Synode über Synodalität: Ein Ereignis zur Erneuerung des Selbstverständnisses der Kirche

Der folgende Beitrag will eine (mögliche) reflexive Antwort auf die Fragen nach der Bedeutung von Synode an sich, sowie nach der Bedeutung der in vielen aktuellen Diskussionen oft als Rätsel oder Widerspruch an sich dargestellten Formulierung Synode über Synodalität anbieten – eine Reflexion, die nicht nur theologisch Spezialisierte, sondern auch am Thema Interessierte in den Blick nimmt.

Den unverzichtbaren Ausgangspunkt für das Verständnis von Synode stellt der ekklesiologische Begriff der Einheit dar, die zugleich auch eine christologisch-trinitarische Bedeutung hat. Vor allem die Diskussionen – und teilweise konfliktbeladenen Dispute –, die sowohl die vorkonziliare Zeit von Nicäa (325) als auch die Rezeptionszeit dieses Konzils bis zum Konzil von Chalcedon (451) und die Zeit danach begleiteten, hatten im Grunde genommen den Themenkreis Einheit – Gleichheit – Monarchie in ihrem Mittelpunkt. Sie bezogen sich zwar auf das christologische und in letzter Instanz trinitarische Verständnis des christlichen Glaubens. Allerdings lag ihnen auch das ekklesiologische Selbstverständnis der christlichen Gemeinden und Ortskirchen zugrunde.

Die Einheit wurde dabei im Licht der urchristlichen Lebensform verstanden: Die Verschiedenen auf dem gemeinsamen Weg der Nachfolge (σύν/syn = gemeinsam und ὁδός/hodos = Weg). Dass das ekklesiologische Selbstverständnis im Licht der Gottesoffenbarung im Lógos gelebt wurde, lag auf der Hand. Sowie auch die Formulierungen der ersten bzw. christologisch-trinitarischen Dogmen ihrerseits eine Widerspiegelung dieses ekklesiologischen Selbstverständnisses sind. Anders gesagt: Ekklesiologisches und Christologisch-Trinitarisches beleuchteten und inspirierten sich gegenseitig.

Die Unterscheidung in der Einheit aber bildete nicht nur ein Element des urchristlichen Selbstverständnisses, und auch nicht bloß eine spekulative Denkweise für die Erklärung des Dogmas, sondern auch das lebensbezogene Verständnis sowohl der christologisch-trinitarischen Einheit als auch ihrer Konkretisierung im Leben der Christ*innen: Es kann keine Einheit geben ohne Unterschiedenheit. Wie neulich Stefan Ulz betont hat, bedeutet die „ohne Unterschiedenheit“ verstandene „Einheit“ reduktionistische „Einheitlichkeit“ und daher eine monadisch und letztlich monarchisch geprägte Ablehnung der Andersheit (vgl.: Stefan Ulz: Trinitarische Einheit – Impulse aus dem Charisma der Einheit, in: _das Prisma, 2/2023, 14-23, hier S. 17).

Theologiegeschichtlich aber schlugen die Ereignisse im Lauf der Zeit eine andere Richtung ein. Schon in den Jahrzehnten davor, aber besonders mit der Bezugnahme auf den Tomus ad Flavianum (449) von Leo dem Großen (440-461) und seinem Eingreifen durch die vier Legaten – zahlenmäßig unbedeutend im Vergleich zur übergroßen Zahl der östlichen Teilnehmer – beim Konzil von Chalcedon (451) wurde das Verständnis der Einheit als ein Zusammenfließen der Unterschiede abgeschwächt. Die Praxis der Exkommunikationen trat immer mehr in den Vordergrund. Als letzte Entscheidungsinstanz wurde der Papst gesehen. Dennoch war diese Einstellung für eine lange Zeit noch immer theologischer Natur, wie auch die Akklamation der versammelten Teilnehmer am Schluss der Lektüre des päpstlichen Schreibens bezeugend paraphrasiert: Petrus per Leonem locutus est (Durch Leo hat Petrus gesprochen). Der Bischof von Rom wurde – durch eine biblische Analogie zu Mose und dann zu Petrus – in seiner theologischen Orientierungsfunktion gesehen.

