
Teil 3: Die PGF in Erfüllung von Joh 17,21f
5. Kriterien und Vorläufer
Inwieweit bietet die PGF eine Lösung für die drängenden ökumenischen Probleme in der heutigen Zeit? Die beiden Säulen der europäischen Gesellschaft, Kirche und weltliche Herrschaft, sind seit alters her untrennbar, so dass ihr Aufeinanderbezogensein und ihre Allpräsenz das Leben intensiver bestimmt haben als Regierungsgebilde und Landesgrenzen. Die Religion und ihre aktive Vertreterin, die Kirche, ist und bleibt ‘European Player’, in ihren Tochterkirchen sogar ‘Global Player’, gleich wenn sie in Einzelgemeinden zerteilt ein im Gesamtzusammenhang gesehen kleines Detail zum zentralen Problem meint. War die effektive Entstehung und textliche Niederlegung der PGF nach zeitlichen Gesichtspunkten auch recht kurz (1989–1992) – ich vergleiche mit dem weniger umfangreichen Text der Leuenberger Konkordie von 1973 – , so schmälert dies keinesfalls das Ergebnis. Dreierlei ist für die PGF entscheidend: (1) der ‘Geist der Stunde’ nach den bi- und multilateralen Dialogen der 70ger und 80ger Jahre des letzten Jahrhunderts, (2) das Vermissen gegenseitiger Lehrverurteilungen und (3) die Gruppe an ʻVorläuferdokumentenʼ, anglikanisch-lutherische (‘Niagara-Bericht’ (1987)), anglikanisch-römisch-katholische, römisch-katholisch-lutherische, das Lima-Dokument von 1982 über Taufe, Eucharistie und Amt, die auch als Texte der Porvoo Vereinbarung vorlagen. Unmittelbare Vorläufer der PGF sind (in Vorwort und PGF 30): Pullach von 1973, Lima von 1982, Helsinki von 1982, Cold Ash von 1983, der Niagara-Bericht von 1987 und die Meissener Gemeinsame Feststellung (ebenfalls eine Erklärung von Kirchengemeinschaft) aus dem Jahr 1988. Während zwischen der Kirche von England und der Evangelischen Kirche in Deutschland bisher keine ‘full visible unity’ besteht, während das anglikanische Insistieren auf dem Historischen Episkopat als Zeichen der Einheit weiter besteht, bietet die PGF die volle Kirchengemeinschaft der Unterzeichnerkirchen. Das Festhalten am ‘Historischen Episkopat’ hat nicht allein theologische sondern auch politische Gründe. Während die Beziehung zwischen der Kirche von England und der schwedischen Kirche weiterhin als eine besondere gilt, distanzierte sich die Kirche von England von den übrigen skandinavischen Kirchen und konzentrierte sich ausdrücklich auf die Allianz mit Schweden.[1]
