finanzierung) beginnt nun erst. Es ist zu hoffen, dass das Nebeneinander am offenen Feld den Religionsgemeinschaften sowie den Architektinnen und Architekten Mut zu neuen, vielleicht auch unkonventionellen Lösungen macht.


Link zum Architekturbüro Burtscher-Durig


[1] https://www.aspern-seestadt.at/city-news/das_wird_der_campus_der_religionen (letzter Aufruf: 05.10.2020). Ich danke dem Architekturbüro Burtscher-Durig, Raimund Stadlmann, Werner Sohm, Rudolf Kaisler und Marlene Deibl für die Zurverfügungstellung der Bilder einerseits und für wertvolle Hinweise andererseits.

[2] https://www.aspern-seestadt.at/city-news/das_wird_der_campus_der_religionen (letzter Zugriff: 05.10.2020).

[3] Vgl. Günther Buchinger/Markus Jeitler/Paul Mitchell/Doris Schön: Die Baugeschichte von St. Stephan bis in das 13. Jahrhundert. Analyse der Forschungsgeschichte und Neuinterpretation unter dem Blickwinkel rezenter Methodik, 315–401 und Nikolaus Hofer: Archäologie und Bauforschung im Wiener Stephansdom. Ein (vor)läufiges Resümee, 402–407, beide in: Nikolaus Hofer (Hg.): Archäologie und Bauforschung im Wiener Stephansdom. Quellen zur Baugeschichte des Domes bis zum 13. Jahrhundert. Wien: Wiener Dom-Verlag 2013.

[4] Ferdinand Opll: Die Wiener Stephanskirche vor ihrer Erstnennung, in: Studien zur Wiener Geschichte. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 75 (2019), 153–179, hier: 179.

[5] Vgl. Eveline Brugger: Von der Ansiedlung bis zur Vertreibung. Juden in Österreich im Mittelalter, in: Eveline Brugger/Martha Keil/Albert Lichtblau/Christoph Lind/Barbara Staudinger: Geschichte der Juden in Österreich. Wien: Ueberreuter 2006, 123–227, hier: 126–129.

[6] Zitiert nach: Eveline Brugger/Birgit Wiedl: „Im Haus des Juden fand man eine blutbefleckte Hostie …“. Hostienschändungsvorwürfe und ihre Folgen für die jüdische Bevölkerung Österreichs im Mittelalter, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich N. F. 84 (2018), 35–57, hier: 55.

[7] Vgl. Ulrike Laule/Barbara Borngässer/Rolf Toman/Achim Bednorz: Kirchen Klöster Kathedralen. Sakralarchitektur in Deutschland Österreich Schweiz. Berlin: Feierabend 2005, 157.

[8] Vgl. Die Votivkirche in Wien. Denkschrift des Baucomités veröffentlicht zur Feier der Einweihung am 24. April 1879. Wien: Verlag von K. v. Waldheim 1879, 7.

[9] Vgl. das Forschungsprojekt Islamic Architecture and Orientalizing Style in Habsburg Bosnia, 1878–1918. https://kunstgeschichte.univie.ac.at/forschungsprojekte/ercbos/ [letzter Zugriff: 03.06.2019].

[10] Vgl. Maximilian Hartmuth: Nach dem Danach. Metamorphosen eines orientalisierenden Schulbaus der Hasbsburgerzeit in Mostar, in: kunst und kirche 82 (3/2019), 10–15, hier: 12f; Julia Rüdiger: Bauen für die bosnische(n) Partikularität(en) im habsburgischen Vielvölkerstaat, in: kritische berichte 47 (2/2019): 38–49.

[11] Wilhlem Stiassny, in: Architektenlexikon Wien 1770–1945. http://www.architektenlexikon.at/de/625.htm [letzter Zugriff: 24.05.2020].

[12] Vgl. Martin Raspe, “Kirchenbau”, in: LThK 5 (1996), 1483–1487.

[13] Vgl. Eva-Maria Gärtner, Der Kirchenbau in Wien nach dem Zweiten Vatikanum. Graz: Dissertation, 2018; Maximiliane Buchner, Wiederaufbau aus dem Glauben: Transformation von Gemeinschaftsidealen in Sakralräumen Österreichs, in: architectura 46 (2016): 104–127, hier: 105.

[14] Christian Kühn: Evangelisches Gemeindezentrum „Arche“ (02.05.1998). https://www.nextroom.at/building.php?id=2101&inc=home [letzter Zugriff: 27.05.2020]. Ausführlicher ist der Weg durch Wien dargestellt in Jakob Helmut Deibl: Sacred Architecture and Public Space under the Conditions of a New Visibility of Religion, in: Religions 11 (8/2020): 379 [Übersetzung: Natalie Eder] https://doi.org/10.3390/rel11080379.

[15] Zitiert nach der offiziellen Seite der Stadt Wien: „Campus der Religionen“ entsteht in der Seestadt. https://www.wien.gv.at/kultur-freizeit/campus-der-religionen.html [letzter Zugriff: 09.05.2020].

[16] Pläne für Wiener „Campus der Religionen“ werden konkreter. Die Presse 26.02.2019. https://www.diepresse.com/5586119/plane-fur-wiener-campus-der-religionen-werden-konkreter [letzter Zugriff: 09.05.2020].

[17] Die Votivkirche in Wien. Denkschrift des Baucomités veröffentlicht zur Feier der Einweihung am 24. April 1879. Wien: Verlag von K. v. Waldheim 1879, 89.

[18] https://www.burtscherdurig.at/work/campus-der-religionen/ [letzter Zugriff: 16.10.2020].


Bildquelle: Visualisierung: links Campus der Religionen, rechts Gebäude der KPH (© Burtscher-Durig ZT GmbH[1], Rendering ZoomVP)


Rat-Blog Nr. 23/2020

  • Assoz-Prof. DDr. Jakob Helmut Deibl lehrt Theologie mit Schwerpunkt "Religion und Ästhetik" an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und ist wissenschaftlicher Manager des Forschungszentrums RaT.

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