Allerdings wurde schon mit demselben Papst Leo im 5. Jahrhundert der Weg gebahnt, den Papst nicht mehr nur aus theologischen Gründen als Stellvertreter Christi (Vicarius Christi) auf Erden zu sehen (vgl. dazu: Peter Krämer: Päpstliche Titulaturen, in: LThK, Bd. 7, Herder, 2017, 1343-1344, hier Sp. 1343). Durch die Entwicklungen während der darauf folgenden Jahrhunderte wandelte sich nämlich dieses Papst-Verständnis von ursprünglich funktionstheologischer Natur in ein Verständnis auch politischer Natur. Mit dem Zusammenfließen der beiden – politisch-zeitlichen und kirchlich-theologischen – Gewalten in der Person des Papstes konnte Innozenz III. (1198-1216) im 13. Jahrhundert die als von Gott gegeben verstandene Monarchie für sich beanspruchen. Schrittweise wurde das chalcedonensische Dogma von den zwei verschiedenen – göttlichen und menschlichen – Naturen in einer Person politisiert und als reale und daher konkrete Analogie für die Begründung und Rechtfertigung der päpstlichen Gewalt sowohl in Bezug auf das Kirchlich-Theologische (göttliche Natur) als auch auf das Politisch-Zeitliche (menschliche Natur) ausgelegt. Dass dann im Konzil von Florenz (Februar 1439 – Spätsommer 1445), und zwar durch das Dekret Laetentur caeli von Eugenius IV. zur Union mit den Griechen (Juli 1439), die Bezeichnung des Papstes als Stellvertreter Christi (Vicarius Christi) lehramtlich untermauert wurde (s. DH 1307), war die Konsequenz besagter Entwicklungen.

Auch wenn der Kontext des Dekrets eine theologische Absicht zu haben schien, ließ der gegen es im byzantinischen Osten aufkommende Widerstand die bitteren politischen Erinnerungen an Entscheidungen früherer Päpste – insbesondere des erwähnten Innozenz III. mit dem vierten Kreuzzug (1202-1204) – und deren Folgen wieder ans Tageslicht treten. Besagte Entwicklungen hatten theologiegeschichtlich dazu geführt, dass die theologische Orientierungsfunktion und daher die theologische Einheitssendung des Bischofs von Rom nicht mehr als das einzig maßgebende Kriterium für das Papst-Verständnis galt. Auch die dogmatische Konstitution Pastor aeternus (Juli 1870) des Ersten Vatikanischen Konzils unter Pius IX. greift auf dieselben Erklärungen des Konzils von Florenz zurück (DH 3059).

Diese Entwicklungen führten zu einer nahezu starren und pyramidal institutionalisierten kirchlichen Leitungs- u. Wirkungsstruktur, bei der es im Umgang mit Andersdenkenden nicht primär um das Zuhören und die Ermöglichung ihrer Beteiligung am Gemeinschaftsleben der Kirche in der Welt ging, sondern ihnen vor allem das Schweigen und die Exklusion (Exkommunikation) auferlegt wurde. Das christologisch-trinitarische Prinzip der Einheit zwischen Unterschiedenheiten, ja zwischen Andersheiten, kam völlig abhanden, und wurde in der Praxis durch das monarchische Prinzip des „Vaters“ (Papa/Papst) ersetzt. Eine synodale Wirkungsweise der Kirche im herkömmlichen Sinne war verschwunden. Die Synode wurde ausschließlich als Bischofsgremium (Bischofssynode[n]) verstanden, und die Teilnahme von Frauen und Männern daran wurde immer undenkbarer. Die Synode als gemeinsamer Weg der Nachfolge in jedem Heute der Geschichte verlor ihre praxisbezogene Bedeutung.