6. Problemlöserin oder Generator?
Nicht allein die formulierte Glaubenslehre (Symbola, lutherische Bekenntnisschriften, ‘Thirty-nine Articles of Religion’ von 1571 im Anhang des anglikanischen BCPs), auch die Kirchenverfassungen bauen entscheidend die Kirche auf. So stellt sich gerade für die heutige Zeit die Frage nach der möglichen Verfasstheit einer künftigen Kircheneinheit, um im Sinne des ökumenischen Grundprinzips die unterschiedlichen Kirchen und verschiedenen Traditionen zur Einheit zusammenzuführen. Für die PGF gilt, dass mit der „gegenseitige[n] Anerkennung auch die volle Anerkennung der Ämter, insbesondere des bischöflichen Amtes als sichtbares Zeichen der Einheit und Apostolizität der Kirche“[2] mit eingeschlossen ist. Im sog. ersten Clemensbrief steht das Bischofsamt als das Leitungsamt der Ortsgemeinde in Verbindung mit Tradition und Auftrag. Ende des ersten Jahrhunderts galten die Bischöfe als die direkten Nachfolger der Apostel, beauftragt, den wahren Glauben rein und unverfälscht weiterzugeben. „Symbol für die Einheit der allumfassenden, der katholischen Kirche“[3] ist der Bischof im zweiten Jahrhundert bei Ignatius. Die Erweiterung um die bischöfliche Sukzession findet sich bei Irenaeus von Lyon in der Schrift ‘Adversus Haereses’ (um 180 n. Chr.) unter der Annahme, dass in der allumfassenden Kirche ein und derselbe Glaube geglaubt und vermittelt würde. Nach der Lehre des Zeiten Vatikanischen Konzils (Lumen gentium) ist der Bischof
„mit der Fülle des Sakraments der Weihe ausgezeichnet, ‘Verwalter der Gnade des höchsten Priestertums’, besonders in der Eucharistie, die er selbst darbringt oder darbringen lässt und durch die die Kirche beständig lebt und wächst. Diese Kirche Christi ist wahrhaft in allen rechtmäßigen örtlichen Gemeinden der Gläubigen anwesend, die, wenn sie ihren Hirten anhangen, auch selbst im Neuen Testament Kirchen genannt werden.“ (LG 26)
Das Verständnis vom Bischofsamt ist in den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen anders. Die PGF formuliert in den Abschnitten 34–57 ‘the Episcopacy’, wobei zunächst der Begriff ‘Historischer Episkopat’ bestimmt wird, als Zeichen der Einheit meint er mehr als ein bloßes Etikett (PGF 50, 51). Hier steht eine vertikale Definition der horizontalen, wie sie die römisch-katholische Kirche kennt, gegenüber. Während die römisch-katholische Kirche die ‘historische Implementierung’ des Episkopats in der Weihe, bzw. den Insignien weiß, wird im Falle der PGF der Schwerpunkt allein auf den historischen Aspekt gelegt, d.h. die Sukzession. Das Verständnis des Bischofsamtes innerhalb der anglikanischen Kirchen Europas heißt ‘historisch’, nicht im Sinne des Ordo, und gilt nicht sakramental. In Artikel 25 bleiben von den nach römisch-katholischem Verständnis sieben Sakramenten nur Taufe und Abendmahl, und obwohl die als urchristlich verstandene „traditionelle Amtsstruktur mit Bischöfen, Priestern (Presbytern, Pfarrern) und Diakonen erhalten“[4] und damit die Dreistufigkeit blieb, unterscheidet sie sich durch den nicht vorhandenen Weihecharakter. Problematisch ist auch die Oberhauptsfunktion der Monarchen. Im wohl bedeutendsten neueren Bekenntnisdokument, dem ‘Lambeth-Quadrilateral von 1888’ (in Verbindlichkeit weder mit Konzilsdokumenten noch den lutherischen Bekenntnisschriften vergleichbar), werden vier Grundlagen ‘als gleichwertig’ formuliert: Der unumstößliche Primat der Schrift, die beiden Symbola (apostolisch und nizänisch), die von Jesus Christus eingesetzten Sakramente Taufe und Herrenmahl und der ‘historische Episkopat’, wobei beim Letztgenannten der sakramentale Charakter – gut reformatorisch – durch den ‘pastoralen Dienst an Wort und Sakrament’ ersetzt wurde. Diese unterschiedliche Vorstellung vom Episkopat erschwert das Zusammengehen der unterschiedlichen Kirchen im Europa des 20. und 21. Jahrhundert und bleibt weiterhin ein Hindernis für mögliche Kirchenunionen.
