Es grünt so grün… Gedanken zu Paradies und Garten

 

Astrid Mattes schreibt über eingezäunte Paradiese, himmlische Versprechungen und menschlichen Gestaltungsdrang, nicht nur in Zeiten des Coronavirus. Alle, die gerne noch mehr nachlesen, wird dieser Link interessieren: https://oe1.orf.at/artikel/672663/Paradiesgaerten-in-den-Religionen.

Der Blick geht auf grüne Wiesen, blühende Bäume und sprießende Blumen, der Eintritt aber bleibt verwehrt. Versperrte Bundesgärten verärgerten Wienerinnen und Wiener in den Wochen der Covid-19 Präventionsmaßnahmen sehr.
Zu den ersten Lockerungen der Maßnahmen gehörte dann – noch vor Schulen, Büros und Orten der Religionsausübung – die Öffnung der Baumärkte. Blumenerde als das neue Klopapier, der nächste vergriffene Artikel der Corona-Zeit, geisterte durch die sozialen Netzwerke. Wer einen Garten sein Eigen nennt oder zumindest einen Balkon, konnte sich dieser Tage glücklich schätzen und gehörte zu jener erlesenen Gruppe, denen das Gartenvergnügen trotz Lockdown nicht verwehrt blieb.

Begrenzte Sehnsuchtsorte

Gärten als Sehnsuchtsorte, als Parabeln für Paradiesvorstellungen und als Versuche, Jenseitiges zu verweltlichen prägen die Menschheits- und Religionsgeschichte. Der sumerische Mythos von Enki, Ninsikila und Ninchursaga in Dilmun gilt als eine der frühesten paradiesischen Erzählungen, die auch in die wesentlich berühmtere, zweite Schöpfungserzählung der Torah hineinwirkt. Ein Baum des Lebens, Verbotenes, das gegessen wurde, und ein paradiesischer Garten ist beiden gemein. Der Verlust des Paradieses ebenso.

Die Begrenztheit des Paradiesischen steckt dabei schon im Wortsinn. Das Altiranische „paridaida“ bedeutet das Eingehegte, das Umzäunte und hat ursprünglich einen eingegrenzten Wildgarten oder Obstbaumgarten bezeichnet. Von dort aus macht der Begriff in vielen Sprachen Karriere, geht ins Syrische, ins Aramäische, ins Hebräische, später auch ins Griechische und Lateinische ein. Der Grieche Xenophon schreibt von den persischen Königsgärten als „paradeisos“. Später werden griechische und römische Tempel- und Palastgärten so genannt, während die Bedeutung der Eingrenzung in den Hintergrund tritt.

Trotzdem sind auch himmlische Paradiese begrenzt. Nachdem Adam und Eva den Garten Eden, den Gott für sie erschaffen hat, verlassen müssen, stellt er „die Cherubim und die Flamme des Schwertes“[1] als Grenzposten auf. Die Gartengeschichte von Eden im Buch Genesis beginnt und endet außerhalb des Gartens. In der islamischen Überlieferung, den Hadithen, ist von einem Wall die Rede, den der Tod selbst überwacht, der die „Leute des Feuers“ von den „Leuten des Paradieses“ im Jenseits trennt.[2]

Weltliche Machtorte

Während der Zugang zu nachtodlichen Paradiesen in den verschiedenen Religionstraditionen zumeist an das Verhalten im Diesseits geknüpft ist, ist der Zugang zu irdischen Paradiesgärten nicht zuletzt eine Machtfrage. Der Blick in die Geschichte der Gärten zeigt: Vorbehalten sind die weltlichen Paradiese jenen, die ökonomisch dazu in der Lage waren sich einen „Lustgarten“ zu leisten oder aber in deren Gunst standen. Schon der Besitz eines Nutzgartens, der in Persien den Zugang zu einer Wasserquelle voraussetzte, war ein Zeichen großen Wohlstands, umso mehr ein Garten, der nicht unmittelbar der Versorgung diente.

Gartenanlagen, wie die, des Königs Kyros II., die Xenophon beschreibt, setzen immense Reichtümer voraus. Laut Xenophon soll der König selbst zum Gärtner geworden sein und die sorgfältige Bepflanzung vorgenommen haben. Die Pflege dieser Erzählung ist, wie die persische Gartenkunst selbst, Ausdruck einer großköniglichen Herrschaftsideologie, die womöglich auch die biblische Paradieserzählung mitbeeinflusst hat.