Erst mit dem Versuch einer Rückkehr zu den biblisch-patristischen Quellen wird ab den 1930er Jahren durch die Nouvelle Théologie eine Gegenrichtung eingeschlagen. Dazu kam die weltoffene kirchliche Einstellung Johannes XXIII., und schließlich das von ihm einberufene und eröffnete Zweite Vatikanische Konzil, das zwar die päpstliche Bezeichnung Stellvertreter Christi beibehielt (LG 3, 18 und 22), aber ihr die ursprüngliche (funktions)theologische Bedeutung zuschrieb und sie auch auf die Bischöfe in Bezug auf die Ortskirchen ausdehnte (LG 3, 27). Das Konzil bahnte dadurch den Weg der Wiederentdeckung der Synode, die Paul VI. als die älteste Wirkungsweise der Kirche sowohl für die Gesamtkirche als auch für die Ortskirchen durch sein Motu proprio Apostolica sollicitudo vom 15. September 1965 institutionalisierte. Einen wesentlichen Schritt zu einem breiteren und ursprünglicheren Verständnis der Synode setzte Papst Franziskus mit der Apostolischen Konstitution Episcopalis communio vom 15. September 2018.

Die Grundabsicht von Papst Franziskus kann – ohne hineininterpretieren zu wollen – als Frage formuliert werden: Wenn Synode die archaische Wirkungsweise der Kirche und daher die Met-hode ihrer Lebensform in der Welt ist, wie kann sie dann so konkretisiert werden, dass sie für das Heute der Menschheit zur Geltung kommen kann? Die Wiederentdeckung der Synode als Methode bedeutet zugleich die – auch wenn aktuell vielleicht nur vorläufige bzw. anfängliche – Erneuerung des Selbstverständnisses der Kirche als »„Haus“ und „Schule“ der Gemeinschaft und des Dienstes«, wie dies von Piero Coda in seinem im Dezember 2023 veröffentlichten Beitrag AM RANDE der ersten Versammlungssitzung der Bischofssynode formuliert wurde .

Darin liegt auch die Logik des zu Beginn des Beitrags angesprochenen Rätsels der Synode über Synodalität, denn Synodalität besagt die Umsetzung der Synode in die Praxis, besagt also ihre Konkretisierung. Deshalb scheint es von besonderer ekklesiologischer Bedeutung zu sein, sich über Wege zu fragen, wie die Synode gelebt, d.h. wie sie Synodalität werden kann. Anders gesagt: Wie sich die Kirche wieder zur ek-klesía, zum »Ausdruck nicht nur der „kollegialen“ Gemeinschaft der Bischöfe, sondern der „synodalen“ Gemeinschaft des gesamten Volkes Gottes« hin erneuern kann (Ebd.). Es geht vielleicht noch um erste Schritte einer praxisbezogenen, inklusiven Ekklesiologie. Aber auch diese anfänglichen Schritte sind nicht unwesentlich, denn sie weisen schon darauf hin, dass die Form nicht leer, sondern identisch mit dem Inhalt ist, und dass das Rätsel seine eigene Lösung ist. Gerade diesen Aspekt hat Pierangelo Sequeri auf den Punkt gebracht, und es scheint sinnvoll, seine Formulierungen in diesem Kontext noch einmal wiederzugeben:

»Wenn wir über kirchliche Synodalität sprechen, dann ist die Form auch der Inhalt: Das Ziel einer „Synode über Synodalität“ – [ein Titel], der aus rein theoretischer Sicht fast wie ein schwer zu lösendes Rätsel erscheinen könnte, welches dadurch gelöst wurde, dass wir es als eine spirituelle Erfahrung des gegenseitigen Zuhörens annahmen… Am Ende erscheint uns dieses offensichtliche und wohlbegründete Ergebnis der Gesprächsnatur der Kirche ein unerwartetes und unumkehrbares Verdienst, das uns, wie ein unschätzbares Geschenk, bereits in dieser, wenn auch noch zwischenzeitlichen, Phase des synodalen Ereignisses erreicht. Wir alle müssen sofort einen Weg finden, davon zu profitieren, indem wir es in einen Wendepunkt für die Kirche verwandeln, die wir sind, für die Kirche, die kommen wird«

(Il Sinodo fino alle vite comuni. Per cerchi concentrici, in: Avvenire, 31. Oktober 2023. Zitiert auch im Beitrag von Piero Coda).

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RaT-Blog Nr. 02/2024

  • Eduard Prenga, Privatdozent, Projektmitarbeiter am Forschungszentrum RaT, lehrt zurzeit Fächer der Theologischen Grundlagenforschung an der Theologisch-Katholischen Fakultät der Universität Wien und ist Mitglied des Internationalen Wissenschaftskomitees für die Herausgabe der DDOT (Dizionario Dinamico di Ontologia Trinitaria).