Als ‘Bischofsamt ohne Hierarchie’ benennt Frieling den reformatorischen Standpunkt:
„Pfarrer[…] und Bischöfe[…] (Superintendenten, Pröpste[…], Präsides oder Kirchenpräsidenten) […] üben alle das eine Amt der Kirche Christi in verschiedenen Funktionen aus. […] Wenn ‘Pfarrer’ und ‘Bischof’ theologisch gleichrangig sind, ist ja die sogenannte presbyterale (pfarramtliche) Sukzession gleichzeitig eine bischöfliche Sukzession. Bischöfe werden darum auch nicht für ihr Amt ‘ordiniert’, sondern es findet eine feierliche ‘Einführung’ (Installation) statt, vergleichbar der Einführung eines bereits ordinierten Pfarrers (oder einer Pfarrerin) in eine Pfarrstelle.“[5]
In Martin Luthers Worten von 1520: „Denn ein Bischof oder Pfarrer ist ein und dasselbe bei St. Paul, wie das auch St. Hieronymus beweist.“[6] Kirche nach evangelischem Verständnis ist „Gemeinschaft der Glaubenden, die konstituiert wird durch das Glauben weckende Wirken des Heiligen Geistes […] [, erlebt wird in der] um Wortverkündigung und Sakramentsfeier versammelte[n] Gemeinde […] [mit dem Auftrag der] Bezeugung des Glauben weckenden Evangeliums in der Welt.“[7] Und das Amtsverständnis wird selbstverständlich gesehen als „eingebettet in ein Verständnis vom Wesen der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen.“[8] Die Sicht des Amtes lässt keinerlei wesensmäßige Unterscheidung zwischen Priestern und Laien zu.
7. Tradition, Zweck und Ziel
In der PGF liegt ein Dokument vor, das auf die anglikanischen Kirchen und die schwedische Kirche gewissermaßen ʻzugeschnittenʼ ist. Die wahllose Übertragung auf weitere Kirchengemeinschaften brächte nur wenige Erfolge. Zwar nehmen Mehrheiten Einfluss auf Entwicklungen, wie das Beispiel Frauenordination beweist, und nach Klärung auch der dänischen Kirche den Beitritt als Mitglied ermöglichte, selbst die Tatsache, dass inzwischen weibliche Bischöfe an der Tagesordnung sind,[9] schien im Kontext der PGF nicht länger problematisch, dennoch spricht das Festhalten am Beobachterstatus der lettischen Inlandskirche (ELKL) eine eigene Sprache. Nach reformatorischem Verständnis bilden die Apostolizität und apostolische Sukzession keine Einheit und sind nicht unbedingt voneinander abhängig. „Die Apostolizität ist eine Gabe Gottes an seine Kirche und drückt sich auf unterschiedliche Weisen aus. Die Porvoo-Erklärung nimmt diese Schlussfolgerungen auf und unterstreicht, dass das Bischofsamt im Dienst der apostolischen Sukzession der Kirche als Ganzer steht. […] Es ist […] ein Ausdruck dieser Apostolizität. Die historische bischöfliche Sukzession ist ein Zeichen der Apostolizität“[10], kein Garant dafür. Während im anglikanischen Verständnis die Rolle des Bischofs (Identitätsmerkmal, mit dem Gesicht des Erzbischofs von Canterbury als Primus inter pares) formal als eines der vier ‘Instrumente der Einheit’ gilt, wird die Heilsnotwendigkeit des Episkopats von der Leitung der Kirche Christi getrennt gesehen, ohne sakramentale Bedeutung, dagegen traditionell symbolisch. Weil die historische Sukzession im Bischofsamt in den einzelnen PGF Kirchen im Norden Europas erhalten blieb, konnten auch „[d]ie lutherischen Kirchen dieser Gebiete […] leicht dem anglikanischen Anliegen voller, sichtbarer Einheit einschließlich des besonderen Zeichens der historischen Sukzession im Episkopat entsprechen.