Durch die Menschheitsgeschichte ziehen sich Gärten, die nicht in erster Linie der Nahrungssicherheit dienen, lange Zeit als Privileg der Machthabenden. Die während der Covid-19 Maßnahmen versperrten Bundesgärten in Wien, etwa die Schönbrunner Gartenanlagen und der Belvedere-Garten und ihr Entstehungskontext als Gärten des Adels sind hier Paradebeispiele. Erst politische Umbrüche und veränderte Machtverhältnisse ermöglichen Zugang für alle.

Weltliche Paradiesgärten stehen aber durchaus in Beziehung zu religiösen Vorstellungen, im Lauf der Geschichte dienten sie immer wieder als wechselseitige Bezugspunkte. Die Gartenkunst im Iran ist etwa deutlich älter als der Islam, trotzdem gibt es die Idee, dass die Gärten dem göttlichen Paradies nachempfunden werden. Mit der Ausbreitung des Islam ändert sich nicht unbedingt der Garten, sondern dessen Interpretation. Hier greifen religiöse Bildsprache und menschlicher Gestaltungsdrang ineinander.

Heilvolle Jenseitsorte

Die Vorstellung eines Gartens als Ursprungs- und/oder Jenseitsort prägt insbesondere die abrahamitischen Religionen mit ihren Paradiesvorstellungen. Der Bedeutungswandel des Paradies-Begriffs geht dabei mit der Entwicklung spezifischerer Jenseitsvorstellungen einher. Erst die Septuaginta gebraucht „paradeisos“ zur Übersetzung des hebräischen Wortes „gan“ (Garten) und macht den Garten Eden zum „Paradies“. Begriffsgeschichtlich kann man hier die Eschatologisierung des Begriffs mitverfolgen.[3] Paradies wird zunehmend von einem Begriff für eine Gartenanlage zu einer eschatologischen Vorstellung, zunächst im hellenistischen Judentum, später auch im Christentum. In der Entstehungszeit des Islam hat der Begriff des Paradieses bereits sehr eindeutige eschatologische Züge und benennt einen Jenseitsort.

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Jan Brueghel der Jüngere. Paradies. 1620.

Die Paradiesgärten dieser Religionen finden einerseits in den heiligen Schriften Erwähnung, andererseits haben diese Vorstellungen heilvoller Jenseitsorte auch die Kreativität von Kunstschaffenden beflügelt. Darstellungen des Paradieses als ein Garten der Fülle und Überfülle, der Vielfalt und des sprichwörtlichen blühenden Lebens ziehen sich durch die Kunstgeschichte und prägen auch das gängige Bild im heutigen, oft nicht mehr in erster Linie religiös konnotierten Sprachgebrauch.

Der Paradies-Begriff wurde auch vielfältig auf außerweltliche Vorstellungen anderer Religionstraditionen übertragen. Etwa, wenn Sukhavati, das „Reine Land“ des Amithaba Buddhas, in der Literatur als Paradies beschrieben wird. In diesem „Land der großen Freude“ ist alles ist erfüllt von der Musik der Vögel, es ist ein freudiger Ort, mit einer Fülle von Pflanzen und Schätzen, wie Diamanten, in dessen Mitte Amithaba auf einer Lotusblüte sitzt, umgeben von den Bodhisattvas Alokitshvara und Mahasthamaprapta.

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Unbekannt, Amitabha im Sukhavati Paradies, Tibet, circa 1700

Trotzdem stellt sich die Frage ob „Paradies“ ein guter Begriff für die Benennung dieser religiösen Vorstellungswelt ist. Wer aufgrund der Hilfe des Buddha Amithaba im „Land der großen Freude“ wiedergeboren wird, erhofft nicht unbedingt dort zu bleiben, sondern eine erleichterte Wiedergeburt. Von hier aus soll es Menschen möglich sein, eine Wiedergeburt auf der Erde als Bodhisattva zu erreichen und somit der eigentlichen Hoffnung im Buddhismus, nämlich der Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten, deutlich näher zu kommen.

Korrelierende Gegenorte

Obwohl also Vergleiche, wie etwa jener von „Paradiesen in den Religionen“ ein in der Religionswissenschaft weit verbreitetes Studienthema waren, wächst das Bewusstsein, dass solche Begriffe religionshistorisch vorbelastet sind. In der vergleichenden Religionswissenschaft versucht man nun eher abstraktere Konzepte zu verwenden, um nicht Bedeutungen von einer Religionstradition auf die andere zu projizieren. Ein Gegenvorschlag zum Vergleich von „Paradiesen“ ist zum Beispiel das Konzept von Gegenwelt, eben als Gegensatz zur immanenten Welt. Fritz Stolz hat das einen Korrelationsbegriff genannt.[4] Eine solche Herangehensweise stellt eine methodologische Weiterentwicklung dar, kann aber eines der Kernprobleme der Religionswissenschaft, den Balanceakt zwischen konzeptioneller Voreingenommenheit und Willkür in der Untersuchung religiöser Phänomene, nicht gänzlich lösen.

Der Blick auf Paradiese, auf Gärten als heilvolle Gegenorte, soll also das Bewusstsein für die spezifische Prägung dieses Begriffes durch die Erzählungen des Garten Eden mittragen. In dieser konkreten Paradieserzählung stecken jene Elemente, die Franz Xaver Kaufmann[5] als Funktionen des Religiösen bezeichnet: Kosmisierung – Ordnung und Sinn der Welt lassen sich erahnen; Sozialintegration – Gemeinschaftsbildung wird begründet; Weltdistanzierung und Kontingenzbewältigung – wir lesen vom guten Gott, der den Tod des Menschen nicht wollte; Identitätsstiftung – den Menschen wird gesagt wer sie sind und worin ihre Aufgaben bestehen; Handlungsführung durch moralische Standards wird etabliert; Der Garten Eden dient als Verortung einer Erzählung, die diese vielfältigen Aufgaben erfüllt und auch der Paradiesbegriff ist mit all diesen Facetten verbunden. Eine Übertragung des Paradiesbegriffs auf die Vorstellung anderer Religionstraditionen, die auch Gärten als Gegenorte kennen, ist aufgrund dieses spezifischen Bedeutungskomplexes nur begrenzt sinnvoll.

Menschliche Begegnungsorte

Trotzdem gilt, dass paradiesische Gärten nicht nur in der abrahamitischen Vorstellungswelt als Gegenorte zu einer als defizitär erlebten Welt[6] dienen, als Utopien kosmischen Friedens[7]. Dieser Friede betrifft dann nicht nur das Miteinander von Mensch und Natur, sondern auch die Menschen untereinander. Solche Vorstellungen gab und gibt es immer wieder in unterschiedlichen sozialen, kulturellen und religiösen Kontexten.

So wird in Gärten auch heute Miteinander probiert. Initiativen, etwa in Berlin und im niederösterreichischen Stift Altenburg, versuchen in „Gärten der Religionen“ ein Zusammenfinden in der und über die Natur. Der Garten im städtischen Alltag eröffnet ebenso Möglichkeiten der Begegnung. Und gerade nach Wochen des Zuhause seins, des sozialen Distanzierens, lässt sich dem Spazieren durch Wiens wieder geöffnete Gärten ein paradiesischer Zug nicht absprechen.


Astrid Mattes ist RaT-Mitglied und forscht an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu Themen an der Schnittstelle von Politik und Religion.


[1] 1 Mose 3,23-25:„“Da schickte ihn weg HaSchem, Gott, aus dem Garten Eden, den Boden zu bauen, davon er genommen worden..Und vertrieb den Menschen, und lagerte im Morgen vom Garten Eden die Cherubim und die Flamme des Schwertes, des kreisenden, um zu bewachen den Weg zum Baum des Lebens.“

[2] 526 Nach Abu Hurayra „Wenn Gott die Leute des Paradieses ins Paradies und die Leute des Höllenfeuers ins Feuer eingehen lasse, wird der Tod herbeigebracht und auf den Wall hingestellt, der zwischen den Leuten des Paradieses und den Leuten des Feuers steht.“ (Muslim, Tirmidhi) Übersetzung von Adel Theodor Khoury in: Ders., Hadith, Gütersloher Verlagshaus, 2019

[3] Dazu: Hengel, Martin, Siegfried Mittmann, und Anna Maria Schwemer. 2000. La cité de Dieu. Mohr Siebeck.

[4] Stolz, Fritz. 1993. „Paradiese und Gegenwelten“. Zeitschrift für Religionswissenschaft 1 (1). https://doi.org/10.1515/0018.5.

[5] Franz Xaver Kaufmann: Religion und Modernität. Sozialwissenschaftliche Perspektiven. J.C.B. Mohr, Tübingen, 1989

[6] Christoph Dohmen, Paradies biblisch-theologisch, in: LThfO VII (1998) 1360AF

[7] Siehe Zenger, Erich. 2020. Mit Gott ums Leben kämpfen: Das Erste Testament als Lern- und Lebensbuch. Herder


Titelfoto: Belvederegarten in Wien 3, Peter Gugerell


Rat-Blog Nr. 6/2020

  • Astrid Mattes ist Tenure Track Professorin für Sozialwissenschaftliche Religionsforschung am Forschungszentrum Religion and Transformation in Contemporary Society der Universität Wien.

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