“[11] Mit Anerkennung des bischöflichen Dienstes in einer Kirche, die in Reformationszeiten ʻdie Kontinuität in dem bischöflichen Amt durch eine gelegentliche priesterlich/presbyteriale Ordination bewahrt hatʼ (Porvoo 52), weitet die PGF die Vorstellung vom Amt durch einen Dienst in ʻdifferenzierter Formʼ (vgl. Porvoo 32j). Der Porvoo Dialog sah sich zum Thema Episkopat mit drei unterschiedlichen Typen von Kirche konfrontiert, mit Mitgliedern, die den historischen Episkopat als theologisch zwingend ansehen, mit denen, die sich der Bewahrung der historischen Sukzession rühmen, ohne Notwendigkeit für die Natur der Kirche und solche, die trotz bischöflicher Struktur die historische Sukzession vermissen lassen[12]: „Die gegenseitige Anerkennung unserer Kirchen und Dienste geht dem Gebrauch des Zeichens der Handauflegung in der historischen Sukzession voraus.“ (PGF 53) Ziel ist und bleibt die sichtbare Einheit, keine Diskussion über die relevanten Zeichen aus der Vergangenheit, sondern die nun gemeinsam vollzogenen Zeichen in der Zukunft. Inskünftig sollen bei sämtlichen „Ordinationen und Einführungen von Bischöfen jeweils Bischöfe der anderen Kirche durch Handauflegung mitwirken, so dass eine Gemeinschaft im ‘historischen Episkopat’ erfüllt wird und weitere Formen engerer Gemeinschaft z.B. auch durch eine gemeinsame Wahrnehmung der episkopé aufgebaut werden können.“[13] Hier zeigt sich Kirchengemeinschaft als Hoffnungsträgerin, Gleiches (im Falle der Ordination bzw. Einführung von Bischöfen) wird gemeinsam getan (Mitwirken durch Handauflegung). So bietet nun die PGF eine Lösung für die drängenden ökumenischen Probleme zumindest einer begrenzten Kirchengruppe. Die in Joh 17,21f geforderte Gemeinschaft liegt damit aber noch in weiter Ferne.
[1] Vgl. hierzu Reinhard Frieling, Amt, Göttingen 2002 (ÖStH 13), 66–69.
[2] Klaiber, Ut unum sint, 35.
[3] Christian Lange, Einführung in die allgemeinen Konzilien, Darmstadt 2012, 12.
[4] Frieling, Amt, 66. Vgl. Zum Gesagten auch: John Webster, Ministry and Priesthood, in: Stephen Sykes/John Booty/Jonathan Knight (Hg.), The Study of Anglicanism, London 52004, 321–333, 328, wo Zweifel bezüglich dem Ordinal und der Richtigkeit der Ämterstruktur eingeräumt werden, „the theory raised real doubts about the affirmation in the Preface to the Ordinal that ‘it is evident unto all men, diligently reading holy scripture, and ancient authors, that from the Apostel’s time there hath been these orders of ministers in Christ’s Church: Bishops, Priests, an Deacons’“.
[5] Frieling, Amt, 46.
[6] WA 6, 440, 21-35, zitiert nach ebda., 47.
[7] Wilfried Härle, Spurensuche nach Gott. Studien zur Fundamentaltheologie und Gotteslehre, Berlin/New York 2008, 6.
[8] Frieling, Amt, 113.
[9] Mary Tanner, The Episcopal Ministry Act of Synod in Context, in: Paul Avis (Hg.), Seeking the Truth of Change in the Church. Reception, Communion and the Ordination of Women, London/New York 2004, 58–74, 59: „Two churches of the Porvoo communion (the relationship of communion between Nordic and Baltic Lutheran churches and the Anglican churches of Britain and Ireland) have women bishops.“
[10] André Birmelé, Kirchengemeinschaft. Ökumenische Fortschritte und methodologische Konsequenzen. Münster 2003, 273.
[11] Ebda., 275.
[12] Vgl. Ola Tjørhom, The Porvoo Statement. A Possible Ecumenical Breakthrough?, in: ER 46 (1994), 97–102, 98.
[13] Reinhard Frieling, Bischofsamt: ‘esse’ oder ‘bene esse’?, in: MdKI 54 (2003), 7–11, 8.
Photocredits: https://de.wikipedia.org/wiki/Dom_von_Porvoo#/media/Datei:Porvoo_Cathedral_01.jpg.
RaT-Blog Nr. 4/2025